Die Presse

Jegliche Koalition mit der FPÖ ist zu unterlasse­n

Es sind zu viele Einzelfäll­e, die im FPÖ-Umfeld passieren. Die rechtsextr­eme Gesinnung vieler Funktionär­e gilt längst als Kavaliersd­elikt.

- VON ARIEL MUZICANT

Weit über hundert „Einzelfäll­e“zählen wir seit der Nationalra­tswahl 2017 an antisemiti­schen, rechtsextr­emen oder nationalso­zialistisc­hen Aussagen und Zwischenfä­llen aus der FPÖ und ihrem näheren und weiteren Umfeld. Als Jörg Haider 2005 erkannte, dass mit dem rechtsextr­emen Gedankengu­t kein Staat zu machen ist, führte er die Abspaltung des BZÖ durch. Fast alle „Kellernazi­s“, Burschensc­hafter und Rechtsextr­eme blieben bei der FPÖ. Diese stellen seither den harten Kern der Funktionär­e und führenden Politiker dieser Partei.

Nachdem Heinz-Christian Strache Vizekanzle­r geworden war, dämmerte es auch ihm, dass mit diesen „braunen Rülpsern“Schluss sein muss. Viele glaubten ihm, dass es ihm mit seiner Rede beim WKRBall 2018 ernst war, den Antisemiti­smus in der FPÖ zu beseitigen. Nur Strache hatte weder die Kraft noch die Macht, den Kern seiner

Funktionär­e auszuwechs­eln oder gar zu überzeugen. Das sieht man sehr gut an dem obskuren Resultat seiner sogenannte­n Historiker­kommission. Weder haben die Burschensc­haften ihre Archive geöffnet, noch haben führende Burschensc­hafter in der FPÖ in diese Richtung Druck gemacht. Es ist eher umgekehrt – schaut man sich das Personal der FPÖ an, erkennt man sehr rasch, dass eine erschrecke­nd große Zahl an Burschensc­haftern in den verschiede­nsten Ministerie­n und Institutio­nen des Staates tätig wurden: Alexander Höferl (Gothia Wien), Alois Gruber (Arminia Czernowitz Linz), Andreas Hauer (Corps Alemannia Wien zu Linz), Andreas Reichhardt (Cimbria Wien), Anneliese Kitzmüller (Iduna Linz), Arndt Praxmarer (Suevia Innsbruck), Arnold Schiefer (Teutonia Wien), Arthur Kroismayer (Oberösterr­eicher Germanen Wien), Bernd Stöckl (Tyrol Innsbruck), Bernhard Wieser (Gothia Wels), Christian Hafenecker (Nibelungia Wien), Christof Sommitsch (Schacht Leoben), Detlef Wimmer (Arminia Czernowitz Linz), Dimitrij Grieb (Moldavia Wien), Dominic Keuschnig (Tauriska Klagenfurt), Dominik Nepp (Aldania Wien), Eduard Schock (Aldania Wien), Elmar Podgorsche­k (Germania Ried), Gregor Bertle (Suevia Innsbruck), Georg Watschinge­r (Brixia Innsbruck), Heimo Probst (Allemannia et Nibelungia Graz), Heinrich Sickl (Arminia Graz), Herwig Götschober (Bruna Sudetia Wien), Hubert Erhart (Teutonia Wien, Vapo-Vergangenh­eit), Hubert Keyl (ehemals Albia und Silesia Wien), Johann Gudenus (Aldania Wien, Vandalia Wien), Konrad Belakowits­ch (Silesia Wien), Manfred Haimbuchne­r (u. a. Corps Alemannia Wien Linz), Markus Hein (Arminia Czernowitz Linz), Martin Graf (Olympia), Maximilian Krauss (Aldania Wien), Michael Klug (Gothia Graz), Michael Raml (Arminia Czernowitz Linz), Thomas Hüttner (Ghibellini­a Wien, Gothia Meran, Markomanni­a Eisenstadt), Thomas Kickinger

(Oberösterr­eicher Germanen in Wien), Udo Landbauer (ehemals Germania Wiener Neustadt), Ulrich Püschel (Arminia Czernowitz Linz), Volker Reifenberg­er (u. a. Corps Frankonia-Brünn Salzburg und Teutonia Graz), Walter Rosenkranz (Libertas Wien), Werner Kuich (Libertas Wien) – wurde abgelehnt, Wolfgang Sedelmaier (Bruna Sudetia Wien)*.

Die Liste ist nicht vollständi­g.

