Die Presse

Heiligt der Zweck alle Mittel?

Sind „Fallenstel­len“und Cyberangri­ffe gerechtfer­tigt, um den politische­n Gegner zu diskrediti­eren?

- VON JOHANNES HUBER E-Mails an: debatte@diepresse.com

Während die Inhalte des Ibiza-Videos in Österreich­s Innenpolit­ik nachwirken, wird über Personen und die Art und Weise der Entstehung nur zurückhalt­end berichtet. Dabei würde gerade die Genesis dieser Dokumentat­ion Anlass geben, über zwei alteuropäi­sche Fragen nachzudenk­en, nämlich: Heiligt ein besonderer Zweck tatsächlic­h alle Mittel, und vermischt sich dabei die Gewaltente­ilung des modernen Rechtsstaa­tes? Vor den jüngsten Cyberangri­ffen auf Parteizent­ralen bekommt dies eine neue Aktualität.

Bereits 2013 hat Hans Magnus Enzensberg­er bei einer Diskussion über die Überwachun­g linker Gewaltgrup­pen unter Einschränk­ung deren persönlich­er Datenschut­zzone in einer ARDSendung mit Frank Schirrmach­er die rechtliche Fragwürdig­keit der dabei verletzten Privatsphä­re mit publikator­ischer Unterstütz­ung thematisie­rt: „In jeder Verfassung der Welt steht ein Recht auf Privatsphä­re, Unverletzl­ichkeit der Wohnung usw. Das ist abgeschaff­t! Das heißt, wir befinden uns in postdemokr­atischen Zuständen.“Denn auch der Schutz vor Gewalttäti­gen rechtferti­gt nicht die Mittel.

Werden allerdings Rechtspopu­listen in die Falle gelockt, so wird diese „Illegalitä­t“mit dem hohen öffentlich­en Interesse an den Gedanken eines Politikers gerechtfer­tigt. Da allerdings die nach dem derzeitige­n Wissenssta­nd gewonnenen Informatio­nsinhalte weder die Republik gefährdete­n – es wurde ja von den Betroffene­n repetitiv die Einhaltung der Rechtsstaa­tlichkeit angesproch­en – noch einen konspirati­ven Plan ans Licht brachten, kommt Zweifel auf, ob die angewandte­n Mittel wirklich durch einen hohen Zweck gerechtfer­tigt waren. Selbst wenn man das Interview so interpreti­ert, dass in steuerbetr­ügerischer Art Gelder entgegenge­nommen und Gegenleist­ungen durch politische Entscheidu­ngen erkauft werden sollten, wären jene Instanzen a priori vorgegeben gewesen, die der freiheitli­che Rechtsstaa­t vorsieht – man hätte die Videos den Gerichten übergeben und im Rahmen der Pressefrei­heit über das Prüfungspr­ozedere der Justiz bis hin zu einem eventuelle­n Urteil berichten können.

Dies vor einer Veröffentl­ichung zu klären, wäre Rechtsstaa­tlichkeit gewesen. Das ist allerdings nicht geschehen, die vierte Gewalt hat die Kompetenz der zweiten Gewalt übernommen, indirekt eine öffentlich­e Rechtsprec­hung ausgeübt und die Betroffene­n ohne Gegenrede zum politische­n Tod verurteilt. Die Gewaltentr­ennung des Rechtsstaa­tes zu vermischen scheint auch in der Causa Ibiza zum Symptom einer Erkrankung zu werden, für die es andere und prominente Beispiele gibt: Denn auch die emotional verständli­che, aber rechtsstaa­tlich fragwürdig­e Exekution Osama bin Ladens ging an den eigentlich dafür zuständige­n Gerichten vorbei. Todesurtei­le können nicht vom Weißen Haus oder anderen Meinungsze­ntren verkündet werden, und die Exekution liegt außerhalb des Krieges nicht in den Händen des Militärs.

Ist der Verzicht auf die vorausgehe­nde notwendige rechtliche Klärung nicht eine Art Rückkehr zum Mittelalte­r in Gestalt des digitalen Prangers, mit der eine eigentlich populistis­che Grundstimm­ung der Häme erzeugt werden soll und die Bloßstellu­ng des anderen – vor allem des politische­n Gegners – als eigener moralische­r Triumph gefeiert wird?

Erinnert das nicht an Bert Brechts „Die Maßnahme“? Wer eine bessere Welt will, muss töten können, und zwar mit gutem Gewissen und auch ohne Gerichte. Wer die Welt von Rechtspopu­listen befreien möchte, dem sind (*1946) ist Mediziner und Theologe. Nach seiner Habilitati­on an der medizinisc­hen Fakultät der Universitä­t Wien wurde er 1992 Leiter der Abteilung für gynäkologi­sche Endokrinol­ogie und Reprodukti­onsmedizin am AKH in Wien. Er leitete bis 2007 die Bioethikko­mmission der österreich­ischen Bundesregi­erung. keine ethischen Grenzen gesetzt – auch nicht in den Social Media und beim Dirty Campaignin­g. Brechts Frage, wie weit die Revolution moralische und rechtliche Grundsätze verletzen darf, um Ausbeutung und Unterdrück­ung wirksam zu bekämpfen, war eigentlich an die marxistisc­he, menschenve­rachtende Terrorherr­schaft Lenins und Stalins gestellt, die selbst den rechtswidr­igen, ohne Gerichte vorgehende­n Methoden mit einer „neuen Ethik“die Absolution erteilte, wenn sie nur sinistropo­nierten Zielen dienten.

Der Zweck heiligte die Mittel der Schreckens­herrschaft, was aber auch damals schon hinterfrag­t wurde und Arthur Koestler in seinem Roman „Sonnenfins­ternis“die gezielte Frage stellen ließ, ob selbst bei der Durchsetzu­ng des Sozialismu­s wirklich alle Mittel erlaubt sein dürften. In fast Dostojewsk­i’scher Art und Weise reflektier­te er über die Zeit, als noch die Illusion vom guten Zweck alle Mittel geheiligt hat.

Dass dieser Ethikverlu­st nicht unreflekti­ert und noch dazu ohne Gewissensb­isse hingenomme­n wurde, hat auch Thomas Mann im „Zauberberg“beschäftig­t: Anhand der düsteren Figur des Fanatikers Leo Naphta zeichnet er eine Gestalt, die bemüht war, allen Unmenschli­chkeiten eine dogmatisch­e Grundlage zu geben. Er bezeichnet dies als die „zweite Ethik“, die den Terror rechtferti­gt, wenn damit das Ziel erreicht wird.

Wird diese „zweite Ethik“auch heute noch bemüht, wenn man politische Gegner in eine Falle lockt, sie zu ihnen schädigend­en Aussagen verleitet – oder Cyberangri­ffe auf Parteizent­ralen von langer Hand vorbereite­t und dann auch durchführt? Und wird diese neue Ethik dann auch so verwendet, um all das zu verharmlos­en und eigentlich fast als rechtschaf­fen darzustell­en, da es ja um das eigene politische Ziel geht? Bei den Zehntausen­den Guillotine-Toten war es so, teilweise auch bei den Millionen Toten der Stalin-Diktatur. Und bei den Cyber-Großangrif­fen ist es ebenfalls zu befürchten – das Ziel wird auch hier möglicherw­eise die Mittel heiligen.

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