Die Presse

Erdo˘gans Freundscha­ft mit Putin hilft der Türkei in Syrien wenig

Syrien-Krieg. Der türkische Präsident rief die Präsidente­n Russlands und des Iran zu einem Dreier-Gipfel nach Ankara. Die Lage im syrischen Idlib wird immer verzweifel­ter.

- Von unserem Korrespond­enten THOMAS SEIBERT

Die Begrüßung war herzlich. „Schön, dich zu sehen. Wie geht es dir?“, fragte Recep Tayyip Erdogan˘ seinen Gast Wladimir Putin auf Englisch. Die Präsidente­n der Türkei und Russlands umarmten sich und stiegen lachend die Treppe zu Erdogans˘ Palast in Ankara hinauf. Mehr als ein halbes Dutzend Mal haben sich die beiden Politiker in diesem Jahr schon gesehen. Erdogan˘ hält große Stücke auf ein gutes persönlich­es Verhältnis zu mächtigen Staatschef­s. Doch in Syrien nützt der Türkei seine Freundscha­ft mit Putin nichts.

Anlass von Putins Besuch in der türkischen Hauptstadt war ein Dreier-Gipfel der Türkei, Russlands und des Iran zur SyrienFrag­e. Das fünfte Spitzentre­ffen des sogenannte­n Astana-Formats mit Putin und Hassan Rohani, dem iranischen Präsidente­n, dauerte am Montagaben­d noch an, doch ein Durchbruch in der wichtigste­n Frage zeichnete sich nicht ab: Die Türkei will erreichen, dass die mit Russland und dem Iran verbündete Regierung Bashar al-Assads in Syrien ihre Offensive in der einzig noch verblieben­en Rebellenho­chburg, Idlib, stoppt. Doch Moskau und Teheran haben andere Prioritäte­n.

Assad, Putins Schützling, saß beim Gipfel in Ankara zwar nicht mit am Tisch. Doch er war am Vortag von hochrangig­en russischen Regierungs­vertretern über das bevorstehe­nde Treffen informiert worden. Assad will Idlib unter seine Kontrolle bringen und wird dabei von der russischen Luftwaffe und proiranisc­hen Gruppen unterstütz­t. Die von der Türkei ausgerüste­ten Rebellenkä­mpfer sowie die radikalen Islamisten der Organisati­on HTS, die in der Gegend das Sagen hat, können der Offensive kaum etwas entgegense­tzen.

Auch in den Tagen vor dem Gipfel in Ankara hatte es in Idlib trotz eines Waffenstil­lstands neue Kämpfe gegeben. Die Lage für viele der drei Millionen Menschen in der Region an der türkischen Grenze wird immer verzweifel­ter. Nach Angaben von Hilfsorgan­isationen und Aktivisten sind Hunderttau­sende Menschen vor den anrückende­n syrischen Regierungs­truppen auf der Flucht; viele müssen in Notbehausu­ngen oder unter freiem Himmel schlafen.

Erdogans˘ Regierung befürchtet, dass bis zu einer Million Syrer versuchen könnten, über die derzeit geschlosse­ne Grenze in die Türkei zu kommen. Mehr als die 3,6 Millionen bereits im Land lebenden Syrer könne die Türkei aber beim besten Willen nicht versorgen, sagte Erdogan˘ in den vergangene­n Tagen mehrmals. Mit der Drohung, notfalls „die Tore zu öffnen“und die Syrer nach Europa reisen zu lassen, will er die EU zur Unterstütz­ung seiner Politik drängen. Dazu gehört der Plan zur Einrichtun­g einer „Schutzzone“im Nordosten Syriens, wo Syrer aus der Türkei angesiedel­t werden sollen.

Aus eigener Kraft kann der türkische Präsident nicht viel tun, um diese Ziele umzusetzen. Der entscheide­nde Mann in der türkischen Syrien-Politik heißt nicht Erdogan,˘ sondern Putin.

Der Kreml-Chef will die Türkei zwar nicht verprellen – er weiß, dass er den größten Nachbarn Syriens eines Tages beim Wiederaufb­au des kriegszers­törten Landes brauchen wird. Auch will Putin die Türkei aus dem westlichen Bündnis herauslöse­n. Deshalb muss Moskau in einigen Fragen auch auf die Türkei eingehen.

Doch das ändert nichts daran, dass Putin in Syrien etwas ganz anderes will als Erdogan˘ – und dass russische Interessen auf die türkischen Befindlich­keiten in der Flüchtling­sfrage nur bedingt Rücksicht nehmen.

Auch die Entscheidu­ng zum Kauf des russischen Luftabwehr­systems S-400 hat die Abhängigke­it der Türkei von Russland erhöht. Es sei nicht ausgeschlo­ssen, dass die Anwesenhei­t russischer Techniker in der Türkei zur Wartung der S-400 mit der Zeit zu einer dauerhafte­n Stationier­ung von russischen Soldaten im Nato-Staat Türkei werde, sagt Kerim Has, Experte für die türkisch-russischen Beziehunge­n. Die Entwicklun­g werde die politische Bewegungsf­reiheit der Türkei nicht nur in Syrien, sondern auch im Kaukasus, auf dem Balkan und in anderen Regionen beeinträch­tigen, sagte Has.

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