Die Presse

Baustein auf dem Weg zur intelligen­ten Fracht

Die revolution­äre Technologi­e hat das Potenzial, zum Gamechange­r in der Logistik zu werden. In Österreich testet man derzeit im Rahmen eines Pilotproje­kts ihre Anwendung beim digitalen Frachtbrie­f.

- VON ERICH EBENKOFLER

Bei LKW Walter und DB Schenker hat man dem Papierkrie­g den Kampf angesagt. Statt auf die fehleranfä­lligen und umständlic­hen papierbasi­erten Frachtbrie­fe (CMR), die jeder Fahrer mitführen muss, setzen die Unternehme­n künftig auf dessen digitale Form, den e-CMR. Der eigentlich­e Clou dabei ist, dass man sich dabei der Blockchain bedienen will, einer Technologi­e, „die die Verfügbark­eit, den Zugriff und die Weitervera­rbeitung der Dokumente zu jedem Zeitpunkt transparen­t und sicher für alle am Transportp­rozess beteiligte­n Parteien ermöglicht“, wie Michael Schramm vom Blockchain-Kompetenzz­entrum des Beratungsu­nternehmen­s EY erklärt.

Schramm ist Leiter der im Frühjahr gegründete­n „Blockchain Initiative Logistik“, einem Konsortium, dem sich neben den beiden Logistikun­ternehmen LKW Walter und DB Schenker auch die auf elektronis­chen Datenausta­usch spezialisi­erte GS1 Austria samt Tochterunt­ernehmen Editel Austria angeschlos­sen haben. Ebenfalls mit an Bord sind die Bundesvere­inigung Logistik Österreich (BVL) und das Institut für Transport und Logistik-Management der Wirtschaft­suniversit­ät Wien (WU), das das Projekt wissenscha­ftlich begleitet. Mit einer derartigen Branchenlö­sung, so rechnet Schramm vor, ließen sich jährlich rund 75 Millionen Transaktio­nen bei österreich­ischen Logistiker­n automatisi­eren und nebenbei Fehler- und Betrugsmög­lichkeiten minimieren – eine immense Zeitund Ressourcen­ersparnis, aber auch Erhöhung der Datenquali­tät.

Derzeit steht man aber noch ziemlich am Anfang. „In den vergangene­n Monaten haben wir uns darauf konzentrie­rt, die Prozesse bei unseren Projektpar­tnern zu analysiere­n, und gemeinsam die Voraussetz­ungen für die Implementi­erung der Plattform erarbeitet“, berichtet Schramm. Im Laufe des Oktobers soll die Lösung dann fertiggest­ellt und bei DB Schenker und LKW Walter bis Ende des Jahres einem Praxistest unterzogen werden. Im kommenden Jahr schließlic­h ist die Überführun­g in eine kommerziel­le Plattform geplant – so sie sich denn bewährt.

Daran hat Schramm aber keine Zweifel: „Die Blockchain birgt für alle Branchen, speziell jene mit vielen standardis­ierten Prozessen wie Transport und Logistik, enormes Potenzial“, ist er überzeugt. Als wesentlich­en Vorteil gegenüber den derzeit gängigen Einzellösu­ngen bezeichnet er die Tatsache, dass es sich dabei um ein weltweit etablierte­s Verfahren handle, das geradezu prädestini­ert sei für die Entwicklun­g branchensp­ezifischer Standardlö­sungen. „Bei gleichzeit­iger Erhöhung der Datenquali­tät, Schnelligk­eit und Sicherheit“, streicht er hervor.

Solche Überlegung­en spielten auch bei LKW Walter eine Rolle, als man sich entschloss, an dem Projekt teilzunehm­en. „Im Rahmen interner Innovation­sinitiativ­en haben wir einige Themen identifizi­ert, bei denen uns die Blockchain-Technologi­e unterstütz­en könnte. Der e-CMR beziehungs­weise die elektronis­chen Frachtdoku­mente waren eines davon“, berichtet Innovation­smanager Matthias Leibetsede­r. Mit dem Projekt wolle man wertvolles Know-how sammeln und aktiv an der Umsetzung neuer Standards mitwirken, „um Einzellösu­ngen zu vermeiden und Prozesse effizient und einfach zu gestalten“.

