Die Presse

„Wir sind in Hollywood unbestechl­ich“

Film. Veronika Franz und Severin Fiala hat der Erfolg nach Hollywood geführt. Dort läuft einiges anders als in Österreich: Vor der Premiere ihres Zweitfilms „The Lodge“erzählen sie von skurrilen Verträgen und Rollkoffer­n voller Champagner.

- VON KATRIN NUSSMAYR

Es ist eine Erfolgssto­ry, die Hollywood mitgeschri­eben hat. „Ich seh Ich seh“, der Debütfilm des österreich­ischen Regieduos Veronika Franz und Severin Fiala, begeistert­e Kritiker und Festival-Jurys – allerdings nur gut 10.000 heimische Kinobesuch­er. Nachdem der Film in den USA einen Hype auslöste, können sich die Filmemache­r Angeboten aus Übersee kaum erwehren. Ihren Zweitfilm „The Lodge“haben sie in Kanada gedreht: Wieder ein kammerspie­lartiger Hybrid aus Horror, Psychothri­ller und Arthouse-Film, der sich um eine eingeschne­ite Familie dreht. Im Herbst soll er ins Kino kommen, am Donnerstag eröffnet er im Gartenbauk­ino das Slash-Filmfestiv­al.

Die Presse: In „The Lodge“geht es wieder um Kinder, die eine Mutterfigu­r ablehnen; wieder bricht ein Trauma hervor. Die Parallelen zu „Ich seh Ich seh“sind erstaunlic­h – dabei war die Basis für den neuen Film ja ein fremdes Drehbuch. Severin Fiala: Die Amerikaner haben versucht, uns den gleichen Film immer und immer wieder anzubieten. Irgendwann haben wir gesagt: Bitte, schickt uns keine Drehbücher mit Zwillingen mehr! Veronika Franz: Wir wollen etwas über gesellscha­ftliche Abgründe erzählen, und innerhalb einer Familie ist das sehr reduziert und atmosphäri­sch möglich. Das Drehbuch wurde uns von den altehrwürd­igen Hammer Film Production­s vorgeschla­gen. Wir fanden es ganz spannend, aber der Schluss funktionie­rte nicht. Wir haben dann eine ganz eigene Fassung geschriebe­n.

„The Lodge“hatte Weltpremie­re am renommiert­en Sundance-Festival. Fiala: Das ist für uns Österreich­er ein eigenartig­er Ort. Wir kommen auf ein Festival und wollen eine schöne Premiere feiern – aber das zählt für die dort nix, weil das ist ein Verkaufsor­t. Da geht es um Deals. Film ist in Amerika ein Wirtschaft­szweig, also ist das natürlich folgericht­ig. Aber als Europäer ist man enttäuscht, dass man da keine richtige Premierenf­eier hat. Franz: Das ist ein Skiort wie Schladming, aber im Mormonen-Staat Utah. Alle Lokale sperren um Mitternach­t zu. Wir hatten um Mitternach­t Premiere, um halb drei war der Film aus. Dank unseres findigen Ausstatter­s, der gewusst hat, wo die coolen Privatpart­ys sind, haben wir im Vorfeld ein bisschen Alkohol zum Feiern besorgt. Den haben wir in einen kleinen Rollkoffer getan, mit dem wir zur Premiere gegangen sind und nachher eine Privatpart­y gecrasht haben. Dort haben wir den Champagner ausgepackt. Fiala: Es war eh nett. Nur die Produzente­n waren leider nicht dabei. Die verkaufen gleich im Anschluss den Film, manchmal verhandeln die zwölf Stunden durch.

Was ist noch anders in Hollywood? Franz: Die haben andere Rituale. Man unterschre­ibt manchmal keine Verträge, sondern hat Handschlag-Agreements. Aber: Der Moment, wenn etwas im „Hollywood Reporter“steht oder in „Variety“, ist total wichtig. Fiala: Wir haben für unseren Anwalt oder unsere Agenten nie etwas unterschri­eben. Bei Universal hingegen haben wir einen 180-seitigen Vertrag unterschri­eben, den wir nie ganz durchgeles­en haben. Franz: Wir haben zumindest ein Detail gelesen, das sehr lustig ist: Nämlich, dass wir alle Rechte abtreten für das ganze Universum – inklusive Frankreich! Das steht so drinnen, „whole universe including France“! Fiala: Viele Regisseure in Amerika begreifen sich als Auftragsar­beiter. Die guten Produzente­n wollen deswegen Talente aus Europa, die es ernst nehmen. Trotzdem sind sie oft überrascht: Die sind keine Leute gewohnt, die ihr Herzblut für einen Film geben.

Sind Sie dann überhaupt mit dem Hollywood-System kompatibel? Franz: Wir sind dadurch auf eine gewisse Art unbestechl­ich. Wenn die sagen: Jetzt drehen wir doch nicht auf 35-mm-Film, obwohl wir das vereinbart haben, dann sagen wir: Gut, dann drehen wir den Film nicht. Das System ist auch insofern anders: Man ist als Regisseur in einem Wettbewerb mit anderen Regisseure­n. Zuerst haben wir gedacht: Die wollen uns. Irgendwann sind wir draufgekom­men: Die wollen auch uns, vielleicht. Die schicken ein Drehbuch auch drei oder zehn oder 50 anderen. Fiala: Bei „The Lodge“war’s anders, da haben sie tatsächlic­h nur uns gefragt. Franz: Einmal haben sie uns eine Folge der Serie „Black Mirror“angetragen, die auch gut zu uns gepasst hat. Gefragt wurde nur eine weitere Person. Wir haben uns also ins Zeug geworfen. Dann haben wir den Auftrag nicht gekriegt – und erfahren, wer unsere Konkurrenz war: Jodie Foster.

Hätten Sie es besser gekonnt? Fiala: Das wissen wir nicht. Franz: Anders wäre es geworden.

„Ich seh Ich seh“bekommt demnächst ein US-Remake. Geht es da nur darum, dass Amerikaner keine Untertitel mögen, oder muss der Film auch für das US-Massenpubl­ikum angepasst werden? Fiala: Beides ist wahr. Sie werden auch das Drehbuch anpassen, weil einige Dinge für Amerikaner nicht stimmen. Die verstehen zum Beispiel überhaupt nicht, dass die Rotkreuz-Sammler im Film einfach ins Haus reingehen, ohne reingelass­en zu werden. Franz: Amerikaner würden da schießen. Fiala: Als Rotkreuz-Sammler habe ich das mehrfach machen müssen: „Do oben, i her Wossa, do duscht wer, geh ma nachschaun!“Das läuft wirklich so!

 ?? [ Michele Pauty] ?? Neffe und Tante: Severin Fiala und Veronika Franz drehen seit 2012 Filme miteinande­r. Ihr erster Spielfilm „Ich seh Ich seh“war 2016 Österreich­s OscarKandi­dat. „The Lodge“ist eine britisch-amerikanis­che Koprodukti­on, unter den Darsteller­n sind Riley Keough, Jaeden Martell („Es“) und Alicia Silverston­e („Clueless“).
[ Michele Pauty] Neffe und Tante: Severin Fiala und Veronika Franz drehen seit 2012 Filme miteinande­r. Ihr erster Spielfilm „Ich seh Ich seh“war 2016 Österreich­s OscarKandi­dat. „The Lodge“ist eine britisch-amerikanis­che Koprodukti­on, unter den Darsteller­n sind Riley Keough, Jaeden Martell („Es“) und Alicia Silverston­e („Clueless“).

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