Darf Österreich „abtrünnige“Ärzte bestrafen?
Analyse. Die ÖVP will, dass Medizinabsolventen eine Zeit lang im Inland arbeiten. Sonst sollen sie einen Teil der Studienkosten zurückzahlen. Aber ist das rechtlich möglich? Das hängt von der Interpretation eines Südtiroler Falls ab.
Es ist ein Dilemma: Einerseits haben EU-Bürger das Recht, überall in der Union zu studieren. Andererseits führt dies dazu, dass Österreich sich sorgt, nicht mehr genug Ärzte zu haben. Denn die heimischen Unis sind insbesondere bei deutschen Numerus-claususFlüchtlingen begehrt. Diese gehen mit dem Doktortitel in der Tasche aber gerne wieder nach Hause. Kann man also abtrünnige Mediziner sanktionieren, wie es die ÖVP nun in ihrem Wahlprogramm vorschlägt?
Sie will, dass Mediziner einen Teil der Studienkosten zurückzahlen müssen, wenn sie nicht eine gewisse Zeit in Österreich als Arzt arbeiten. Diese Verpflichtung könnte aber mit dem Europarecht kollidieren, weil Bürgern damit Steine in ihrem Recht auf Freizügigkeit in den Weg gelegt werden. Andererseits könnte eine vor knapp zwei Jahren ergangene Gerichtsentscheidung den Weg für Sanktionen frei machen. Dabei war es in dem Fall umgekehrt: Es ging um eine Ärztin, die lieber in Österreich bleiben wollte und dafür bestraft wurde.
Die Frau, eine Südtirolerin, hatte ein Stipendium ihrer Heimatprovinz bekommen. Bedingung dafür war, dass sie nach der an der Uni Innsbruck absolvierten Facharztausbildung wieder zurückkommt. Sie unterzeichnete eine Verpflichtungserklärung, laut der sie danach mindestens fünf Jahre in Südtirol arbeiten werde.
Sie blieb aber in Österreich. Der Fall kam vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH). Südtirol argumentierte damit, dass solche Maßnahmen nötig seien, um eine gute medizinische Versorgung im Land zu gewährleisten. Und tatsächlich entschied der EuGH, dass die Frau, wie mit Südtirol einst vereinbart, 70 Prozent des Stipendiums zurückzahlen muss. Nur ging es dabei um Beihilfen und um eine Fachausbildung. Der ÖVP-Plan sieht aber vor, dass auswanderungswillige Studenten einen Teil der Studienkosten zurückzahlen müssen, auch wenn sie vom Staat kein Stipendium bekommen haben.
Und das wäre europarechtlich bedenklich meint Jus-Professor Peter Hilpold von der Uni Innsbruck. Eine solche Maßnahme würde „die bisherige EuGH-Rechtsprechung konterkarieren“, sagt er zur „Presse“Den Richtern in Luxemburg sei nämlich wichtig, dass die Bürger ihren Studienplatz innerhalb der Union frei wählen könnten.
Anders sieht die Sache Walter Obwexer, ebenfalls Europarechtsprofessor in Innsbruck. Er leitet aus dem EuGH-Urteil ab, dass Österreich sehr wohl von Studenten einen Teilersatz verlangen darf, wenn diese nicht eine bestimmte Zeit im Inland arbeiten wollen. Europarechtlich wichtig sei es aber, dass die Sanktion alle treffe – also auch Österreicher, die ins Ausland gehen. Und der geforderte Betrag müsse verhältnißmäßig sein.
Bereits jetzt beschränkt Österreich die Zahl ausländischer Studenten durch ein Quotensystem. 75 Prozent der Medizinstudienplätze sind für Personen reserviert, die in Österreich maturiert haben. Umgekehrt gab in einer Umfrage im Jahr 2016 aber ein Drittel der befragten Medizinstudenten an, im Ausland arbeiten zu wollen.