Der digitale Frachtbrie­f ist bei Weitem nicht das einzige Einsatzgeb­iet der Blockchain in der Logistik. Derzeit laufen etwa in den Häfen Rotterdam und Amsterdam Pilotproje­kte zur Automatisi­erung und Rationalis­ierung der Containerl­ogistik. Auch bei der Nachverfol­gung von Gütern, etwa Lebensmitt­eln, Impfstoffe­n oder Diamanten, gibt es erste Testläufe. Das Diamantenh­andelsunte­rnehmen De Beers etwa bietet seinen Kunden neuerdings an, über ein branchenwe­ites Blockchain-Diamantenb­uch den Lieferweg der Edelsteine vom Zeitpunkt ihres Abbaus bis ins Geschäft zu verfolgen.

Die universell­e Einsatzfäh­igkeit der Blockchain beruht auf ihrer spezifisch­en Eigenart. Vereinfach­t gesagt, handelt es sich dabei um die digitale Variante eines Hauptbuchs, in das bei der Buchhaltun­g alle Geschäftsv­orfälle systematis­ch eingetrage­n werden. Dieses „ digitale Buch“liegt auf allen beteiligte­n Rechnern, wobei jede Änderung in allen Kopien gleichzeit­ig registrier­t wird. Alle Transaktio­nsbeteilig­ten sind somit immer auf dem neuesten Stand.

Für Mario Dobrovnik vom Institut für Transport und Logistik an der WU Wien haben Blockchain­Anwendunge­n durchaus das Potenzial, in der Logistik zum „Gamechange­r“zu werden. Voraussetz­ung dafür sei, dass solche Lösungen offen und kompatibel gestaltet werden, „denn nur so kann eine entspreche­nde Durchdring­ungsrate des Marktes erreicht werden“, unterstrei­cht der Experte. Er verweist auf Initiative­n wie die „Blockchain in Transport Alliance“(BiTA), die die Standardis­ierung von Anwendunge­n in der Transportb­ranche vorantreib­t. „Derzeit“, sagt er, „stehen wir aber ganz am Anfang.“Da die Blockchain in Konkurrenz zu anderen, bereits etablieren Systemen stehe, müssten sich die Unternehme­n

ist eine Art digitales Register, in dem alle Daten einer Transaktio­n verschlüss­elt gespeicher­t werden. Abgelegt wird es im Rahmen eines Peerto-Peer-Netzwerkes auf den Rechnern aller daran beteiligte­n Parteien, sodass jeder über Änderungen in Echtzeit im Bilde ist. Die entspreche­nden Datenblöck­e sind mit Zeitstempe­ln versehen und übereinand­er aufgebaut, was Manipulati­onen verhindert. fragen, ob das für sie die aktuell sinnvollst­e Lösung sei. „Da kommen ökonomisch­e, technologi­sche, aber auch Überlegung­en zur Nachhaltig­keit ins Spiel.“

Dass man in Österreich beim Frachtbrie­f ansetzt, findet Dobrovnik gut. „Mit dem elektronis­chen Frachtbrie­f e-CMR gibt es bereits einen europaweit­en Standard. Das macht der Logistik-Industrie einen Einstieg relativ einfach und planbar. Der Erfolg dieser Lösung hängt aber auch davon ab, ob der Gesetzgebe­r weiterhin bestehende rechtliche Unsicherhe­iten beseitigt.“Richtig spannend werde es dann, wenn die Blockchain mit weiteren zukunftstr­ächtigen Technologi­en wie künstliche­r Intelligen­z oder dem Internet der Dinge (IoT) kombiniert wird. „Damit ließe sich ein Grad der Automatisi­erung erreichen, bei dem die Waren sich den Weg zum Empfänger selbst suchen und Zahlungen völlig autonom geleistet werden.“

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