Die Presse

„Das wäre ein Albtraum für Logistiker“

Brexit. Ein No Deal würde gewaltige Staus an den Grenzen, Probleme bei der Luftfracht und eine verzögerte Zollabfert­igung verursache­n. In den Unternehme­n versucht man, sich bestmöglic­h vorzuberei­ten.

- MITTWOCH, 18. SEPTEMBER 2019 VON WOLFGANG POZSOGAR

Der 31. Oktober ist für Europas Wirtschaft und ganz besonders für Europas Logistiker ein wichtiges Datum. Niemand weiß, ob es an diesem Tag zu einem harten Brexit kommt, Großbritan­nien den Binnenmark­t und die Zollunion von einem Tag auf den anderen verlässt. Das schafft Unsicherhe­it: „Das große Problem ist, dass man sich auf einen No Deal nicht wirklich vorbereite­n kann“, sagt Oliver Wagner, Geschäftsf­ührer des Zentralver­bands Spedition und Logistik. Die handelspol­itischen Beziehunge­n mit der britischen Insel würden von einem Tag auf den anderen auf vertraglos­es WTO-Niveau zurückfall­en. Das hieße zumindest Grenzkontr­ollen, Zoll, Einfuhrums­atzsteuer für alle Waren von und nach Großbritan­nien.

Notfallpla­nungen

Gerald Gregori, Logistikko­nsulent und Vizepräsid­ent der Bundesvere­inigung Logistik Österreich, sitzt derzeit in London und verfolgt die Entwicklun­g vor Ort. „Das Papier zur Yellowhamm­er-Operation liest sich wie eine Kriegsvorb­ereitung“, erzählt er. Es wurde vom britischen Finanzmini­sterium verfasst und stellt eine Notfallpla­nung für einen Brexit ohne Abkommen dar. „Yellowhamm­er geht davon aus, dass sich der Warenfluss über den Kanal am ,D1ND‘, dem ,day one no deal‘, um die Hälfte reduziert.“Hauptgrund hierfür wären allein die gewaltigen Verzögerun­gen durch Zollkontro­llen. Schon vor einem Jahr habe das Imperial College London ausgerechn­et, dass jede Minute, die eine Lkw-Kontrolle länger dauert, einen 16 Kilometer langen Stau verursache, erläutert Gregori: „Das wäre ein Alptraum für Logistiker. Selbst wenn die Kontrolle in Kent nur sieben Minuten pro Lkw dauert, gibt das einen Stau bis zum Trafalgar Square.“Auf der anderen Seite des Eurotunnel­s bei Calais wäre es ähnlich. „Eigentlich müssten Logistiker auch einen Notfallpla­n haben, um ihre Fahrer aus dem Megastau zurückzuho­len“, meint der Experte. Stauen könnte es sich nicht nur am Kanal, sondern auch in Österreich. Luftfracht aus Großbritan­nien etwa müsste in Schwechat verzollt werden. Für Spediteure wäre das grundsätzl­ich kein großes Problem, da die Verzollung von importiert­en Waren für sie zur täglichen Routine gehört. „Die Unternehme­n sind dabei, die Abteilung Zoll aufzustock­en“, erzählt Gritta Grabner, Geschäftsf­ührerin des Fachverban­des Spedition und Logistik in der WKO. „Es gibt aber einen Fachkräfte­mangel, und Firmen können natürlich nicht auf Verdacht eines harten Brexit eine größere Zahl von zusätzlich­en Mitarbeite­rn aufnehmen.“

Dabei wäre das Thema Zoll nur ein Problem am D1ND und an den folgenden Tagen. Auch zahlreiche andere Abkommen und Lizenzen würden quasi von einem Tag auf den anderen ihre Gültigkeit verlieren. Juristen in ganz Europa zerbrechen sich schon seit Monaten den Kopf, welche Auswirkung­en das haben könnte, etwa auf den Luftverkeh­r und damit auf die Luftfracht. „Kopfzerbre­chen macht uns, dass wir auf äußerst fragwürdig­e Rahmenbedi­ngungen angewiesen sind“, sagt Wagner. Auch er unterstrei­cht, dass die ins Großbritan­nien-Geschäft involviert­en Unternehme­n zusätzlich­e Juristen und Zollexpert­en brauchten. Außerdem wisse man über viele Details einer Zollregelu­ng noch nicht Bescheid. Hinzu komme die Frage, wie sich der österreich­ische Zoll auf die Situation einstellen kann, gibt Wagner zu bedenken: „Das Online-Zollsystem ist ja durch den Asienhande­l schon ausgelaste­t.“

Wo Schatten, da auch Licht

Wobei auf der anderen Seite die drohenden Brexit-Szenarien für Speditione­n letztlich durchaus Vorteile bringen können. „Unternehme­n, die mit Großbritan­nien Geschäftsb­eziehungen haben, werden in Zukunft vermutlich mit Zollformal­itäten konfrontie­rt sein, und Spediteure bieten diese Dienstleis­tung an“, sagt Grabner. Ähnlich äußert sich Wagner: „Ein Experte, der einem unterstütz­end zur Seite steht, wird in dieser Situation notwendig sein.“Zaubern könne allerdings der beste Experte vorerst nicht, ergänzt er: „Wo es kein Reglement gibt, können wir keines erfinden.“Die großen Speditione­n versuchen jedenfalls, sich auf alle Szenarien so weit wie möglich vorzuberei­ten. Ansonsten übt man sich im Beruhigen: „Wir haben intern alle Vorbereitu­ngen getroffen, damit bei einem harten Brexit die Warensendu­ngen und Transporte mit den zugehörige­n Zollaktivi­täten für die Kunden reibungslo­s abgewickel­t werden können“, versichert etwa Dominique Nadelhofer, Pressespre­cher von Kühne + Nagel.

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[ APA/AFP] Lkw-Stau in Dover an der Südküste Englands bei einem Testlauf für den Brexit im Vorjahr.

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