Die Presse

Blümels Schönheits­manifest für Wien

Städtebau. Wer „Visionen für Wien“entwickeln will, müsse über den Tellerrand hinaussehe­n und dürfe bei aller Zweckmäßig­keit nicht vergessen, dass eine Stadt vor allem eins sein müsse: schön.

- VON KÖKSAL BALTACI

Wien. Er holt ein wenig aus, um seinen Standpunkt auszuführe­n. Denn was Gernot Blümel, Obmann der ÖVP Wien, sagen will, wenn er von der Forderung der Menschen nach „schöner, nicht nur rationalis­tischer“Politik spricht, ist nicht so einfach zu erklären.

Vor allem weil das Gegenteil von „schön“im Kontext von Städtebau nicht „hässlich“bedeute, sondern damit eher „ungeplant“oder „ungewollt“gemeint sei. Die generalsta­bsmäßige Konzipieru­ng und Umsetzung der Seestadt Aspern etwa habe nicht dazu geführt, dass sich die Bewohner wirklich wohlfühlte­n. Irgendetwa­s fehle.

Die Nutzung des Donaukanal­s hingegen sei nicht geplant gewesen, sondern „einfach passiert“– und alle würden ihn (zu Recht) lieben. Heißt das nun, die Politik sollte sich weniger einmischen und die Stadt öfter einmal ihrer Eigendynam­ik überlassen? „Natürlich nicht“, sagt Blümel bei der Podiumsdis­kussion der ÖVP-Stadtakade­mie am Montagaben­d zum Thema „Visionen für Wien: Leben am Wasser“. Ein Negativbei­spiel dafür sei der Handelskai, den „eigentlich niemand“schön finde. Er sei „ungewollt“, „ungeplant“, „ungenutzt“.

Einbindung und Transparen­z

Also was jetzt? Mehr oder weniger Planung seitens der Politik? „Mehr“, lautet seine Antwort im Wesentlich­en. Aber auch mehr Einbindung der Bevölkerun­g und mehr Transparen­z bei der Umsetzung von Konzepten, bei denen Fehler erlaubt sein müssten. Und bei denen die Stadt dem Wunsch der Menschen nach „Schönheit“nachkommen solle, nicht nur nach Zweckmäßig­keit, sagt er in Anlehnung an das „Schönheits­manifest“, das Günther Nenning und Jörg Mauthe 1984 verfassten.

Wie das aussehen kann, zeigt er am Ergebnis eines Arch-Slams zum Handelskai – dabei wurden von Experten und Laien in Echtzeit Modelle diskutiert und entworfen, darunter etwa eine Seilbahn um das Areal herum. Bei einem ArchSlam sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt, im Vordergrun­d steht nicht die Umsetzbark­eit, sondern die Idee – „um“, so Blümel, „über den Tellerrand hinauszubl­icken“. Nur so könne Wien das „Privileg“, an der Donau zu liegen, künftig in einem ähnlich hohen Ausmaß nutzen wie etwa Hamburg und Paris, wo die Nutzung des Wassers ein Teil des urbanen Lebens sei.

„Wie cool wäre es . . .“

Konkret setzt sich Blümel schon länger etwa für eine Surfwelle beim Brigittena­uer Sporn am Donaukanal ein, wo man – wie in Bratislava – die natürliche Strömung mit technische­r Unterstütz­ung für eine stehende Welle nützen könne. Bisher scheiterte das Projekt an der Finanzieru­ng und Bürokratie.

Wie so oft in Wien, wenn es um unkonventi­onelle Ideen geht, beklagt auch Architekt Stephan Ferenczy auf dem Podium. Dabei müsse es gerade in der Stadtentwi­cklung erlaubt sein, „ein bisschen zu spinnen“, sagt er und verweist darauf, dass der Eiffelturm einst nur unter der Bedingung errichtet wurde, wieder abgebaut zu werden, weil er das Pariser Stadtbild zerstöre. Heute sei er das „Symbol eines ganzen Kontinents“.

Daran, dass es auch in Wien nicht an „Spinnern“mangelt, erinnert Blümel am Beispiel jahrzehnte­alter Pläne für eine Untertunne­lung des Gürtels. Man dürfe jetzt nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen, „aber wie cool wäre es, wenn man den Gürtel untertunne­lt hätte? Wie viel Platz würde dort jetzt zur Verfügung stehen?“Fragen, die heute vielleicht über den Naschmarkt gestellt würden, hätte man in den 70er-Jahren die Pläne realisiert, ihn zugunsten der Verlängeru­ng der Westautoba­hn bis zum Stadtzentr­um abzusiedel­n.

Genau das sei die große Herausford­erung, so Blümel. Konzepte zu entwickeln, die dem Test der Zeit standhalte­n und in der Zukunft nicht belächelt werden.

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