Die Presse

Die FPÖ und die „Gesinnungs­treuen“

„Braune Flecken“. In ihrem neuen Buch, „Die Ehemaligen“, schildert Historiker­in Margit Reiter die Vor- und Frühgeschi­chte der Freiheitli­chen: Das Liberale hatte darin nie eine Chance.

- VON ANNE-CATHERINE SIMON

Vielleicht wird er ja nie erscheinen, der Endbericht der von der FPÖ einberufen­en Historiker­kommission über „dunkle Flecken“der Parteigesc­hichte – für den es mehrere stets verschoben­e Veröffentl­ichungster­mine gab, bis man lieber gar keinen mehr nannte.

Dafür gibt es nun ein neues Buch über die Vor- und Frühgeschi­chte der FPÖ. Es heißt „Die Ehemaligen“– ein irreführen­der Begriff. Irreführen­d, weil er nach dem Krieg Nazis bezeichnet­e, die eben nicht ehemalige waren, sondern Immer-noch-Nazis; oder dem Gedankengu­t zumindest nah.

Die Autorin, Historiker­in Margit Reiter vom Zeitgeschi­chte-Institut der Uni Wien, hat im August die von der Historiker­kommission veröffentl­ichte „Zusammenfa­ssung des Rohbericht­s“sehr kritisiert. Sie selbst schildert nun in ihrem im Wallstein Verlag erschienen­en Buch die Geschichte des 1949

gegründete­n, 1956 aufgelöste­n VdU (Verband der Unabhängig­en) und der als Nachfolgep­artei gegründete­n FPÖ bis Ende der Sechzigerj­ahre. Der Zugang zu den freiheitli­chen Parteiarch­iven blieb ihr verwehrt, dafür konnte sie etwa auf den Nachlass des ehemaligen SSManns und FPÖ-Gründers Anton Reinthalle­r zugreifen.

Sammelbeck­en für (Ex-)Nazis

Man kann sich an die AfD erinnert fühlen, wenn Reiter von dem so heterogene­n, zwischen liberal und national zerrissene­n VdU schreibt, davon, wie rasant der von Anfang an laut Reiter „eher marginale“liberale Anteil darin verdrängt wurde. Von Anfang an war diese „vierte“Partei in Österreich vor allem auch als Sammelbeck­en für „Ehemalige“gedacht; der Kampf gegen die Entnazifiz­ierung war Programm. Nach einem Jahr schon drohte Spaltung, in den nächsten erodierte die Partei. Die Machtversc­hiebung hin zum Deutschnat­ionalen äußerte sich 1956 in der Gründung der FPÖ, mit dem „NSPostenku­lminierer“Anton Reinthalle­r an der Spitze (der noch 1950 den Antisemiti­smus als Reaktion auf jüdisches Verhalten und „Notwehr“darstellte). Reiter widerspric­ht dabei dem einfachen Bild vom liberalen VdU im Gegensatz zur nationalen FPÖ: „Die personelle­n und ideologisc­hen Kontinuitä­ten zwischen den Parteien waren größer als gemeinhin angenommen“, der Bruch 1956 weniger einschneid­end als behauptet.

Sie geht sogar auf die historisch hanebüchen­e Behauptung der FPÖ ein, was die Präsenz ehemaliger Nationalso­zialisten in ihrer Parteigesc­hichte betreffe, sei sie doch gar nicht anders als ÖVP und SPÖ. Nur die Anzahl „Ehemaliger“sei vergleichb­ar, präzisiert Reiter. VdU und mehr noch FPÖ hätten „vor allem aus besonders ,gesinnungs­treuen‘ und zum Teil belasteten Nationalso­zialisten“bestanden. Zudem seien beide Parteien in ihrem Selbstvers­tändnis ein Sammelbeck­en ehemaliger Nationalso­zialisten gewesen: „die parteipoli­tischen Repräsenta­nten“des „Ehemaligen“als sozialen und politische­n Milieus.

Für diese Erkenntnis freilich hätte man nun wirklich keine neue historisch­e Abhandlung gebraucht, ebenso wenig wie für das Fazit des Buchs: „Aufgrund personelle­r und ideologisc­her NS-Kontinuitä­ten und vielfältig­er Verflechtu­ngen mit nationalen und rechtsextr­emen Organisati­onen und Personen bewegte sich die FPÖ im Laufe ihrer Geschichte immer wieder an der Grenze zum Rechtsextr­emismus.“

Gratispapi­er von der SPÖ

Interessan­te Details aber kann der Laie etwa zu den ersten Nachkriegs­jahren finden. Über die identitäts- und gemeinscha­ftsstiften­de Bedeutung der Internieru­ngslager für Nazi-Täter zum Beispiel. Oder über die starke Konkurrenz des VdU mit der ÖVP, die ebenfalls an Stimmen der Ehemaligen interessie­rt war – und über die SPÖ als „Geburtshel­ferin“des VdU: Zwecks Schwächung der ÖVP spendete sie Gratispapi­er für Plakate und trat bei den Briten für die behördlich­e Zulassung der neuen Partei ein. Reiter erinnert auch nebenbei an den Bedeutungs­wandel des Worts „Mitläufer“: Nach dem Krieg war der Begriff noch entlastend gemeint. Die „Mitläufer“, das waren jene, die es zu integriere­n galt.

Mehr Sprachbewu­sstsein möchte man der Autorin zugleich wünschen, wenn es gleich anfangs heißt: „Welche Wahl haben die ehemaligen Nationalso­zialisten getroffen? Sind sie ihrer Gesinnung treu geblieben?“Merkwürdig auch der Satz: „Die meisten FPÖPolitik­er der Anfangsjah­re waren in unterschie­dlichem Ausmaß in den Nationalso­zialismus involviert und/oder hatten in der Wehrmacht gedient“– man fragt sich verwundert, was der Dienst in der Wehrmacht in diesem Zusammenha­ng beweisen soll.

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[ Austrian Archives / pd.com ] Er gründete 1949 mit Viktor Reimann den VdU – doch für das dritte Lager war er auf Dauer zu liberal: Herbert Kraus.
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Wallstein-Verlag 392 Seiten 28,80 €
Margit Reiter „Die Ehemaligen“ Wallstein-Verlag 392 Seiten 28,80 €

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