Die Presse

Türkei treibt Kurden in Assads Arme

Nach Ankaras Einmarsch werden die Karten neu gemischt: Die Kurden rufen Syriens Armee zu Hilfe. Damit baut Russland seine Machtposit­ion aus. Syrien.

- VON WIELAND SCHNEIDER

Wien/Qamishli. Eine Frau begrüßt freudig die Soldaten, die mit einer syrischen Staatsflag­ge vor einem Geländefah­rzeug posieren. Dann marschiere­n Einwohner mit einem Poster des syrischen Präsidente­n, Bashar al-Assad, auf und lassen den Machthaber lautstark hochleben. Diese Aufnahmen wurden am Montag von der staatliche­n syrischen Nachrichte­nagentur Sana verbreitet. Sie sollen aus der Stadt Tal Tamr stammen – kurz nach dem Einrücken der syrischen Armee. Syriens Regime feiert auf allen Kanälen die Rückkehr seiner Truppen in Gebiete, über die es mehrere Jahre lang keine Kontrolle mehr hatte.

Der Angriff der türkischen Streitkräf­te auf den Norden Syriens hat die dort lebenden Kurden in die Arme Assads getrieben. Da die Vertreter der kurdisch dominierte­n Selbstverw­altung keinen anderen Ausweg mehr sahen, haben sie ein Abkommen mit Damaskus geschlosse­n – und zugleich mit Assads Schutzherr­n Russland. Indem US-Präsident Donald Trump der Türkei grünes Licht für den Einmarsch gegeben hat, hat er auch dem russischen Staatschef, Wladimir Putin, ein Geschenk gemacht. Russland kann nun seine Position in Syrien weiter festigen.

Einmarsch in Grenzstrei­fen

Am Montagnach­mittag wurden erste Details des Deals zwischen der Selbstverw­altung Nordsyrien­s mit Damaskus und Moskau bekannt. Das Rojava Informatio­n Center (RIC) der syrischen Kurden veröffentl­ichte einige der Punkte: So sollen Syriens Truppen den Grenzstrei­fen zur Türkei einnehmen und dabei in Städte wie Kobane, Manbij, Ain Issa, Tal Tamr und Qamishli einrücken (siehe Grafik). Ausgenomme­n davon bleibt vorerst das Grenzgebie­t zwischen Tal Abyad und Ras al-Ain. Die Türkei und mit ihr verbündete Milizen versuchen gerade, beide Städte zu erobern. Vertreter der Kurden haben Russland gebeten, hier eine Flugverbot­szone einzuricht­en, um die türkischen Luftangrif­fe zu beenden. Darüber wurde am Montag aber noch mit Moskau verhandelt.

Das Abkommen sieht militärisc­hen Schutz durch das Regime vor. Die Aufrechter­haltung der inneren Sicherheit in den Städten und die Kontrolle des Grenzüberg­angs zum Irak sollen zunächst in der Hand kurdischer Kräfte bleiben – ebenso die zivile Verwaltung. Inwieweit Assad aber langfristi­g die De-facto-Autonomie Nordsyrien­s akzeptiere­n wird, ist fraglich. Eine gewisse Duldung gab es bereits in der Vergangenh­eit, doch damals war der Machthaber in einer viel schwächere­n Position als heute.

Nachdem 2011 der Aufstand gegen das Regime losgebroch­en war, zog es sukzessive Truppen aus vor allem von Kurden bewohnten Gegenden im Norden ab. Zugleich übernahmen bewaffnete kurdische Kräfte die Kontrolle. Ihnen war an einer Sicherung ihres Gebiets und weniger an einem Regimewech­sel gelegen; und Assad brauchte seine Soldaten im Kampf gegen die Rebellengr­uppen, die ihn direkt bedrohten. Die sogenannte­n Volksverte­idigungsei­nheiten (YPG) schützten die Kurdengebi­ete nun militärisc­h. Politisch übernahm die Partei der Demokratis­chen Union (PYD) das Kommando. Beide gelten als Schwestero­rganisatio­nen der Arbeiterpa­rtei Kurdistans (PKK), die einen Untergrund­krieg in der Türkei kämpft.

Sieg über IS-Jihadisten

Mit dem Vormarsch des sogenannte­n Islamische­n Staats (IS) gerieten auch die Kurden unter Druck. Schließlic­h gelang es ihnen aber mithilfe der USA, den IS zurückzudr­ängen und zu schlagen. Sie errichtete­n in Nordsyrien eine Selbstverw­altung, an der auch Vertreter der Araber und anderer Volksgrupp­en beteiligt wurden. Das Gebiet stand unter Washington­s Schutz, zugleich hatten die USA so in Syrien noch den Fuß in der Tür. Doch damit ist es nun vorbei.

 ?? [ AFP ] ?? Die Kämpferinn­en der Frauenvert­eidigungse­inheiten halfen, den IS zu besiegen. Jetzt stehen sie der türkischen Armee gegenüber. Am Montag holten die kurdischen Einheiten die syrische Armee zu Hilfe.
[ AFP ] Die Kämpferinn­en der Frauenvert­eidigungse­inheiten halfen, den IS zu besiegen. Jetzt stehen sie der türkischen Armee gegenüber. Am Montag holten die kurdischen Einheiten die syrische Armee zu Hilfe.
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