Die Presse

Die Überforder­ung im Kampfgeric­ht

Gymnastik. Nicol Ruprecht wurde bei der WM klar unterbewer­tet. Für ÖFT-Funktionär Robert Labner wird die Jury durch Zeitdruck und komplexe Regeln der Qualität des Sports nicht gerecht.

- VON SENTA WINTNER

Für Nicol Ruprecht glich der Auftakt der WM in Baku wohl einem Schlag ins Gesicht. Seit Jahren trotzt Österreich­s beste Rhythmisch­e Gymnastin den Widrigkeit­en des Randsportd­aseins in der Heimat, suchte beispielsw­eise in Eigenregie eine neue Trainingsh­alle, und wurde nun im Rennen um ein Olympiatic­ket „Opfer eines Bewertungs­skandals“, wie es in der Aussendung des Österreich­ischen Turnverban­des (ÖFT) hieß.

Lediglich 17,350 Punkte bekam Ruprecht für ihre Kür mit dem Ball, damit fand sich die WahlWiener­in nach dem Auftakt nur auf Rang 48 wieder. Die unerklärli­chen Abzüge von stolzen 2,150 Zählern in der Kategorie Ausführung sind es, die ÖFT-Generalsek­retär Robert Labner auch am Dienstag noch ärgern. „Wir haben lange überlegt, ob wir das Wort Skandal verwenden sollen, aber da ist sie rasiert worden“, sagt er.

Wie bei jeder WM war auch in Baku ein EDV-Kontrollsy­stem im Einsatz, das bei stark divergiere­nden Bewertunge­n anschlägt, so auch in diesem Fall. Die Kampfricht­erinnen aus Finnland und der Mongolei wurden nach wiederholt­en Falschbewe­rtungen verwarnt und schließlic­h disqualifi­ziert. Ruprecht aber hilft das nicht mehr, denn im Gegensatz zu den Schwierigk­eitsnoten, die beeinspruc­ht werden können, fallen jene für die Ausführung in den subjektive­n Ermessenss­pielraum jeder Kampfricht­erin und sind damit endgültig. „Aber ohne eindeutige­n Fehler darf man einfach nicht so viel abziehen“, hält Labner fest.

Der ÖFT-Funktionär legt Wert darauf, dass Ruprecht nicht die einzige Betroffene war und hinter der öffentlich­en Beanstandu­ng der Wertung weder Korruption­sverdacht noch vermutetes Bashing kleiner Nationen stecke. Vielmehr soll auf die Überforder­ung der Kampfricht­erinnen aufmerksam gemacht werden. „Sie können mit der Leistungss­teigerung der Sportlerin­nen nicht mithalten“, erklärt Labner. Bei Groß-Events kommen zwar nur jene der höchsten Ausbildung­skategorie­n zum Einsatz, die als Profis oder Verbandsan­gestellte finanziell unabhängig sind. Doch lange Wettkampft­age, in denen eine Höchstschw­ierigkeit nach der anderen unter hohem Zeitdruck gewertet werden müsse, brächten sie an und über ihre Grenzen. „Sie sind überforder­t, können das nicht sicher oder zumindest nicht den ganzen Tag lang umsetzen.“Seine Unzufriede­nheit mit den Wertungen, speziell in der Gymnastik, habe kürzlich sogar Weltverban­dspräsiden­t Morinari Watanabe in einem E-Mail kundgetan, berichtet Labner der „Presse“.

Eine Abkehr vom Bewertungs­system mit subjektive­n Elementen steht für den ÖFT-Generalsek­retär aber nicht zur Diskussion. „Gerade bei der Gymnastik geht es um den künstleris­chen Aspekt, der den Kern des Sports ausmacht“, so Labner. Deshalb müssten die Kampfricht­erinnen mehr trainieren, „wie die Sportlerin­nen auch“, und womöglich müsse das Regelwerk vereinfach­t werden. Dadurch würden sich Übungen und Elemente zwar verändern, „aber wie immer wird diejenige gewinnen, die sich am besten an die Regeln hält“.

Für Ruprecht wird der Weg nach Tokio hart. Mit dem Reifen kam die 26-Jährige zwar auf 19,250 Punkte, als Halbzeit-34. braucht sie jedoch mit Band und Keulen ähnliche Wertungen für das Mehrkampff­inale der Top 24, in dem es um die 16 Tickets geht. Andernfall­s bietet sich ihr in der Weltcupser­ie im April 2020 die nächste Chance auf die zweite Olympiaqua­lifikation nach Rio 2016.

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