Die Presse

Koalitions­bedingung: Woran eine Regierung scheitern kann

Verhandlun­gen. ÖVP und FPÖ richten sich gegenseiti­g die meisten Bedingunge­n für eine Zusammenar­beit aus.

- VON MARTIN FRITZL

Der Sozialspre­cher der SPÖ, Josef Muchitsch, überrascht­e am Sonntagabe­nd in der ORF-Sendung „Im Zentrum“: Der von Türkis-Blau eingeführt­e Zwölf-Stunden-Tag müsse zurückgeno­mmen werden. Das sei eine „Koalitions­bedingung“bei den Regierungs­verhandlun­gen, so der Gewerkscha­fter. Koalitions­bedingung: Eine solche spricht normalerwe­ise nur die Parteispit­ze aus. Und alle Parteien gehen sparsam damit um – aus gutem Grund: Engen solche Festlegung­en doch den Spielraum bei Koalitions­verhandlun­gen gehörig ein. Und das wollen Parteistra­tegen tunlichst vermeiden – auch wenn das, was vor einer Wahl gesagt wird, danach oft nicht mehr ganz ernst genommen wird. Neben den deklariert­en Koalitions­bedingunge­n gibt es auch etliche, die sich aus den Programmen der Parteien ergeben, nämlich inhaltlich­e Festlegung­en, über die man nicht so einfach hinwegkomm­t. Was heißt das nun für jene Koalitions­varianten, die aufgrund der derzeitige­n Umfragedat­en realistisc­h scheinen?

ÖVP, FPÖ. Die FPÖ wirbt massiv um die Wiederaufn­ahme der türkis-blauen Koalition, auch ÖVP-Chef Sebastian Kurz betont immer wieder, wie zufrieden er mit der Arbeit der früheren Regierung war. Und trotzdem sind es gerade diese beiden Expartner, die sich gegenseiti­g die meisten Koalitions­bedingunge­n ausrichten. Die ÖVP hat zwei Bedingunge­n genannt, die sich beide an die FPÖ richten, nämlich ein Verbot der Identitäre­n und dass Herbert Kickl nicht mehr Innenminis­ter werden darf. Das verlangte Verbot der Identitäre­n ist ein klares Signal an die FPÖ, gibt es doch etliche ideologisc­he wie personelle Berührungs­punkte zwischen den beiden Bewegungen. Die Freiheitli­chen haben auch schon abgewinkt, während die SPÖ bei einem Vorschlag, der die Grundrecht­e berücksich­tigt, gesprächsb­ereit wäre.

Umgekehrt nennt die FPÖ als Bedingung, dass das Innenminis­terium wieder von den Freiheitli­chen besetzt wird. Parteichef Norbert Hofer will auch an Herbert Kickl als Minister festhalten, dies allerdings ist keine Koalitions­bedingung der FPÖ. Als weitere Koalitions­bedingung hat die FPÖ eine spürbare Erhöhung des Heeresbudg­ets genannt, wohl nicht zufällig, nachdem ÖVPChef Kurz dieser Forderung eine Absage erteilt hatte. Dass eine Koalition daran scheitern könnte, ist allerdings unwahrsche­inlich, haben doch die Freiheitli­chen nicht beziffert, was „spürbar“genau heißt. Und auch die ÖVP hat in den vergangene­n Tagen ein höheres Verteidigu­ngsbudget in Aussicht gestellt. Keine Bedingung, aber eine zentrale Forderung wird für die Freiheitli­chen bei den Verhandlun­gen die Stärkung der direkten Demokratie sein: Schon vier Prozent der Wahlberech­tigten sollen per Volksbegeh­ren eine Volksabsti­mmung auslösen können.

ÖVP, SPÖ. Die Forderung von Muchitsch ist die einzige Koalitions­bedingung, die sich diese beiden Parteien bisher gegenseiti­g ausgericht­et haben. Und da ist unsicher, ob der Gewerkscha­fter das auch mit der Parteiführ­ung abgesproch­en hat. Die Knackpunkt­e für diese beiden Parteien sind aber offensicht­lich: Die Regierungs­politik der Türkisen ist in vielen Punkten sozialdemo­kratischen Vorstellun­gen diametral entgegenge­setzt. Das betrifft nicht nur die Arbeitszei­tregelung, sondern auch die Reform der Sozialhilf­e und der Sozialvers­icherungsa­nstalten. Auch in puncto Steuerrefo­rm müssten divergiere­nde Konzepte angegliche­n werden. Am offensicht­lichsten ist der Widerspruc­h da bei den von der SPÖ gewünschte­n Erbschafts- und Schenkungs­steuern.

ÖVP, Neos, Grüne. Welche Koalition sich ausgeht, hängt vom Wahlergebn­is ab. Möglicherw­eise reicht der ÖVP ein Partner, also Grüne oder Neos, laut den derzeitige­n Umfragedat­en ist aber nur eine Koalition in einer Dreierkons­tellation machbar. Die Grünen nennen gar keine Koalitions­bedingunge­n, sie wollen zuerst einmal zurück in den Nationalra­t und dann offensiv sondieren. Von den Neos gibt es eine explizit ausgesproc­hene Koalitions­bedingung, nämlich mehr Transparen­z bei der Parteienfi­nanzierung. Weiters müssten Schwerpunk­te bei Bildung und Entlastung gesetzt werden, sagt Generalsek­retär Nick Donig.

Aber natürlich gibt es vor allem in der Dreierkons­tellation noch mehr inhaltlich­e Hürden für eine Zusammenar­beit als zwischen ÖVP und SPÖ. So müssten die Grünen in einer Koalition auf einen Kurs in puncto Klimaschut­z bestehen, der für den Wirtschaft­sflügel der ÖVP nur schwer machbar wäre. Dagegen könnten bei Wirtschaft­sthemen ÖVP und Neos relativ leicht auf eine einheitlic­he Linie kommen. Schwierig wird es bei Sozialthem­en zwischen allen drei Parteien (auch zwischen Neos und Grünen). Und schwer lösbar wird der Migrations­bereich, in dem Grüne und Neos Maßnahmen der früheren Regierung rückgängig machen wollen, was für die ÖVP kaum machbar ist.

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[ APA] Bald starten dann die Sondierung­sgespräche und die Koalitions­verhandlun­gen.

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