„Schutzmacht der Armen und der Fleißigen“
Interview. Ex-SPÖ-Bundesgeschäftsführer Max Lercher will in den Nationalrat. Seine Partei, sagt er, brauche wieder eine große wirtschaftspolitische „Erzählung“. Eine Rückkehr in die steirische Landespolitik schließt er nicht definitiv aus.
Die Presse: Können Sie mir helfen? Ich weiß noch immer nicht, was das Hauptthema der SPÖ im Wahlkampf ist. Max Lercher: Ich würde sagen: die Forderung nach dem Mindestlohn. Die Gerechtigkeitsfrage und die soziale Frage sind der Markenkern der Sozialdemokratie – ob man will oder nicht.
Sie fordern für die Obersteiermark einen höheren Mindestlohn als Pamela Rendi-Wagner: 1800 statt 1700 Euro. Ist das Leben dort so viel teurer? Mein Programm ist ein langfristiges Maximumkonzept, wie Sozialdemokratie im ländlichen Raum funktionieren könnte. Es geht um eine Vision. Da wollte ich nicht gleich in Kompromissen denken.
Als Ex-Bundesgeschäftsführer sehen Sie sicher das strategische Dilemma Ihrer Partei: 2017 konnte man viele Grün-affine Wähler gewinnen. Das wird nun nicht mehr klappen. Aber um jene anzusprechen, die zwischen SPÖ und FPÖ stehen, ist Rendi-Wagner als junge, urbane Frau wohl die falsche Kandidatin. Ich habe immer gesagt: Wenn sich die Grünen erholen, muss man sein Potenzial anderswo suchen. Pamela Rendi-Wagner ist mit Sicherheit eine ausgezeichnete Kandidatin für christlich-soziale Wähler, die sich bei Sebastian Kurz nicht mehr so wohlfühlen.
Die wählen doch grün. Hier gibt es schon ein umkämpftes Potenzial. Und was den Austausch zwischen SPÖ und FPÖ betrifft, da kann man beispielsweise mit Rainer Wimmer punkten (Anm.: Der FSG-Chef ist Zweiter auf der Bundesliste). Aber das Wichtigste sind die Nichtwähler. Die muss man mit der eigenen Geschichte mobilisieren.
Welche Geschichte? Wenn ich mit Voest-Arbeitern spreche, führen wir eine echte Grundsatzdiskussion, da geht es um einen wirtschaftlichen Systemwandel. Die machen hohe Gewinne, und gibt es 400 statt 600 Millionen Gewinn, folgen sofort „Strukturanpassungen“. Die Leute sehnen sich nach einer großen, authentischen politischen Erzählung. Die Geschichte vom großen wirtschaftlichen Systemwandel hätte ich in den vergangenen Wochen im Wahlkampf so nicht gehört. Beim Mindestlohn schwingt das mit. Aber im Wahlprogramm formuliert man eben anders. Und mein Anspruch ist eine sozialdemokratische Erzählung, die über den Wahltag hinausgeht.
Aber wenn sich die Leute, wie Sie sagen, nach dieser Erzählung sehnen, müsste die SPÖ nicht dringend jetzt darüber reden? Medial sind gerade Hacker-Angriffe und Schredderungen interessanter. Die Leute interessiert das großteils nicht. Es hat nichts mit ihrem Leben zu tun. Wir müssen die wirtschaftspolitische Frage intern diskutieren und zwar so, dass das Ergebnis von allen getragen wird, bevor sie zu einer Haupterzählung der Sozialdemokratie werden kann.
Ist es nicht ein bisschen spät für Selbstfindung? Es geht dabei nicht nur um den Wahlkampf. Es geht um ein langfristiges Fundament für eine neue Glaubwürdigkeit.
Glauben Sie, dass die SPÖ die Arbeiter und Arbeiterinnen je von der FPÖ zurückholen kann? Ja, davon bin ich überzeugt.
Worauf gründet sich der Optimismus? Reden wir nicht nur von Arbeitern im klassischen Sinn, sondern von Lohnabhängigen, die jeden Tag in der Früh aufstehen und für die der Druck immer größer wird, weil der Reallohn nicht mitsteigt. Wenn wir bedingungslos Politik für diese Menschen machen und ein System infrage stellen, das diese Fleißigen nicht mehr belohnt, dann bin ich überzeugt, dass sie zurückkommen.
Sie reden von den Fleißigen, die viel leisten. Aber wird die SPÖ nicht vor allem als Partei jener gesehen, die Hilfe vom Staat brauchen? Natürlich sind wir die Schutzmacht der Armen, aber auch der Fleißigen. Aber Teil zwei dieses Images ist verloren gegangen. Ganz sicher haben wir den verloren, sonst würden die Menschen nicht die FPÖ wählen. Deshalb müssen wir wieder kämpfen und dürfen nicht eine bloß verwaltende Kraft sein, was wir leider da oder dort waren.
Wenn das Thema Arbeit so zentral ist: Wie sehen Sie die Erhöhung vieler Pensionen weit über der Inflation – und den Lohnabschlüssen? Die SPÖ ist dafür, die Arbeiterkammer sieht das kritischer. Ich stehe voll dazu. Und „die Arbeiterkammer“, das stimmt nicht. Nur eine Person hat etwas gesagt. Beim Thema Pensionen würde ich aber an anderer Stelle sogar noch weiter gehen: Man könnte in bestehende Luxuspensionen eingreifen und dann zu Mindestpensionen umverteilen.
Wann beginnt Luxus? Diskussionsgrundlage sind 13.000 Euro im Monat. Für mich persönlich ginge es schon ab 8000 Euro. Pensionen in dieser Höhe versteht kein Mensch.
Sie haben vorhin gesagt: Die Sozialdemokratie muss mehr kämpfen. Soll man dann Juniorpartei einer mächtigen ÖVP werden? Regieren darf man nur, wenn man spürbare Inhalte durchbringt. Wenn die Sozialdemokratie in eine Regierung geht, wäre sie gut beraten, Pflöcke einzuschlagen. Sonst enden wir wie die SPD. Also beispielsweise Rücknahme der 60-Stunden-Woche, Vermögensteuern und für den Anstand parteifreie Innen- und Justizministerien als unverhandelbare Bedingungen.
Wollen Sie eigentlich mehr als ein Nationalratsmandat– wieder eine leitende Funktion? Ich denke nicht in Posten. Habe ich nie gemacht.
Auch die Steiermark wählt. Früher als gedacht und gegen den Wunsch der SPÖ. Wenn man genau liest, schließen Sie eine Rückkehr in die Landespartei nicht aus. Die Journalisten haben mich gefragt: Herr Lercher, werden Sie jetzt Landesparteivorsitzender? Ich habe mir gedacht: What? Nein! Wir haben doch den Michael Schickhofer. Der macht das super, und mit dem gehen wir in die Wahl.
Dann frage ich anders: Schließen Sie definitiv aus, dass Sie nach der Wahl die steirische SPÖ übernehmen, wenn man Sie fragt? Ich bin 32 Jahre alt und stehe nicht gerade vor der Pensionierung. Ich kann nur davon sprechen, was ich heute tue. Ich kandidiere leidenschaftlich für den Nationalrat und habe derzeit keine anderen Ambitionen.