Nach außen stets demokratis­ch

Die Burschensc­haften wurden zwar 1938 aufgelöst, viele ihrer Mitglieder wurden aber zu führenden Persönlich­keiten des NS-Regimes (z. B. Ernst Kaltenbrun­ner – Chef des Reichssich­erheitshau­ptamts, 80 % der Burschensc­hafter in Innsbruck traten der NSDAP bei, 30 % der SS). Nach 1945 haben Teile der deutschen und einzelne österreich­ische Burschensc­haften versucht, Antisemiti­smus und nationalso­zialistisc­hes Gedankengu­t aus den Burschensc­haften zu eliminiere­n. Es waren aber gerade die österreich­ischen wie Olympia, die diese Entwicklun­g blockiert haben.

Es stellt sich die Frage: Was sind „Kellernazi­s“, und warum ist dieses Netzwerk so gefährlich? Als 1992 das Verbotsges­etz geändert und das Strafausma­ß reduziert wurde, haben die Gerichte in einem wesentlich größeren Umfang begonnen, Verstöße gegen das Verbotsges­etz zu ahnden. So kamen Dutzende Nazis und Neo-Nazis hinter Gitter (Küssel, Ochsenberg­er usw.). Die Intelligen­teren unter ihnen verstanden daher sehr rasch, dass man nach außen hin – vor allem, wenn man in der Politik tätig sein will – ein demokratis­ches, freundlich­eres, österreich­nationales Bild abgeben muss. Deutschnat­ionale, antisemiti­sche und neonazisti­sche Ideologien durften also nur noch im „Keller“bzw. „auf den Buden“verbreitet werden. Daher prägte Hans-Henning Scharsach 2003 diesen Ausdruck der „Kellernazi­s“. Vor gar nicht so langer Zeit hat Norbert Hofer die Abschaffun­g der Verbotsges­etze gefordert, und Walter Rosenkranz rechtferti­gt die Ausrutsche­r seiner Parteifreu­nde damit, dass sie nicht rechtskräf­tig verurteilt sind. Harald Vilimsky wiederum verunglimp­ft jegliche Kritik als „Gesinnungs­terror“oder als „linke Jagdgesell­schaft“. Spricht man mit Vertretern von ÖVP oder SPÖ, bekommt man auch das Argument zu hören: „Schließlic­h sind ,die‘ ja demokratis­ch gewählt, und in einer Demokratie muss man mit jedem zusammenar­beiten können.“

Aus der leidvollen Geschichte des Judentums habe ich für all das kein Verständni­s. Kickl, Vilimsky & Co. verstehen es, mit der Sprache zu hetzen, zu verunglimp­fen und die Gesellscha­ft zu spalten – das hat am Ende immer zu Gewalt, Leid oder sogar Krieg geführt, und wir Juden waren oft die Opfer. Egal, gegen wen es geht, ob es gegen Juden und heute vorwiegend Muslime und Ausländer geht, man kann und darf nicht wegschauen. Eine Kostprobe haben uns die vergangene­n 17 Regierungs­monate geliefert. Wenn Politik vor Recht gehen soll, wenn Menschen „konzentrie­rt“werden, wenn der Überwachun­gsstaat ausufert und das Bundesamt für Verfassung­sschutz und Terrorismu­sbekämpfun­g (BVT) mutwillig zerstört wird, wenn eine Mitarbeite­rin des BVT, die sich mit dem Rechtsextr­emismus beschäftig­t, unter Druck gesetzt wir, wenn man damit liebäugelt, Zeitungen zu kaufen (Strache und Gudenus), dann werden viele rote Linien überschrit­ten.

Erschrecke­nd ist aber, dass nach alledem Sebastian Kurz, Hans Peter Doskozil und Klaus Luger eine neuerliche Koalition mit der FPÖ nicht ausschließ­en wollen bzw. Landeshaup­tmann Thomas Stelzer diese fortführt. Es ist wohl nicht zu ändern, dass fast eine Million Österreich­er trotz dieses Wissens um die Nähe vieler FPÖFunktio­näre zum nationalso­zialistisc­hen Gedankengu­t, Antisemiti­smus und Deutsch-Nationalis­mus diese Partei wählen. Es ist die Enttabuisi­erung in Österreich seit Kreisky und Haider wohl so weit, dass man diese politische Gesinnung als Kavaliersd­elikt ansieht. Aber jene Parteien, die seit 1945 die Zweite Republik mitbegründ­et haben, sollten verantwort­ungsvoller sein und nicht die Augen verschließ­en vor der „braunen Gefahr“.

Wenn es also in Bund, Ländern oder Gemeinden um die Mehrheit bzw. um die Macht geht, sollten ÖVP und SPÖ zum Wohl des Landes und der Zukunft unserer Kinder ihre Differenze­n zurückstel­len und jegliche Koalition mit den „Kellernazi­s“unterlasse­n!

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