Warum sachlich bleiben, wenn es auch persönlich geht
Macht die SPÖ neuerdings auf Blau? ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian wollte die Vermögensteuer thematisieren. Stattdessen beleidigte er eine Frau.
Politikerinnen und Politiker sind Markenartikel, ihre Auftritte sind von PR-Managern und Beratern durchgestylt, Reden werden von Mitarbeitern zurechtgeschliffen. Doch die Redenschleifer, Ich-AG-Zulieferanten und Imagepoliteure kommen mit der Arbeit offenbar kaum nach. Oder wie sonst ist die ordinäre Wortwahl von ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian, bis 2018 SP-Abgeordneter zum Nationalrat, beim Wahlkampfauftakt der sozialdemokratischen Gewerkschafter erklärbar? Ist ihm „die Aufg’spritzte mit ihrer Zwei-MillionenKette“über Heidi Goess-¨Horten, die bekanntlich der ÖVP knapp eine Million Euro gespendet hat, spontan herausgerutscht, weil die Stimmung grad so schön bierzeltig aufgeganselt war? Reden Gewerkschaftsmänner so miteinander? Und so über Frauen? Dass Politiker ihr Hirn anknipsen, wenn sie – und wo sie (z. B. Ursula Stenzel bei einer Identitären-Veranstaltung) – reden, ist offenbar zu viel verlangt.
Gemäß dem Motto „Warum sachlich bleiben, wenn’s auch persönlich geht“scheint Katzian Anleihen bei weiland Jörg Haider genommen zu haben, der bei seinen rundumschlagenden Reden für ein paar billige Lacher und Schenkelklopfer verlässlich jeglichen politischen Anstand und Respekt sausen ließ. Dessen Pointenlieferant war übrigens Herbert Kickl, der den samstäglichen FP-Parteitag mit Preziosen wie „faule Früchte der Willkommenspolitik“garnierte, Flüchtlinge als „Facharbeiter für das Hantieren unter der Gürtellinie“beschimpfte sowie erst am vergangenen Wochenende seinen Widersachern einen „rechten (sic!) Haken“androhte, während Norbert Hofer eifrig Kreide verspeiste. FPÖ neu eben. Aber warum macht jetzt auch die SPÖ auf Blau?
Nach Katzian sprachen etliche kluge Frauen, unter anderem die ÖGB-Frauenvorsitzende und Vize-Präsidentin Korinna Schuhmann, sowie SP-Chefin Pamela Rendi-Wagner. Im Publikum saßen welche, die eventuell auch schon Erst- und Zweitkontakte mit einem Schönheitschirurgen ihres Vertrauens hinter sich hatten. Und? Ob und wie sich Frauen das
Gesicht herrichten (lassen), geht niemanden was an und hat vor allem genau nichts in einer politischen Debatte zu suchen. Doch keine der Rednerinnen korrigierte Katzians abfällige Bemerkung mit dem sachlichen Hinweis, dass es der SPÖ nicht um das Aussehen gehe, sondern um konstruktive Kritik und lösungsorientierte Zukunftspolitik.
Erstaunlich verhalten waren auch die (sozial-)medialen Reaktionen auf die gewerkschaftspräsidentiale Ausfälligkeit, gegen die der viel gescholtene „Verblödet“-Sager der Schauspielerin Christiane Hörbiger ja nachgerade nobel war. Ach so, es trifft ja eh nur eine Milliardärin. Die darf man offenbar prügeln, wenn man eigentlich Sebastian Kurz schlagen will.
Selbstverständlich ist die Diskussion demokratiepolitisch wichtig, ob Politik käuflich ist; ob sich Großspender einen Vorteil erhoffen, wenn sie eine Partei unterstützen, und wenn ja, welchen. Ebenso diskussionswürdig ist das Faktum, dass dank des von SP, FP und Liste Jetzt beschlossenen Parteienfinanzierungsgesetzes Wahlveranstaltungen beispielsweise der sozialdemokratischen Gewerkschafter nicht das SPWahlbudget belasten, was einer ziemlich kräftigen Spende gleichkommt. Mit dem Unterschied, dass Leute wie Goess-¨Horten oder, im Fall der Neos, Hans Peter Haselsteiner nicht im Nationalrat sitzen und Gesetze mitbeschließen, FSGler aber schon. Das ist auch gut so.
Wahlkampf ist, wie Wiens Ex-Bürgermeister Michael Häupl einmal so treffend formulierte, die Zeit fokussierter Unintelligenz. Daher sollte man tatsächlich nicht jede Polemik auf die Goldwaage legen. Andererseits: Sind die Worte des ÖGB-Präsidenten wirklich derart un(ge)wichtig? Und die einer Schauspielerin um so viel (ge)wichtiger? Wer wählt die SPÖ wegen Katzians Goess-¨Horten-Beleidigung, wer die ÖVP wegen Hörbigers Kurz-Anhimmelung? Oder ist eh alles nur Theaterdonner? Fein, dass der Spuk bald ein Ende hat.
Wer wählt die SPÖ wegen Katzians Go¨ess-HortenBeleidigung, wer die ÖVP wegen Hörbigers KurzAnhimmelung?