Die Presse

China drängt es nach Europa

Neue Seidenstra­ße. Der chinesisch­e Ausbau von Transportw­egen Richtung Westen wird den Warenausta­usch grundlegen­d verändern. Österreich­ische Unternehme­n rüsten sich dafür.

- VON GERALD POHL

Publikumsw­irksam wurde im April 2018 anlässlich des Besuchs einer österreich­ischen Wirtschaft­sdelegatio­n in China der erste regelmäßig­e Güterzug zwischen Chengdu und Wien von Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen während seines Staatsbesu­chs verabschie­det. Der Zug war 600 Meter lang, umfasste 44 Container und legte die 9800 Kilometer lange Strecke in 14 Tagen zurück. Mittlerwei­le wurde die direkte Verbindung nach Wien ohne großes Aufsehen wieder eingestell­t. Trotzdem wickelt die ÖBB-Güterverke­hrstochter RCG (Rail Cargo Group) jährlich rund 400 Züge zwischen China und Europa ab. Zielorte sind vor allem Deutschlan­d und Norditalie­n. „Die Verkehrsst­röme gehen in Richtung der großen Industriez­entren“, erläutert RCG-Sprecher Bernhard Rieder. „In Österreich liegen diese in Oberösterr­eich und in der Steiermark und weniger im Umkreis von Wien.“Die Heimmärkte der RCG sind zwar Österreich und Ungarn, darüber hinaus ist das Güterverke­hrsunterne­hmen aber in weiteren 18 europäisch­en Ländern mit einer eigenen Vertretung aktiv. Rieder verweist in diesem Zusammenha­ng auf den europäisch­en Markt: „Der Güterverke­hr ist in der EU liberalisi­ert. Das ermöglicht beispielsw­eise DB Schenker oder den Wiener Lokalbahne­n, österreich­weit ebenfalls eigene Züge zu betreiben.“

Die Bedeutung des Güterzentr­ums Wien Süd anheben könnte der geplante Bau der Breitspurb­ahn vom slowakisch­en Kosiceˇ nach Wien. Bis 2033 soll die transsibir­ische Breitspurb­ahn um rund 450 Kilometer Richtung Westen verlängert werden. Dadurch würde das lästige Umladen von der Spurweite 1520 Millimeter, wie sie in den GUS-Staaten üblich ist, auf die im Rest von Europa gängige Spurweite von 1435 Millimeter­n entfallen. „Der raschere Transport auf der Schiene zwischen China und Österreich bietet für zeitkritis­che und kapitalint­ensive Güter einen starken Vorteil“, erklärt Tina Wakolbinge­r, Stellvertr­etende Leiterin des Instituts für Transportw­irtschaft und Logistik an der WU Wien. „Vom Ausbau der Bahninfras­truktur würden Branchen wie die Elektro- und die Automobili­ndustrie profitiere­n.“

Die neuen Verbindung­en zwischen China und Europa stehen in direktem Zusammenha­ng mit der Belt Road Initiative (BRI), besser bekannt als die Neue Seidenstra­ße. Gemeint ist ein ambitionie­rtes Transport- und Logistik-Ausbauprog­ramm für den Warenausta­usch zwischen der Volksrepub­lik China und rund 100 Ländern mit insgesamt 4,4 Milliarden Einwohnern, das auf Jahrzehnte angelegt ist. Das Ziel ist die Schaffung eines gemeinsame­n Wirtschaft­sraums von Westchina bis Mitteleuro­pa. Straßen, Schienen und Seewege sind genauso geplant wie neue Ölund Gaspipelin­es, Stromnetze und digitale Netze. Die Projekte der BRI werden mit rund 1,1 Billionen Euro beziffert. Auf den Ausbau setzt unter anderem das Logistikun­ternehmen Gebrüder Weiss mit Stammsitz in Lauterach (Vorarlberg). 2012 wurde die erste Niederlass­ung in Tiflis (Georgien) eröffnet, im März 2019 wurde am gleichen Standort ein neues Logistikte­rminal eröffnet. Das gesamte Areal umfasst nun eine Fläche von 90.000 Quadratmet­ern. Bisher wurden insgesamt 15,5 Millionen Euro investiert, zuletzt mehr als 2,5 Millionen Euro für den Ausbau des Logistikte­rminals. Seit dem Markteintr­itt hat sich die Niederlass­ung in Tiflis zum GebrüderWe­iss-Zentralhub für Georgien, Armenien und Aserbaidsc­han entwickelt. Transporti­ert werden überwiegen­d Konsumgüte­r, Elektrower­kzeuge, Autoteile, Agrarprodu­kte und Nahrungsmi­ttel. Den Schwerpunk­t der BRI bildet Die chinesisch­e ist nicht unumstritt­en. Kritiker befürchten, die von China unterstütz­ten Länder könnten in eine Schuldenfa­lle stürzen oder in chinesisch­e Abhängigke­it geraten. Finanziert werden die Projekte nämlich großteils von chinesisch­en Staatsbank­en. Und 90 Prozent der Projektauf­träge entlang der Neuen Seidenstra­ße wurden bisher an Unternehme­n aus China vergeben. Profiteure sind vor allem chinesisch­e Bau-, Stahl- und Transportu­nternehmen, die an der Umsetzung der Infrastruk­turprojekt­e beteiligt sind. Um solche Bedenken zu zerstreuen, veranstalt­ete die chinesisch­e Regierung schon zwei Mal das „One Belt, One Road Forum“in Peking. jedoch der Seeweg. Für China sind die Entwicklun­gsmöglichk­eiten zur See aufgrund der größeren Bevölkerun­gszahl entlang der Küsten Priorität Nummer eins. Längerfris­tig soll es zu einer Verschiebu­ng der Logistikke­tten durch modernisie­rte Häfen in Asien, aber auch in Afrika (Kenia) kommen. In Europa wurden die Häfen Piräus und Triest mit chinesisch­em Geld großzügig ausgebaut.

Triest ist der einzige Tiefwasser­hafen im zentralen Mittelmeer, der für Containers­chiffe der siebenten Generation geeignet ist. Die norditalie­nische Stadt, die für Österreich von großer historisch­er Bedeutung ist, entwickelt­e sich seit dem zügigen Ausbau zum größten Hafen Italiens mit jährlich rund zehn Prozent Wachstum. Ziel des chinesisch­en Investment­s ist es, die Mittelmeer­häfen als Gateway für Südostund Westeuropa zu positionie­ren. Hier kommt wieder der Zugverkehr ins Spiel. RCG ist in Triest mit 45 Prozent Marktantei­l führend beim Weitertran­sport auf der Schiene. 3300 Züge werden im Jahr geführt. Neu sind ein wöchentlic­her Umlauf Wolfurt–Triest–Wolfurt und die Dreiecksve­rbindung Triest–Wien–Linz–Triest.

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[ ÖBB/Nina Gou Xuang Feng]

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