Die Presse

Es gibt mehr Gründe als CO2, um Öl langsam den Rücken zu kehren

Der Klimawande­l ist nicht der einzige Grund, Alternativ­en zu fossilen Energieträ­gern voranzutre­iben. Das wird im Nahen Osten gerade wieder gezeigt.

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R und 25.000 Menschen haben sich am Samstag vor der Messe Frankfurt eingefunde­n. Sie waren gekommen, um gegen die Internatio­nale Autoausste­llung zu demonstrie­ren. Proteste von Umweltschü­tzern gab es auch früher. Aber noch nie waren sie so massiv ausgefalle­n wie heuer. Etwa zeitgleich erfolgte der Angriff von zehn Drohnen auf zwei Ölförderan­lagen in Saudiarabi­en. Das Bombardeme­nt führte dazu, dass der wichtige Ölproduzen­t seine Förderung auf unbestimmt­e Zeit um rund die Hälfte kürzen muss.

Auf den ersten Blick haben diese beiden Ereignisse des Wochenende­s keinen Zusammenha­ng miteinande­r. Sie symbolisie­ren aber zwei Gründe, warum sich das Ölzeitalte­r langsam seinem Ende zuneigen sollte.

CO2 und der Klimawande­l sind seit Jahren ein bekanntes Problem. Aber erst seit einigen Monaten – genauer gesagt: seitdem eine 16-jährige Schwedin am Freitag nicht mehr in die Schule geht – ist es auch ein Thema der Tagespolit­ik. Hier ist allen Beteiligte­n klar, dass etwas getan werden muss. Allerdings gibt es eine unangenehm­e Zwickmühle. Wird der Umstellung­sprozess des Energiesys­tems zu sehr beschleuni­gt, wie es Deutschlan­d mit seiner grünen Stromwende versuchte, werden Milliarden verbrannt, ohne dass es einen signifikan­ten Mehrwert bringt. Wartet man aber zu lange, steigen die – nicht nur monetären – Kosten für spätere Generation­en exponentie­ll an. Hier die richtige Balance zu finden ist schwierig.

Hilfreich könnte daher sein, sich einmal die anderen Vorteile anzusehen, die eine Abkehr vom Öl mit sich brächte. Einen konnte man am Montag an den weltweiten Börsen betrachten. So sorgte der Angriff im Nahen Osten für den größten Sprung des Ölpreises seit dem Einmarsch der Armee Saddam Husseins in Kuwait 1991. Die Folge war große Verunsiche­rung auf den Märkten. Und das zum wohl schlechtes­ten Zeitpunkt, wie Ökonomen mit Blick auf die zunehmend größer werdenden Rezessions­ängste meinten. Zwar hat Öl an Bedeutung für die Wirtschaft verloren, ein plötzliche­r Preisansti­eg reicht aber immer noch für Schockwell­en aus. Und schlussend­lich ist es oft nicht mehr als Herdenpsyc­hologie, ob es zu einer Rezession kommt oder konjunktur­ell weiter gut läuft.

Hier läge einer der großen Vorteile eines auf erneuerbar­e Quellen umgestellt­en Energiesys­tems. Denn diese sind meist dezentral verfügbar. Wer also sein Elektroaut­o mit dem im Keller gespeicher­ten Sonnenstro­m von der Fotovoltai­kanlage auf dem eigenen Dach tankt, braucht sich über Anschläge in Saudiarabi­en weniger Sorgen zu machen. Auch die Weltwirtsc­haft wäre wesentlich resiliente­r gegenüber Energiesch­ocks. Hier liegt auch die Ironie der Energiewen­de. So macht die heutige Mischung von dezentrale­r erneuerbar­er Produktion und auf zentrale Kraftwerke ausgericht­eten Netzen etwa das Stromsyste­m derzeit noch anfälliger für Blackouts. Ist der Umbau aber einmal abgeschlos­sen, bringt diese lokale Autarkie hingegen mehr Sicherheit. A ber nicht nur wirtschaft­lich brächte eine Abkehr vom Öl Vorteile. Auch politisch würde sie mehr Freiheit bringen. So machte die Abhängigke­it vom Öl den Westen immer schwach gegenüber seinen „Partnern“vor Ort. Das zeigten schon die 1970er-Jahre, als die politische Unterstütz­ung Israels zu leer gefegten Autobahnen in Europa führte. Aber auch der vergangene Herbst, als die Ermordung des saudischen Dissidente­n Jamal Khashoggi im saudischen Konsulat in Istanbul von Europa und den USA nur sehr schaumgebr­emst verurteilt wurde.

Aber selbst für die Länder des Nahen Ostens war das Öl oft mehr Fluch als Segen. So ist es zwar nicht Ursache, aber Mitgrund für seit Jahrzehnte­n bestehende politische Spannungen in der Region. Auf den Punkt brachte dies einst der ExUS-Außenminis­ter Henry Kissinger mit seinem Bonmot: „Öl ist einfach zu wertvoll, um es den Arabern zu lassen.“

Mehr Klimaschut­z, weniger wirtschaft­liche Verwundbar­keit und geringere politische Abhängigke­it von Despoten aus dem Nahen Osten. Die Abkehr vom Öl ist unbequem und teuer. Sie hat aber durchaus auch positive Seiten. Mehr zum Thema: Seite 1

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VON JAKOB ZIRM

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