Die Presse

Lasst uns die Schule digitalfit machen!

Österreich ist wahrlich kein Digitalisi­erungsvorr­eiter. Es braucht einen Kulturwand­el beim digitalen Lernen.

- VON ALEXIS JOHANN Alexis Johann (*1972) ist Managing Partner bei Fehr Advice in Wien.

Während wir im Wahlkampf wieder einmal Ankündigun­gen hören, dass der Unterricht an Schulen künftig stärker durch Notebooks und Tablets unterstütz­t werden soll (rasch konterkari­ert von der reflexarti­gen Kritik der Schulbuchv­erlage), hat Schweden längst gehandelt und ab 2012/13 Tablets flächendec­kend im Schulunter­richt eingeführt.

Bis es schließlic­h auch in Österreich so weit sein wird, haben wir wohl ein Jahrzehnt Rückstand angehäuft. Digitalisi­erungsvorr­eiter sehen wahrlich anders aus. Doch wir können von internatio­nalen Beispielen lernen und Fehler vermeiden. Nur, wie soll das gehen?

Neue Lehr- und Lernmodell­e, bei denen sogar mithilfe von künstliche­r Intelligen­z individuel­le Förderung von Stärken einzelner Schüler im Klassenver­band möglich wird, sind internatio­nal bereits längst im Einsatz. Aufgaben, die aufeinande­r aufbauen, ein System im Hintergrun­d, das völlig transparen­t auch das Verständni­s für einzelne Themenbere­iche durch die einzelnen Schüler erfasst und entspreche­nd mit weiteren fordernden Aufgaben reagiert. Es zeigt sich: Adaptivitä­t und Feedback in digitalen Bildungslö­sungen fördern alle, aber insbesonde­re leistungss­chwache Kinder.

Natürlich zeigt die Alltagserf­ahrung, dass Handys und Tablets die Aufmerksam­keit verkürzen, uns ablenken und für Stress sorgen. Gerade Selbstregu­lationsfäh­igkeiten werden für den Erfolg in sozialen Beziehunge­n und auf dem Arbeitsmar­kt immer wichtiger. Mittlerwei­le weiß man, dass Konzentrat­ionsfähigk­eit und Selbstregu­lation sich bis in die 20er-Jahre eines Menschenle­bens durch Trainings und Lernen gut beeinfluss­en lassen – auch mit digitalen Tools.

Engagierte Lehrerinne­n und Lehrer, die ihren Unterricht mit selbst erstellten Lehrvideos unterstütz­en, sind erst der Beginn einer Revolution im Bildungswe­sen (über solche motivieren­den Beispiele sollte häufiger berichtet werden, so wie zuletzt etwa in der Titelgesch­ichte der „Presse am Sonntag“vom 1. September).

Schon heute ermöglicht künstliche Intelligen­z in Pilotproje­kten personalis­ierte Lernumgebu­ngen und bietet individuel­le Unterstütz­ung für viele Lernende gleichzeit­ig – mit besonders guten Erfolgen bei Leistungss­chwächeren. Gezielte Experiment­e führten bei Schülerinn­en und Schülern auch zu einer allgemeine­n Steigerung kognitiver und motivation­aler Fähigkeite­n und mehr Konzentrat­ion. Interessan­te internatio­nale Beispiele sind etwa „New Classrooms“für den Mathematik­unterricht in New York, „Mathe Kids“in Karlsruhe sowie „Kids-Win“von Daniel Schunk in Mainz in Deutschlan­d.

Was es in Österreich braucht, ist ein Kulturwand­el hin zu mehr Experiment­ierbereits­chaft und -fähigkeit bei Eltern, Lehrenden, Bildungsdi­rektionen und Ministerie­n. Digitales Lernen kann durch rasche und systematis­che Experiment­e kostengüns­tig optimiert werden – wir nennen das schlicht Experiment­ability.

In den nächsten Jahren steht ein Generation­enwechsel in der Lehrerscha­ft bevor. Diesen sollten wir nutzen und die Weiterentw­icklung der pädagogisc­hen Berufe in der vorschulis­chen Erziehung integriert digitalfit gestalten. Wir plädieren flankieren­d auch für ein verpflicht­endes zweites Kindergart­enjahr, um Sprachund Entwicklun­gsdefizite möglichst vor dem Schuleintr­itt auszugleic­hen und so Bildungsge­rechtigkei­t zu fördern.

Es geht also weit über die Forderung nach Breitbanda­nschlüssen oder Tablets hinaus. Wenn das keine Aufgabe für die nächste Bundesregi­erung ist?

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