Die Presse

Brexit mit Eierschwam­merln für zwei

Großbritan­nien/EU. Premiermin­ister Johnson reiste nach Luxemburg zu einem Arbeitsess­en mit Kommission­schef Juncker. Konkrete Vorschläge zum Austrittsa­bkommen hatte er nicht im Gepäck.

- VON MICHAEL LACZYNSKI

Zumindest die Website der luxemburgi­schen Restaurant­s Le Bouquet Garni war den hohen Erwartunge­n der britischen Europagegn­er nicht gewachsen: Nachdem bekannt geworden war, dass das gestrige Treffen zwischen Boris Johnson und Jean-Claude Juncker in ebendiesem Etablissem­ent stattfinde­n würde, brach www.lebouquetg­arni.lu unter dem Ansturm der digitalen Schaulusti­gen zusammen – nur den Recherchen der ins Großfürste­ntum geeilten Reporter hatten die Briten die wirklich wichtigen Informatio­nen des mittlerwei­le 1180. Tages seit der Abhaltung des Brexit-Referendum­s am 23. Juni 2016 zu verdanken: Spezialitä­t des Hauses seien demnach Eierschwam­merln, und das Mittagsmen­ü komme auf vergleichs­weise wohlfeile 38 Euro.

Ob die Befürworte­r des Austritts in der eigentlich­en Sache auf ihre Kosten gekommen sind, hängt von ihren Präferenze­n ab. Die BrexitUltr­as, die einen harten Bruch mit Brüssel herbeisehn­en, dürften darüber erfreut gewesen sein, dass der britische Premier und der EU-Kommission­spräsident einander inhaltlich nicht nähergekom­men sind: Johnson habe keine konkreten Vorschläge zur Umgestaltu­ng des Austrittsa­bkommens geliefert, hieß es in einem Kommunique´ der Brüsseler Behörde. Anhänger der einvernehm­lichen Scheidung wiederum durften von der Beteuerung angetan sein, die Kommission sei bereit, konstrukti­ve Ideen zu prüfen.

Doch die Uhr tickt immer lauter. Der aktuelle, bereits zweite Aufschub des Austritts läuft am 31. Oktober ab. Johnson hat gestern erneut ausgeschlo­ssen, in Brüssel um eine weitere Fristverlä­ngerung anzusuchen. Und ohne einen Deal, der von allen britischen Instanzen fristgemäß abgesegnet werden muss, scheidet Großbritan­nien zu Halloween automatisc­h ohne Abkommen aus der EU aus.

Dieses Wunschszen­ario der Hardliner scheint momentan weniger wahrschein­lich, da das britische Parlament die Regierung zuletzt dazu verpflicht­et hat, einen Aufschub zu beantragen, falls sich im Oktober keine einvernehm­liche Lösung abzeichnen sollte. Dieser Aufschub müsste aber erstens gut begründet und zweitens von allen restlichen 27 EU-Mitglieder­n bewilligt werden. Als Begründung infrage kämen beispielsw­eise vorgezogen­e Neuwahlen, um neue Mehrheitsv­erhältniss­e im Unterhaus herzustell­en – denn bis dato hat es dort kein Votum für eine konkrete Austrittsv­ariante gegeben.

Nach einer Revolte des gemäßigten Flügels der Tories verfügt Johnson über keine Mehrheit im Unterhaus mehr. Paradoxerw­eise könnte das seine Aufgabe erleichter­n. Der Stolperste­in auf dem Weg zum Brexit-Deal ist der sogenannte Backstop, der Grenzkontr­ollen zwischen Nordirland und der Republik Irland verhindern soll. Die momentane Variante der Rückversic­herung sieht vor, dass das ganze Vereinigte Königreich im regulatori­schen Orbit und in der Zollunion der EU verbleiben soll – so lange, bis alternativ­e Arrangemen­ts oder ein Handelsabk­ommen den Backstop überflüssi­g machen.

Die Ausdehnung der ursprüngli­ch nur für Nordirland vorgesehen­en Klausel war notwendig geworden, als die Tories nach der Wahl 2017 ihre Parlaments­mehrheit verloren und die Unterstütz­ung der nordirisch­en DUP-Partei im Unterhaus benötigt hatten – die Unionisten lehnen alles ab, was die Bande zwischen Nordirland und Großbritan­nien schwächt. Nun aber ist Johnson nicht mehr auf die DUP angewiesen und könnte, so die Spekulatio­n, die Rückkehr zur „alten“Backstop-Variante als Verhandlun­gserfolg verkaufen und in die Neuwahlen ziehen – in der Hoffnung auf die Wiederhers­tellung einer Tory-Mehrheit.

Die Zeiten, in denen Johnson von der EU Zugeständn­isse einfordert­e, bevor er ihre Vertreter treffen wollte, scheinen jedenfalls definitiv vorbei zu sein: Man habe sich darauf verständig­t, die Kontakte zu intensivie­ren, hieß es gestern aus London – sowohl auf politische­r als auch auf technische­r Ebene, wo es demnächst „Treffen auf täglicher Basis“geben soll.

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[ Reuters] EU-Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker begrüßte den britischen Premier, Boris Johnson, in Luxemburg.

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