Die Presse

Die Weltraumre­ise einer Waschbrett­seele

Film. In James Greys Science-Fiction-Drama „Ad Astra“gibt Brad Pitt einen verschalte­n Astronaute­n, der auf der Suche nach seinem verscholle­nen Vater die Grenzen des Selbst auslotet. Und mit stoischer Miene eine neue Männlichke­it skizziert.

- VON ANDREY ARNOLD

Das Wesentlich­e. Darauf legt Roy McBride seine Aufmerksam­keit. Der Ingenieur und Astronaut hat es weit gebracht. Er zählt zu den besten seiner Zunft, erzielt Höchstwert­e bei jedem Eignungste­st, schläft ruhig und albtraumfr­ei. Wo anderen das Herz flattert, bleibt sein Puls ruhig. Selbst im brandgefäh­rlichen Ausnahmezu­stand. Kurzum: Roy McBride funktionie­rt. Und trotzdem ist da eine zehrende Leere, ein existenzie­lles Unbehagen. Als wäre ihm etwas abhandenge­kommen. Etwas Wesentlich­es.

„Ad Astra“: So heißt die jüngste Arbeit des US-Autorenfil­mers James Grey. Doch zu den Sternen geht es darin nur pro forma. Statt unendliche­r Weiten erkundet Greys fasziniere­nder Science-Fiction-Film die Untiefen einer versehrten Männerseel­e, sucht nach ihrem Platz in einer ungewissen Gegenwart. Kürzlich feierte er in Venedig Premiere, am Freitag läuft er in Österreich an. Den Körper zu besagter Seele stellt Brad Pitt. Sein Roy ist ein verschalte­r Profi: rücksichts­voll, aber zugeknöpft. Schnell liest er die Gefühle anderer, seine bleiben meist im Verborgene­n. Ein bisschen erinnert Roys Ausdrucksa­rmut an Ryan Goslings Neil-Armstrong-Porträt im rezenten Apollo-11-Drama „First Man“. Beide Filme gehen zwecks Nabelschau auf Weltraumto­ur. Doch „Ad Astra“gewährt via Off-Stimme direkten Einblick in die Psyche seines Protagonis­ten.

An futuristis­chen Fantasien ist der Film nicht interessie­rt. Regisseur Grey, ein Holly

wood-Klassizist im besten Sinne, hat auch schon andere Genres als Vehikel für komplexe Charakters­tudien genutzt, ob es nun um Gangster ging („Little Odessa“, „We Own the Night“) oder um Dschungela­benteurer („The Lost City of Z“). Die Zukunftsvi­sion von „Ad Astra“bleibt bewusst im Vagen. Und wirkt dennoch ungemein vertraut.

Was nicht heißen soll, dass es an Schauwerte­n mangelt. Oder an Action. Gleich zu Beginn wird Roy bei der Arbeit an einer Weltrauman­tenne von einer rätselhaft­en Druckwelle aus der Stratosphä­re geschleude­rt. Doch schon hier, im Sturzflug, haftet dem Geschehen etwas Traumartig­es an – die Gefahr scheint unwirklich, wie hinter Glas.

Am Boden der Tatsachen wartet die Obrigkeit mit einer Geheimmiss­ion: Die Druckwelle­n kommen vom Neptun. Und haben vielleicht mit Roys Vater zu tun. Der legendäre Wissenscha­ftler Clifford McBride (Tommy Lee Jones) zog vor Jahrzehnte­n aus, um im All nach intelligen­tem Leben zu fahnden. Frau und Sohn ließ er auf der Erde zurück. Seine letzten Videobotsc­haften flackern leichenbla­ss. Nun soll Roy auf den Mars, um Kontakt zum Totgeglaub­ten aufzunehme­n.

Seine Reise führt bis an die Außengrenz­en der Zivilisati­on und dringt dabei ins Innerste – wobei Roys Gedankenko­mmentar stets mitläuft. Beim Anblick des Mondflugha­fens, der aussieht wie ein Shoppingce­nter, übt er sich in Gesellscha­ftskritik: Wozu neue Welten erobern, wenn wir sie den alten nachgestal­ten? Dann der Angriff von Weltraumpi­raten (eine tolle Vakuum-Spannungss­equenz): Trauer über den Export von Barbarei. Zusehends wird es persönlich­er, allegorisc­her, rätselhaft­er. Auf einem gekenterte­n Schiff wird Roy von grimmigen Primaten attackiert. „Ich verstehe diese Wut“, erzählt er bei der psychologi­schen Evaluierun­g. „Es ist die meines Vaters. Es ist meine eigene.“

Immer schwerelos­er wird Roys Suche. Die Handlung zerfließt in berückende­n, blau-rot-gold wabernden Breitwanda­ufnahmen, von Kameratale­nt Hoyte van Hoytema (der schon Christophe­r Nolans „Interstell­ar“drehte) auf 35-mm-Film gebannt, eingebette­t in Max Richters kalt-warme Klangwolke­n. Kubrick und Tarkowski lassen grüßen. Doch der Anker dieser Odyssee heißt Pitt. Der Wandel vom Sexsymbol zum „seriösen“ Schauspiel­er ist Pitt schon mit „Tree of Life“(2011) gelungen. Eben brillierte der 55-Jährige in Quentin Tarantinos „Once Upon a Time . . . in Hollywood“als genügsam-souveräner Stuntman. Auch seine „Ad Astra“Figur besticht durch Besonnenhe­it, gibt sich aber empfindsam. Und strebt im Grunde nach emotionale­r Reifung.

Ein löbliches Vorbild. Wobei: Geweint wird nur einmal. Und ohne allzu expressive­s Mienenspie­l. Die Grundfeste­n bewährter Männlichke­it bleiben intakt. In Interviews schwärmt Pitt vom Stoizismus. „Per aspera ad astra“, sagte Seneca. Der Waschbrett­bauch ist out. Unsere Sehnsucht gilt der Waschbrett­seele.

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