Erdo˘gans Freundschaft mit Putin hilft der Türkei in Syrien wenig
Syrien-Krieg. Der türkische Präsident rief die Präsidenten Russlands und des Iran zu einem Dreier-Gipfel nach Ankara. Die Lage im syrischen Idlib wird immer verzweifelter.
Die Begrüßung war herzlich. „Schön, dich zu sehen. Wie geht es dir?“, fragte Recep Tayyip Erdogan˘ seinen Gast Wladimir Putin auf Englisch. Die Präsidenten der Türkei und Russlands umarmten sich und stiegen lachend die Treppe zu Erdogans˘ Palast in Ankara hinauf. Mehr als ein halbes Dutzend Mal haben sich die beiden Politiker in diesem Jahr schon gesehen. Erdogan˘ hält große Stücke auf ein gutes persönliches Verhältnis zu mächtigen Staatschefs. Doch in Syrien nützt der Türkei seine Freundschaft mit Putin nichts.
Anlass von Putins Besuch in der türkischen Hauptstadt war ein Dreier-Gipfel der Türkei, Russlands und des Iran zur SyrienFrage. Das fünfte Spitzentreffen des sogenannten Astana-Formats mit Putin und Hassan Rohani, dem iranischen Präsidenten, dauerte am Montagabend noch an, doch ein Durchbruch in der wichtigsten Frage zeichnete sich nicht ab: Die Türkei will erreichen, dass die mit Russland und dem Iran verbündete Regierung Bashar al-Assads in Syrien ihre Offensive in der einzig noch verbliebenen Rebellenhochburg, Idlib, stoppt. Doch Moskau und Teheran haben andere Prioritäten.
Assad, Putins Schützling, saß beim Gipfel in Ankara zwar nicht mit am Tisch. Doch er war am Vortag von hochrangigen russischen Regierungsvertretern über das bevorstehende Treffen informiert worden. Assad will Idlib unter seine Kontrolle bringen und wird dabei von der russischen Luftwaffe und proiranischen Gruppen unterstützt. Die von der Türkei ausgerüsteten Rebellenkämpfer sowie die radikalen Islamisten der Organisation HTS, die in der Gegend das Sagen hat, können der Offensive kaum etwas entgegensetzen.
Auch in den Tagen vor dem Gipfel in Ankara hatte es in Idlib trotz eines Waffenstillstands neue Kämpfe gegeben. Die Lage für viele der drei Millionen Menschen in der Region an der türkischen Grenze wird immer verzweifelter. Nach Angaben von Hilfsorganisationen und Aktivisten sind Hunderttausende Menschen vor den anrückenden syrischen Regierungstruppen auf der Flucht; viele müssen in Notbehausungen oder unter freiem Himmel schlafen.
Erdogans˘ Regierung befürchtet, dass bis zu einer Million Syrer versuchen könnten, über die derzeit geschlossene Grenze in die Türkei zu kommen. Mehr als die 3,6 Millionen bereits im Land lebenden Syrer könne die Türkei aber beim besten Willen nicht versorgen, sagte Erdogan˘ in den vergangenen Tagen mehrmals. Mit der Drohung, notfalls „die Tore zu öffnen“und die Syrer nach Europa reisen zu lassen, will er die EU zur Unterstützung seiner Politik drängen. Dazu gehört der Plan zur Einrichtung einer „Schutzzone“im Nordosten Syriens, wo Syrer aus der Türkei angesiedelt werden sollen.
Aus eigener Kraft kann der türkische Präsident nicht viel tun, um diese Ziele umzusetzen. Der entscheidende Mann in der türkischen Syrien-Politik heißt nicht Erdogan,˘ sondern Putin.
Der Kreml-Chef will die Türkei zwar nicht verprellen – er weiß, dass er den größten Nachbarn Syriens eines Tages beim Wiederaufbau des kriegszerstörten Landes brauchen wird. Auch will Putin die Türkei aus dem westlichen Bündnis herauslösen. Deshalb muss Moskau in einigen Fragen auch auf die Türkei eingehen.
Doch das ändert nichts daran, dass Putin in Syrien etwas ganz anderes will als Erdogan˘ – und dass russische Interessen auf die türkischen Befindlichkeiten in der Flüchtlingsfrage nur bedingt Rücksicht nehmen.
Auch die Entscheidung zum Kauf des russischen Luftabwehrsystems S-400 hat die Abhängigkeit der Türkei von Russland erhöht. Es sei nicht ausgeschlossen, dass die Anwesenheit russischer Techniker in der Türkei zur Wartung der S-400 mit der Zeit zu einer dauerhaften Stationierung von russischen Soldaten im Nato-Staat Türkei werde, sagt Kerim Has, Experte für die türkisch-russischen Beziehungen. Die Entwicklung werde die politische Bewegungsfreiheit der Türkei nicht nur in Syrien, sondern auch im Kaukasus, auf dem Balkan und in anderen Regionen beeinträchtigen, sagte Has.