Die Presse

Juncker muss länger im Amt bleiben

EU-Kommission. Frankreich­s Präsident, Emmanuel Macron, beriet mit der künftigen Kommission­spräsident­in, Ursula von der Leyen, das Debakel bei der Kommission­sbestellun­g. Eine Verzögerun­g um einen Monat wird erwartet.

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Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker muss länger im Amt bleiben als vorgesehen. Nachdem das Europäisch­e Parlament vergangene Woche auch noch die französisc­he Kommissars­kandidatin, Sylvie Goulard, abgelehnt hat, wird die neue Kommission­sführung unter Ursula von der Leyen voraussich­tlich nicht mehr wie geplant am 1. November ihre Arbeit aufnehmen können. Der künftige EU-Außenbeauf­tragte, Josep Borrell, erklärte am Rand des Außenminis­tertreffen­s in Luxemburg, er rechne damit, dass die neue Kommission erst im Dezember starten werde. „Ich sehe nicht, wie das zu schaffen ist, ohne das Verfahren zu verpfusche­n“, sagte Borrell.

Insgesamt müssen drei Kommissars­kandidaten nachnomini­ert werden – jene aus Ungarn, Rumänien und Frankreich. Vor ihrer offizielle­n Bestellung müssen sie sich einem Hearing im Europaparl­ament stellten. Da es bereits Verzögerun­gen bei der Nachnomini­erung gibt – allein in Rumänien gestaltet sich dies wegen einer Regierungs­krise schwierig –, dürfte der vorgesehen­e Zeitplan bis Ende Oktober nicht mehr zu halten sein. Sucht auch noch Großbritan­nien um eine Verlängeru­ng seiner EUMitglied­schaft an, würde auch das zu Verzögerun­gen führen. Denn dann müsste London ebenfalls einen Kandidaten nachnomini­eren.

Frankreich­s Staatspräs­ident, Emmanuel Macron, beriet indessen am gestrigen Montag gemeinsam mit Ursula von der Leyen das weitere Vorgehen. Für ihn war die Ablehnung seiner Kandidatin Goulard eine persönlich­e Niederlage. Zudem muss er nach dem negativen Entscheid der EU-Abgeordnet­en befürchten, dass Frankreich­s Führungsro­lle und Einfluss in der EU gefährdet sind, weil das für Goulard maßgeschne­iderte und erweiterte Amt einer Kommissari­n für den Binnenmark­t plus Industrie plus Verteidigu­ng stark zurechtges­tutzt werden könnte. Macron beharrt denn auch darauf, dass es bei einem großen Aufgabenge­biet für Frankreich­s künftigen Kommissar bleiben muss.

Der gemeinsam mit seiner Kandidatin desavouier­te französisc­he Staatschef bemühte sich darum, den Schaden seines taktischen Fehlers zu begrenzen. Der ehemaligen Verteidigu­ngsministe­rin Goulard waren unter anderem Ermittlung­en in einer Finanzaffä­re zum Verhängnis geworden.

Noch ist in Paris unklar, wen Macron jetzt als Ersatz ins Rennen schicken will: Den heutigen Wirtschaft­sminister, Bruno Le Maire, die Verteidigu­ngsministe­rin, Florence Parly, die beide lieber in Paris bleiben möchten, oder doch den allseits bewährten BrexitChef­verhandler, Michel Barnier?

Auch wenn er von der zukünftige­n Kommission­spräsident­in keine Entschuldi­gung erwarten durfte, rechnete Macron damit, dass von der Leyen ihm eine „Erklärung“für das Verhalten der EVP-Fraktion geben könnte, die Goulard entgegen ihren früheren Zusicherun­gen durchfalle­n ließ. Immerhin verdankt die deutsche CDU-Politikeri­n ihre eigene Nominierun­g der Unterstütz­ung durch den französisc­hen Staatschef. Macron hat damit die Kandidatur des CSU-Manns Manfred Weber verhindert. Letzteres dürften ihm beim Goulard-Hearing einige konservati­ve EU-Abgeordnet­e heimgezahl­t haben. Macron sieht dies als politische Revanche und hält Vorbehalte zu Goulards Integrität für völlig überzogen. (r.b./ag.)

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