Budget: Sisyphus-Aufgabe harrt auf Hahn
EU-Budget 2021–2027. Während die Weltwirtschaft in die nächste Rezession steuert, verhärten sich die Fronten im Ringen um den künftigen Haushalt der Union. Der Brexit und ideologische Unterschiede verschärfen diesen Konflikt.
Die Europäische Union dürfte mit rasant wachsender Wahrscheinlichkeit zum 1. Jänner 2021 kein neues Budget haben. Mehrere mit den Verhandlungen darüber betraute nationale Diplomaten beschrieben dieser Tage deren mangelnden Fortschritt und die politischen Umstände, welche ihrer Einschätzung nach so eine Verzögerung zusehends unausweichlich machten. Am Montag schlug Günther Oettinger, der scheidende EU-Budgetkommissar, dem am 1. November Johannes Hahn nachfolgen soll, Alarm: „Wenn wir mit derselben Geschwindigkeit weiterarbeiten wie bisher, schaffen wir das vielleicht in drei Jahren“, mahnte er während des Rats für Allgemeine Angelegenheiten in einer öffentlichen Aussprache mit den Europaministern und Europastaatssekretären der Mitgliedstaaten. „Ich habe große Sorge, dass Europa in einer schwierigen wirtschaftlichen und geopolitischen Lage am 1. Jänner 2021 ohne Haushalt dasteht.“
Falls es bis dahin keinen Haushaltsrahmen für die Jahre 2021 bis 2027 gäbe, wäre das zwar nicht von apokalyptischer Bedrohlichkeit. Die EU würde weiter funktionieren, man würde das bisherige Budget einfach im Rahmen einer Zwölftelregelung weiterschreiben.
Doch die erneute verspätete Umsetzung eines siebenjährigen Finanzrahmens würde die politische Handlungsfähigkeit der Union stark beeinträchtigen. Derzeit gehen zwei Drittel der jährlich knapp 148 Milliarden Euro aus Brüssel in die Förderung der Landwirte und der Regionen. Vor allem die Nettozahlerstaaten wollen das in Richtung Forschung und Sicherheit verlagern. Dagegen sträuben sich Süd- und Osteuropäer.
Mehrere Umstände erschweren die Einigung. Erstens der Brexit. Das Vereinigte Königreich ist ein wichtiger Nettozahler. Sobald die Beiträge aus London ausfallen, hat Brüssel um rund zehn Prozent weniger Geld zur Verfügung. Soll darum der Anteil des EU-Haushalts an der gesamten Wirtschaftsleistung der Union eingefroren werden? Das wünschen sich Deutschland, Österreich und andere Nettozahler. Weiterhin ein Prozent des Bruttonationalprodukts der Union soll es künftig sein. Die EU-Kommission schlug einen Anstieg auf 1,11 Prozent vor. Das Europaparlament will gar 1,3 Prozent.
Zweitens sinken mit jedem neuen Freihandelsabkommen die Eigeneinnahmen der EU aus den Zolleinnahmen. Bei Gründung der EU sind sie noch die Hauptgeldquelle gewesen. Heute machen sie nur mehr zwölf Prozent des Haushalts aus. Oettinger schlägt seit Jahr und Tag neue Eigenmittel vor: eine Abgabe auf Plastikmüll oder die Einnahmen aus dem Emissionshandel. Ein Seminar der zuständigen EU-Diplomaten hierzu brachte vorige Woche allerdings keinen Durchbruch.
Drittens wirkt der Personalwechsel in Brüssel einer Lösung entgegen. Donald Tusk, Präsident des Europäischen Rats, beendet im November sein Mandat. Er will wohl kaum, dass sein letzter EU-Gipfel, jener im Oktober, in Zwietracht eskaliert. Sein Nachfolger, Charles Michel, hat wiederum keine Lust, „gleich seinen ersten Gipfel an die Wand zu fahren“, wie es ein Diplomat formulierte. Man wird das Thema Budget also ins neue Jahr schieben. Somit ist es kaum möglich, bis Ende 2020 die unzähligen sehr detaillierten Gesetzesakte des künftigen Haushalts durch Rat und Parlament zu bringen.