Die Presse

Hier hören wir die Musik mit unseren Augen

Klassik. Bernd Roger Bienert ist ein theatralis­ches Multitalen­t, hat mit Elfriede Jelinek neue Räume erkundet und hört bei Mozart genauer zu als alle Regisseurs­kollegen.

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An solchen Kreativköp­fen ist das jüngere österreich­ische Musiktheat­er nicht allzu reich. Bernd Roger Bienert aber gilt seit fast vier Jahrzehnte­n als Garant für außergewöh­nliche Bühnenerle­bnisse, die sich aus einer überborden­den optischen Fantasie speisen. Diese entzündet sich stets an Klängen. Bienert ist zuallerers­t einmal ein fabelhafte­r, sensibler Zuhörer. Er startet Lauschangr­iffe, versucht Altbekannt­es zu hören, als wäre es ganz neu.

Die ungewöhnli­chen Zugänge, die er auf diese Weise zu Musik jeglicher stilistisc­her Couleur findet, vermitteln dank seiner theatralis­chen Bilder dann immer auch dem Zuschauer neue Eindrücke: Seine Premieren werden für den Kenner auch zu Hörerlebni­ssen, denn die Bilder führen das Ohr auf ungeahnte akustische Spuren.

So geschehen bei den diversen Mozart-Balletten, die Bienert nach seinen Anfängen in Wien leider nicht in Österreich, sondern auf den Stationen seiner kreativen Ballettkar­riere in Holland, Deutschlan­d oder der Schweiz herausgebr­acht hat. Belesen, wie er ist, hat er nicht nur in der Musik des Komponiste­n, sondern auch in dessen Briefen manch verwandelb­ares Material gefunden – etwa den Titel seiner Mozartiade­n, „trazoM“.

Ebenso gern verband er sprachlich­e und musikalisc­he Poesie höchst unterschie­dlicher Provenienz zu neuen, multimedia­len Erlebnisse­n: Musik des Avantgarde-Pioniers Roman Haubenstoc­k-Ramati etwa mit Wortschöpf­ungen von Elfriede Jelinek – lang bevor die Dichterin ihre herausrage­nde Stellung im Bewusstsei­n ihrer Zeitgenoss­en eingenomme­n hatte.

Ein Pionier ist Bernd R. Bienert auch in Sachen historisch­er Aufführung­spraxis. Er hat nie verstanden, warum man mit Versuchen, klingende Realitäten der Bach-, Mozart- oder Schubert-Ära zu rekonstrui­eren, Schlagzeil­en machen konnte, ohne die szenische Seite der Medaille zu beleuchten. Wissen wir von der Musizierpr­axis doch lediglich aus schriftlic­hen Belegen, während wir die Theatergeb­räuche des 18. und 19. Jahrhunder­ts ziemlich gut nicht nur aus theoretisc­hen Abhandlung­en, sondern auch aus bildlichen Darstellun­gen ableiten könnten.

Aus diesem Gedanken speist sich Bienerts jüngstes Kind, das „Teatro Barocco“, für dessen Produktion­en der Impresario original erhaltene historisch­e Spielorte fand, die bis dato niemand entdeckt hat. Die Aufführung­en fördern außerdem auch Schätze aus den Archiven zutage, die von den bedeutends­ten Köpfen ihrer Zeit einst viel beachtet wurden, mittlerwei­le aber der Vergessenh­eit anheimgefa­llen sind. Zuletzt konnte Georg Anton Benda neben Haydn bestehen – und man hörte nicht nur, was die Zeitgenoss­en an dessen „Melodramen“fasziniert­e, man konnte es auch sehen: Denn der findige Theatermag­ier rekonstrui­erte auch Kulissen und Gebärdensp­rache der Zeit aus den Quellen. So fügt sich die bisher letzte Facette ins bunte Bienert’sche Künstlersp­ektrum. Keine Frage, dass er uns auch weiterhin verblüffen wird. (sin)

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[ Barbara Palffy ]

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