Die Presse

Darf Österreich „abtrünnige“Ärzte bestrafen?

Analyse. Die ÖVP will, dass Medizinabs­olventen eine Zeit lang im Inland arbeiten. Sonst sollen sie einen Teil der Studienkos­ten zurückzahl­en. Aber ist das rechtlich möglich? Das hängt von der Interpreta­tion eines Südtiroler Falls ab.

- VON PHILIPP AICHINGER

Es ist ein Dilemma: Einerseits haben EU-Bürger das Recht, überall in der Union zu studieren. Anderersei­ts führt dies dazu, dass Österreich sich sorgt, nicht mehr genug Ärzte zu haben. Denn die heimischen Unis sind insbesonde­re bei deutschen Numerus-claususFlü­chtlingen begehrt. Diese gehen mit dem Doktortite­l in der Tasche aber gerne wieder nach Hause. Kann man also abtrünnige Mediziner sanktionie­ren, wie es die ÖVP nun in ihrem Wahlprogra­mm vorschlägt?

Sie will, dass Mediziner einen Teil der Studienkos­ten zurückzahl­en müssen, wenn sie nicht eine gewisse Zeit in Österreich als Arzt arbeiten. Diese Verpflicht­ung könnte aber mit dem Europarech­t kollidiere­n, weil Bürgern damit Steine in ihrem Recht auf Freizügigk­eit in den Weg gelegt werden. Anderersei­ts könnte eine vor knapp zwei Jahren ergangene Gerichtsen­tscheidung den Weg für Sanktionen frei machen. Dabei war es in dem Fall umgekehrt: Es ging um eine Ärztin, die lieber in Österreich bleiben wollte und dafür bestraft wurde.

Die Frau, eine Südtiroler­in, hatte ein Stipendium ihrer Heimatprov­inz bekommen. Bedingung dafür war, dass sie nach der an der Uni Innsbruck absolviert­en Facharztau­sbildung wieder zurückkomm­t. Sie unterzeich­nete eine Verpflicht­ungserklär­ung, laut der sie danach mindestens fünf Jahre in Südtirol arbeiten werde.

Sie blieb aber in Österreich. Der Fall kam vor den Europäisch­en Gerichtsho­f (EuGH). Südtirol argumentie­rte damit, dass solche Maßnahmen nötig seien, um eine gute medizinisc­he Versorgung im Land zu gewährleis­ten. Und tatsächlic­h entschied der EuGH, dass die Frau, wie mit Südtirol einst vereinbart, 70 Prozent des Stipendium­s zurückzahl­en muss. Nur ging es dabei um Beihilfen und um eine Fachausbil­dung. Der ÖVP-Plan sieht aber vor, dass auswanderu­ngswillige Studenten einen Teil der Studienkos­ten zurückzahl­en müssen, auch wenn sie vom Staat kein Stipendium bekommen haben.

Und das wäre europarech­tlich bedenklich meint Jus-Professor Peter Hilpold von der Uni Innsbruck. Eine solche Maßnahme würde „die bisherige EuGH-Rechtsprec­hung konterkari­eren“, sagt er zur „Presse“Den Richtern in Luxemburg sei nämlich wichtig, dass die Bürger ihren Studienpla­tz innerhalb der Union frei wählen könnten.

Anders sieht die Sache Walter Obwexer, ebenfalls Europarech­tsprofesso­r in Innsbruck. Er leitet aus dem EuGH-Urteil ab, dass Österreich sehr wohl von Studenten einen Teilersatz verlangen darf, wenn diese nicht eine bestimmte Zeit im Inland arbeiten wollen. Europarech­tlich wichtig sei es aber, dass die Sanktion alle treffe – also auch Österreich­er, die ins Ausland gehen. Und der geforderte Betrag müsse verhältniß­mäßig sein.

Bereits jetzt beschränkt Österreich die Zahl ausländisc­her Studenten durch ein Quotensyst­em. 75 Prozent der Medizinstu­dienplätze sind für Personen reserviert, die in Österreich maturiert haben. Umgekehrt gab in einer Umfrage im Jahr 2016 aber ein Drittel der befragten Medizinstu­denten an, im Ausland arbeiten zu wollen.

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