Die Presse

Warum sachlich bleiben, wenn es auch persönlich geht

Macht die SPÖ neuerdings auf Blau? ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian wollte die Vermögenst­euer thematisie­ren. Stattdesse­n beleidigte er eine Frau.

- VON ANDREA SCHURIAN E-Mails an: debatte@diepresse.com

Politikeri­nnen und Politiker sind Markenarti­kel, ihre Auftritte sind von PR-Managern und Beratern durchgesty­lt, Reden werden von Mitarbeite­rn zurechtges­chliffen. Doch die Redenschle­ifer, Ich-AG-Zulieferan­ten und Imagepolit­eure kommen mit der Arbeit offenbar kaum nach. Oder wie sonst ist die ordinäre Wortwahl von ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian, bis 2018 SP-Abgeordnet­er zum Nationalra­t, beim Wahlkampfa­uftakt der sozialdemo­kratischen Gewerkscha­fter erklärbar? Ist ihm „die Aufg’spritzte mit ihrer Zwei-MillionenK­ette“über Heidi Goess-¨Horten, die bekanntlic­h der ÖVP knapp eine Million Euro gespendet hat, spontan herausgeru­tscht, weil die Stimmung grad so schön bierzeltig aufgeganse­lt war? Reden Gewerkscha­ftsmänner so miteinande­r? Und so über Frauen? Dass Politiker ihr Hirn anknipsen, wenn sie – und wo sie (z. B. Ursula Stenzel bei einer Identitäre­n-Veranstalt­ung) – reden, ist offenbar zu viel verlangt.

Gemäß dem Motto „Warum sachlich bleiben, wenn’s auch persönlich geht“scheint Katzian Anleihen bei weiland Jörg Haider genommen zu haben, der bei seinen rundumschl­agenden Reden für ein paar billige Lacher und Schenkelkl­opfer verlässlic­h jeglichen politische­n Anstand und Respekt sausen ließ. Dessen Pointenlie­ferant war übrigens Herbert Kickl, der den samstäglic­hen FP-Parteitag mit Preziosen wie „faule Früchte der Willkommen­spolitik“garnierte, Flüchtling­e als „Facharbeit­er für das Hantieren unter der Gürtellini­e“beschimpft­e sowie erst am vergangene­n Wochenende seinen Widersache­rn einen „rechten (sic!) Haken“androhte, während Norbert Hofer eifrig Kreide verspeiste. FPÖ neu eben. Aber warum macht jetzt auch die SPÖ auf Blau?

Nach Katzian sprachen etliche kluge Frauen, unter anderem die ÖGB-Frauenvors­itzende und Vize-Präsidenti­n Korinna Schuhmann, sowie SP-Chefin Pamela Rendi-Wagner. Im Publikum saßen welche, die eventuell auch schon Erst- und Zweitkonta­kte mit einem Schönheits­chirurgen ihres Vertrauens hinter sich hatten. Und? Ob und wie sich Frauen das

Gesicht herrichten (lassen), geht niemanden was an und hat vor allem genau nichts in einer politische­n Debatte zu suchen. Doch keine der Rednerinne­n korrigiert­e Katzians abfällige Bemerkung mit dem sachlichen Hinweis, dass es der SPÖ nicht um das Aussehen gehe, sondern um konstrukti­ve Kritik und lösungsori­entierte Zukunftspo­litik.

Erstaunlic­h verhalten waren auch die (sozial-)medialen Reaktionen auf die gewerkscha­ftspräside­ntiale Ausfälligk­eit, gegen die der viel gescholten­e „Verblödet“-Sager der Schauspiel­erin Christiane Hörbiger ja nachgerade nobel war. Ach so, es trifft ja eh nur eine Milliardär­in. Die darf man offenbar prügeln, wenn man eigentlich Sebastian Kurz schlagen will.

Selbstvers­tändlich ist die Diskussion demokratie­politisch wichtig, ob Politik käuflich ist; ob sich Großspende­r einen Vorteil erhoffen, wenn sie eine Partei unterstütz­en, und wenn ja, welchen. Ebenso diskussion­swürdig ist das Faktum, dass dank des von SP, FP und Liste Jetzt beschlosse­nen Parteienfi­nanzierung­sgesetzes Wahlverans­taltungen beispielsw­eise der sozialdemo­kratischen Gewerkscha­fter nicht das SPWahlbudg­et belasten, was einer ziemlich kräftigen Spende gleichkomm­t. Mit dem Unterschie­d, dass Leute wie Goess-¨Horten oder, im Fall der Neos, Hans Peter Haselstein­er nicht im Nationalra­t sitzen und Gesetze mitbeschli­eßen, FSGler aber schon. Das ist auch gut so.

Wahlkampf ist, wie Wiens Ex-Bürgermeis­ter Michael Häupl einmal so treffend formuliert­e, die Zeit fokussiert­er Unintellig­enz. Daher sollte man tatsächlic­h nicht jede Polemik auf die Goldwaage legen. Anderersei­ts: Sind die Worte des ÖGB-Präsidente­n wirklich derart un(ge)wichtig? Und die einer Schauspiel­erin um so viel (ge)wichtiger? Wer wählt die SPÖ wegen Katzians Goess-¨Horten-Beleidigun­g, wer die ÖVP wegen Hörbigers Kurz-Anhimmelun­g? Oder ist eh alles nur Theaterdon­ner? Fein, dass der Spuk bald ein Ende hat.

Wer wählt die SPÖ wegen Katzians Go¨ess-HortenBele­idigung, wer die ÖVP wegen Hörbigers KurzAnhimm­elung?

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria