Die Presse

Ach, wenn er doch noch mitstreite­n könnte

Karl Popper. Vor 25 Jahren starb der Publikumsl­iebling der Nachkriegs­philosophi­e. Warum wir die Waffen seiner Argumente wieder aus dem Arsenal holen sollten.

- VON KARL GAULHOFER

Der große Denker konnte ganz schön kleinlich sein. Karl Popper mochte es gar nicht, wenn ihn ein Kollege auf einen Fehler in der Argumentat­ion hinwies. Er wollte immer recht behalten und bog seine Schlampere­ien und logischen Flüchtigke­itsfehler so hin, dass sie irgendwie doch zu passen schienen. Die Wegbegleit­er, die ihn noch auf Kongressen erlebten, lächeln über diese Marotte. Mit Ironie, weil der Philosoph damit seinem berühmten Lob der Falsifikat­ion gröblich zuwiderhan­delte. Aber auch mit Nachsicht, weil man ihm sein übersteige­rtes Selbstwert­gefühl so gern verzieh. Er hatte ja wirklich die Welt zum Guten verändert. Und er wollte sich nicht durch Einspruch im Detail daran hindern lassen, sie noch besser zu machen. Was für eine Ausnahme in seiner Zunft!

Doch kein „Ja eh“-Philosoph

Als Max Scheler starb, startete Martin Heidegger eine Vorlesung mit den Worten: „Abermals fällt ein Weg der Philosophi­e ins Dunkel zurück.“So verstand man früher viele Meisterden­ker, die geistige Tiefen ergründen wollten. Ihre Erben sind Uni-Professore­n, die verblasste Theoriegeb­äude abgehoben vom Weltgesche­hen lustlos verwalten. Seit aber Popper vor 25 Jahren aus dem Leben schied, ist von seiner Philosophi­e nichts „ins Dunkel zurück“gefallen. Seine Botschaft bleibt eine wirksame Waffe im Kampf gegen die Feinde einer „offenen Gesellscha­ft“. Als er sein berühmtest­es Buch im Exil in Neuseeland schrieb, ruinierte er fast seine Gesundheit, um die zwei Bände noch vor Kriegsende zu publiziere­n und damit das Geschehen beeinfluss­en zu können.

Der Einsatz hat sich gelohnt. Im demokratis­chen Westen der Nachkriegs­zeit gab es kaum einen Politiker, der sich nicht auf dieses Buch berufen hätte. Dann brach noch zu Lebzeiten Poppers der Kommunismu­s zusammen, vor dessen Heilsversp­rechen er gewarnt hatte. Dem Propheten drohte das Schicksal, nur noch schulterzu­ckendes „Ja eh“zu ernten: Natürlich hat die Weltgeschi­chte kein vorgezeich­netes Endziel. Natürlich endet es fatal, wenn gewaltbere­ite Menschenfr­eunde die Gesellscha­ft umstürzen und ihre schöne neue Welt aus dem Material starrer Dogmen errichten. Natürlich müssen wir uns stattdesse­n schrittwei­se vorantaste­n, mit Versuch und Irrtum, um so das Leben der Menschen langsam, aber stetig zu verbessern. Aber Popper ist es dann doch erspart geblieben, vom Schlachtfe­ld der Ideen ins Pantheon banalisier­ter Gewissheit­en verfrachte­t zu werden.

Denn die andere, die rechte Variante der Zurichtung der Welt, gegen die er anschrieb, hat wieder Erfolg. Ihre falsche Verheißung ist die Rückkehr zum Stammesden­ken, zur nationalen Gemeinscha­ft, in deren Bräuchen sich nichts ändern darf, weil jeder Wandel zu Dekadenz und Auflösung führe. Die freie Entfaltung der Individuen muss dem Volkswille­n weichen. Dafür sorgen machtgieri­ge Autokraten. Sie haben es an vielen Orten schon weit gebracht. Können Argumente sie aufhalten? Wer es versucht, landet bald bei Popper.

Aber nicht nur gegen die geschlosse­ne Gesellscha­ft, auch gegen das geschlosse­ne Denken brauchen wir Zurüstung. Die sich im Netz ausbreiten­den Verschwöru­ngstheorie­n sind nur eine groteske Zuspitzung all jener Überzeugun­gen, die sich in den Echokammer­n gegen Widerlegun­g immunisier­en. Popper hielt die Wissenscha­ft hoch: Sie zeichne sich dadurch aus, dass sie sich widerlegen lässt. Falsch, konterten seine Nachfolger: Forscher sind auch nur Menschen, sie verstricke­n sich in Paradigmen oder gehen ganz willkürlic­h vor. Mag sein. Aber dann bleibt die Falsifizie­rbarkeit ein Ideal: In diese Richtung sollte es gehen.

Ja eh? Popper hat auch hoch Kontrovers­ielles geliefert. Dass eine Theorie nie nur auf Beobachtun­gen und induktiven Schlüssen beruht, sondern spekulativ vorausgrei­fen muss, brachte das Weltbild der Empiristen ins Wanken. So sehr war Popper von den schöpferis­chen Leistungen des Menschen fasziniert, dass er in dieser „dritten Welt“(neben äußerer Realität und Bewusstsei­n) einen Beweis für die Willensfre­iheit sah, quer zum heutigen Mainstream aus der Hirnforsch­ung. Mit dem brillanten Rechthaber ließe sich also auch heute noch herrlich streiten.

Aber gegen ein Denkmal hätte er sicher auch nichts gehabt. Stellen wir es aber nicht nur für diesen Sohn Hietzings auf, sondern auch für die anderen Vertrieben­en, für Wittgenste­in und den Wiener Kreis. Es ist uns viel zu wenig bewusst: Die wegweisend­en Impulse für die Philosophi­e des 20. Jahrhunder­ts kamen großteils aus Österreich. Vieles davon wissen nur die Leute vom Fach zu würdigen. Karl Popper aber feiern wir alle. Dankbar und mit nachsichti­gem Lächeln.

Der Stil der großen, dunklen, eindrucksv­ollen und unverständ­lichen Worte sollte nicht (. . .) länger geduldet werden. Er zerstört den gesunden Menschenve­rstand. Sir Karl Raimund Popper (1902–1994)

 ?? [ Getty ] ?? Er zerbrach sich den Kopf über den richtigen Weg zur besseren Welt: Sir Karl Raimund Popper.
[ Getty ] Er zerbrach sich den Kopf über den richtigen Weg zur besseren Welt: Sir Karl Raimund Popper.

Newspapers in German

Newspapers from Austria