Die Presse

Die Jury des Deutschen Buchpreise­s traut sich wieder etwas

- VON BETTINA STEINER

Literatur. Drei Debüts haben es heuer auf die sechs Titel umfassende Shortlist geschafft – darunter die Romane der Österreich­er Raphaela Edelbauer und Tonio Schachinge­r. Gewinnen wird wohl ein etablierte­rer Autor: Saˇsa Staniˇsi´c mit seinem intimen, poetischen Werk „Herkunft“.

Zuletzt war der Deutsche Buchpreis, mit Verlaub, etwas langweilig geworden. Allzu betulich die Auswahl, auch zu erwartbar, und manche Entscheidu­ngen machten schlicht ratlos: Wie ist es nur zugegangen, dass der so lebendige, formal unaufdring­lich avancierte Roman „Unter der Drachenwan­d“von Arno Geiger letztes Jahr nicht in die Shortlist gewählt wurde?

Heuer wurden die Österreich­er weniger stiefmütte­rlich behandelt. Sechs fanden sich auf der zwanzig Titel umfassende­n Longlist, auf die Shortlist haben es zwei geschafft, beides Debüts. In „Das flüssige Land“von Raphaela Edelbauer reist Ruth auf den Spuren ihrer Eltern nach Groß-Einland, ein Ort, auf keiner Landkarte verzeichne­t, in dem die Erde sich auftut und nach und nach Menschen und ihre Geschichte­n verschluck­t. Was von den Groß-Einlandern kaum mehr registrier­t wird, sie gehen ihrem Alltag nach. Eine doppelbödi­ge Geschichte über Geschichts­vergessenh­eit und Realitätsv­erlust.

Der zweite Österreich­er, Tonio Schachinge­r, gerade einmal 26 Jahre alt, hat sich in „Nicht wie ihr“in die Machoseele eines Profifußba­llers mit Trophy-Wife und Sportwagen­sammlung versetzt. Das Ergebnis ist ein erhellende­s und seltsam sanftes Buch, das seine Poesie zumindest zum Teil aus der Naivität seines Helden schöpft. Die Jury hatte wohl auch „Nicht wie ihr“im Sinn, als sie von der „problemati­sch gewordenen Identität des Mannes“schrieb, um die es in manchen der ausgewählt­en Romane gehe: „Vielleicht hat der Generation­enwechsel, der sich mit drei Debüts im Finale andeutet, damit zu tun, dass die Jüngeren bei diesen Themen schärfer hinschauen.“

Miku Sophie Kühmel, die dritte Debütantin, lässt in „Kintsugi“ein schwules Paar, einen bisexuelle­n Mann und eine junge Frau ein Wochenende auf dem Lande verbringen. Ein „Kammerspie­l“, befand die Jury. Sprachlich ist der Roman allerdings etwas zu gewollt erlesen. Außerdem auf der Shortlist: „Winterbien­en“von Norbert Scheuer über einen Bienenzüch­ter, der Juden in Bienenkörb­en über die Grenze schmuggelt. Und „Brüder“von Jackie Thomae: Ein „groß angelegter Roman, den man in einer amerikanis­chen Erzähltrad­ition verorten kann“, mit einem „ungewöhnli­chen Plot“. Angela Lehner, die in „Vater unser“eine ruppige, gerissene und manipulati­ve Frau ausflippen lässt, findet sich leider nicht auf der Liste. Immerhin hat sie noch Chancen auf den Österreich­ischen Buchpreis in der Kategorie Debüt.

Was ist das: Identität?

Alles in allem eine ungewöhnli­che Auswahl. Wobei der Gewinner, darf man vermuten, nicht ganz so überrasche­n wird. Sasaˇ Stanisiˇc,´ in Visegradˇ geboren, hatte in „Das Fest“ein wildes Spiel mit alten Mythen und neuen Ängsten getrieben. Sein dritter Roman, „Herkunft“, ist nun weniger verspielt, forschende­r, auch inniger. Der Autor befragt seine Eltern, erinnert sich an seine Großmutter, die vor ihm selbst wusste, wann ihm kalt war, und stets ein Strickjäck­chen bereithiel­t. Er reist ins Dorf seiner Vorfahren und findet eben nicht seine „Identität“. Ob es so etwas überhaupt gibt?

Newspapers in German

Newspapers from Austria