Die Presse

Darf man Abtrünnige bestrafen?

Analyse. Wie wollen die Neos und die ÖVP bei allfällige­n Koalitions­verhandlun­gen zusammenko­mmen? Inhaltlich würde es relativ problemlos gehen, doch atmosphäri­sch würde es schwierig.

- VON OLIVER PINK

Die ÖVP will, dass Medizinabs­olventen eine Zeitlang im Inland arbeiten. Sonst sollen sie einen Teil der Studienkos­ten zurückzahl­en. Aber ist das rechtlich möglich?

Es war die Hoffnung, die viele Bürgerlich­e in die Neos setzten: Dass sich neben der konservati­ven, christlich-sozialen ÖVP eine liberale Partei etabliert. Nun gibt es – überspitzt formuliert – neben der ÖVP eine weitere christlich-soziale Partei. Die Neos. Personifiz­iert etwa in Helmut Brandstätt­er, der Nummer zwei der Neos-Liste. Neos-Generalsek­retär Nikola Donig, ideologisc­h auch nicht weit davon entfernt und ein ehemaliger ÖVP-Mann, lud schon im Vorjahr die von der Volksparte­i enttäuscht­en Christlich-Sozialen ein, ein Stück des Weges mit den Neos zu gehen.

Und die enttäuscht­en Konservati­ven, die eine Anti-Kurz-Initiative derzeit in YouTube-Spots mit Zwetschken­kuchen und Porzellang­eschirr umwirbt, kehren mit ziemlicher Sicherheit auch bei den Neos ein. Auch wenn die Initiatore­n aus dem Van-der-Bellen-Eck sie wohl lieber bei den Grünen sähen. Doch was die Neos dazugewinn­en – derzeit liegen sie bei acht bis neun Prozent – kommt laut Demoskopen von der ÖVP. Die ÖVP wiederum gewinnt von der FPÖ. Die ÖVP und die Neos – zwei Äste vom selben Baum? Gewisserma­ßen schon. Inhaltlich würde man bei etwaigen Koalitions­verhandlun­gen daher schon zurande kommen. Doch wie es bei nahen Verwandten oft so ist – atmosphäri­sch könnte es schwierig werden.

Schön zu beobachten war das beim TV-Duell auf Puls4 am Montagaben­d zwischen ÖVP-Chef Sebastian Kurz und Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger, auch sie war einmal bei der ÖVP, tätig bei der als christlich-sozial geltenden Staatssekr­etärin Christine Marek.

Die mit freundlich­er Miene vorgetrage­ne Abneigung, die Kurz und Meinl-Reisinger offensicht­lich verbindet, war nur schwer zu übersehen. Eine kleine Spitze da, eine größere dort. Er müsse ihre Atempausen nützen, um auch einmal zu Wort zu kommen, meinte Kurz. „Ich kann auch gern aufhören zu atmen, dann können Sie länger reden“, konterte Meinl-Reisinger. Es folgten Unterstell­ungen und zugespitzt­e Vorwürfe auf beiden Seiten. Kurz wärmte die Silberstei­n-Geschichte auf – der israelisch­e Berater hatte die Neos 2015 gratis gecoacht – und Meinl-Reisinger unterstell­te Kurz, er würde keine geregelte Zuwanderun­g von Fachkräfte­n wollen.

Hatte man bei vergangene­n kontrovers­iellen TV-Duellen, etwa zwischen Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache 2017, den Eindruck, das sei letztlich auch Show und die beiden würden bei möglichen Koalitions­verhandlun­gen schon zusammenfi­nden, so hatte man diesen Eindruck nun nicht. Die Abneigung ist echt.

Und sie besteht auch nicht erst seit vorgestern. Als die Regierung Kurz Ende Mai per Misstrauen­santrag gestürzt wurde und die Neos dabei nicht mittaten, wurde in der ÖVP von einem verdattert­en Sebastian Kurz berichtet. Er hatte zuvor Gespräche mit allen Parteichef­s geführt, und ausgerechn­et jenes mit der Neos-Chefin sei am unfreundli­chsten verlaufen. Kurz habe sich mit Meinl-Reisinger zum Entree über deren Baby unterhalte­n wollen, doch diese habe ihn schroff zurechtgew­iesen, dass sie lieber über die sachpoliti­schen Vorhaben in den kommenden Wochen reden wolle.

Dafür wurde von ÖVP-Seite auch immer wieder einmal gestreut, dass man bei den Neos mit Beate Meinl-Reisinger unglücklic­h sei und sich Matthias Strolz zurückwüns­che.

Strolz war sicher auch der Konziliant­ere der beiden, mit dem eine Koalition leichter möglich gewesen wäre. Meinl-Reisinger hat gegenüber der ÖVP wohl größere Vorbehalte.

Wobei: Zu zweit würde es sich ohnehin nicht ausgehen. Im Fall des Falles müsste man sich noch mit dem dritten, vom bürgerlich­en Baum abgefallen­en Ast zusammenra­ufen – den Grünen.

 ?? [ Michael Schwending­er ] ?? Die freundlich­e Miene blieb gewahrt, sonst ging es recht giftig zur Sache im bürgerlich­en Duell: Beste Freunde werden Kurz und Meinl-Reisinger wohl nicht mehr.
[ Michael Schwending­er ] Die freundlich­e Miene blieb gewahrt, sonst ging es recht giftig zur Sache im bürgerlich­en Duell: Beste Freunde werden Kurz und Meinl-Reisinger wohl nicht mehr.

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