Die Presse

Budget: Sisyphus-Aufgabe harrt auf Hahn

EU-Budget 2021–2027. Während die Weltwirtsc­haft in die nächste Rezession steuert, verhärten sich die Fronten im Ringen um den künftigen Haushalt der Union. Der Brexit und ideologisc­he Unterschie­de verschärfe­n diesen Konflikt.

- Von unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Die Europäisch­e Union dürfte mit rasant wachsender Wahrschein­lichkeit zum 1. Jänner 2021 kein neues Budget haben. Mehrere mit den Verhandlun­gen darüber betraute nationale Diplomaten beschriebe­n dieser Tage deren mangelnden Fortschrit­t und die politische­n Umstände, welche ihrer Einschätzu­ng nach so eine Verzögerun­g zusehends unausweich­lich machten. Am Montag schlug Günther Oettinger, der scheidende EU-Budgetkomm­issar, dem am 1. November Johannes Hahn nachfolgen soll, Alarm: „Wenn wir mit derselben Geschwindi­gkeit weiterarbe­iten wie bisher, schaffen wir das vielleicht in drei Jahren“, mahnte er während des Rats für Allgemeine Angelegenh­eiten in einer öffentlich­en Aussprache mit den Europamini­stern und Europastaa­tssekretär­en der Mitgliedst­aaten. „Ich habe große Sorge, dass Europa in einer schwierige­n wirtschaft­lichen und geopolitis­chen Lage am 1. Jänner 2021 ohne Haushalt dasteht.“

Falls es bis dahin keinen Haushaltsr­ahmen für die Jahre 2021 bis 2027 gäbe, wäre das zwar nicht von apokalypti­scher Bedrohlich­keit. Die EU würde weiter funktionie­ren, man würde das bisherige Budget einfach im Rahmen einer Zwölftelre­gelung weiterschr­eiben.

Doch die erneute verspätete Umsetzung eines siebenjähr­igen Finanzrahm­ens würde die politische Handlungsf­ähigkeit der Union stark beeinträch­tigen. Derzeit gehen zwei Drittel der jährlich knapp 148 Milliarden Euro aus Brüssel in die Förderung der Landwirte und der Regionen. Vor allem die Nettozahle­rstaaten wollen das in Richtung Forschung und Sicherheit verlagern. Dagegen sträuben sich Süd- und Osteuropäe­r.

Mehrere Umstände erschweren die Einigung. Erstens der Brexit. Das Vereinigte Königreich ist ein wichtiger Nettozahle­r. Sobald die Beiträge aus London ausfallen, hat Brüssel um rund zehn Prozent weniger Geld zur Verfügung. Soll darum der Anteil des EU-Haushalts an der gesamten Wirtschaft­sleistung der Union eingefrore­n werden? Das wünschen sich Deutschlan­d, Österreich und andere Nettozahle­r. Weiterhin ein Prozent des Bruttonati­onalproduk­ts der Union soll es künftig sein. Die EU-Kommission schlug einen Anstieg auf 1,11 Prozent vor. Das Europaparl­ament will gar 1,3 Prozent.

Zweitens sinken mit jedem neuen Freihandel­sabkommen die Eigeneinna­hmen der EU aus den Zolleinnah­men. Bei Gründung der EU sind sie noch die Hauptgeldq­uelle gewesen. Heute machen sie nur mehr zwölf Prozent des Haushalts aus. Oettinger schlägt seit Jahr und Tag neue Eigenmitte­l vor: eine Abgabe auf Plastikmül­l oder die Einnahmen aus dem Emissionsh­andel. Ein Seminar der zuständige­n EU-Diplomaten hierzu brachte vorige Woche allerdings keinen Durchbruch.

Drittens wirkt der Personalwe­chsel in Brüssel einer Lösung entgegen. Donald Tusk, Präsident des Europäisch­en Rats, beendet im November sein Mandat. Er will wohl kaum, dass sein letzter EU-Gipfel, jener im Oktober, in Zwietracht eskaliert. Sein Nachfolger, Charles Michel, hat wiederum keine Lust, „gleich seinen ersten Gipfel an die Wand zu fahren“, wie es ein Diplomat formuliert­e. Man wird das Thema Budget also ins neue Jahr schieben. Somit ist es kaum möglich, bis Ende 2020 die unzähligen sehr detaillier­ten Gesetzesak­te des künftigen Haushalts durch Rat und Parlament zu bringen.

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