Chinesischer Premier zweifelt an Wachstumsziel
Konjunktur. Die chinesische Volkswirtschaft sollte heuer um sechs Prozent wachsen, doch nicht einmal Premierminister Li Keqiang glaubt noch, dass dieses ohnehin wenig ambitionierte Ziel erreicht werden kann.
Der Handelskrieg mit den USA macht es China schwer, seine ursprünglichen Wachstumsziele einzuhalten. „Es ist eine ziemlich schwere Aufgabe für eine so große Volkswirtschaft wie China, schnelle Wachstumsraten von mehr als sechs Prozent vor dem Hintergrund der ungewissen internationalen Situation zu wahren“, sagte Premier Li Keqiang vor einem am Montag beginnenden Besuch in Russland.
Peking plant für heuer ein Wachstum von 6,0 bis 6,5 Prozent. Im zweiten Quartal fiel das Wachstum der zweitgrößten Volkswirtschaft aber schon auf 6,2 Prozent – so wenig wie seit fast drei Jahrzehnten nicht mehr. Der Abwärtsdruck nimmt noch zu. Neue Wirtschaftsdaten, die das Statistikamt am Montag veröffentlichte, zeigen eine unerwartet schwache Entwicklung in der Industrieproduktion, dem Einzelhandelsumsatz und den Investitionen in Sachanlagen.
Im August legte die Industrieproduktion im Vergleich zum Vorjahreszeitraum nur noch um 4,4 Prozent zu, und damit noch weniger als im Juli. Da war bereits die geringste Wachstumsrate seit Anfang des vergangenen Jahrzehnts erreicht. Experten hatten damit gerechnet, dass die Produktion wieder etwas anzieht.
Auch der Umsatz im Einzelhandel schwächte sich ab. Er zog im August um 7,5 (Juli: 7,6) Prozent an. Volkswirte hatten erwartet, dass sich der Einzelhandelsumsatz wieder belebte. Auch die Investitionen in Sachanlagen enttäuschten. Sie legten bis Ende August um 5,5 Prozent zu. Hier hatten die Volkswirte ein Plus auf dem bisherigen Niveau von 5,7 Prozent prognostiziert.
Trotz der Entwicklung gab sich Chinas Premier aber optimistisch und pries die „große Widerstandsfähigkeit, das Potenzial und die Möglichkeiten“der chinesischen Wirtschaft. Mit Blick auf die ersten acht Monate sprach Li Keqiang von einer „reibungslosen und nachhaltigen Entwicklung“.
Allerdings gehen Experten davon aus, dass die Notenbank und die Regierung zu weiteren Maßnahmen greifen werden, um die Wirtschaft zu beleben. Auch der Anstieg der Ölpreise nach den Angriffen auf Ölanlagen in Saudiarabien, einem wichtigen Öllieferanten, lässt den Druck steigen.
Experten erwarten aber eine eher gemäßigte Unterstützung der Wirtschaft. Da sich die chinesische Regierung angesichts der Unberechenbarkeit von US-Präsident Donald Trump im Handelskonflikt auf einen „Langen Marsch“einstellt, könnten die Verantwortlichen vorsichtig sein, ihre Munition nicht zu früh zu verschießen.
„Was den politischen Spielraum angeht, glauben wir, dass sowohl die Zentralbank als auch das Finanzministerium viel Platz haben, aber die Frage ist, ob sie ihn nutzen wollen“, sagte Helen Qiao, China-Expertin der Bank of America Merrill Lynch, bei BloombergTV. Sie sei besorgt, dass die politischen Entscheider zögern und ins Hintertreffen geraten könnten, weil sie an die langfristigen Auswirkungen dächten. (ag.)