„Gebt Nordmazedonien eine Chance“
Interview. Präsident Stevo Pendarovski fordert von den EU-Staaten, möglichst bald Gespräche über einen Beitritt Nordmazedoniens zu beginnen. Sein Land habe „geliefert, was es sollte“.
Die Presse: Frankreich hat sich zuletzt deutlich negativ geäußert. Hoffen Sie dennoch, demnächst von der EU ein Signal für EU-Beitrittsgespräche mit Nordmazedonien zu erhalten? Stevo Pendarovski: Wir hoffen nicht auf ein Signal, wir erwarten eine Entscheidung. In den vergangenen eineinhalb Jahren haben wir alles geliefert, was wir sollten. Wir haben sogar nach dem historischen Abkommen mit Griechenland unseren Namen geändert. Das hat zuvor kein anderer Kandidatenstaat getan. Wenn die EU sagt, der Prozess der Annäherung basiert auf erbrachten Leistungen, dann erwarten wir nicht mehr oder weniger, als dass wir daran gemessen werden, was wir erreicht haben. Meine Botschaft ist: Gebt uns eine Chance, und lasst uns zeigen, dass wir bereit sind.
Ein Argument – etwa aus Paris – für die Blockade der Beitrittsgespräche mit Nordmazedonien und Albanien war: Beide müssten noch mehr im Kampf gegen Korruption und Kriminalität tun. Wir haben das Amt eines Sonderstaatsanwalts eingerichtet. Dieser hat unter anderem Anklage gegen den früheren Premier Nikola Gruevski erhoben, der dann aber nach Ungarn geflohen ist, und gegen andere wichtige Personen. Wir haben den Kampf gegen Korruption ganz oben angesetzt. Ein Hauptargument der Franzosen war auch, dass sie eine Vertiefung der Union vor einer Erweiterung wollten. Aber beide Prozesse können parallel verlaufen. Es geht ja nicht darum, dass wir sofort die volle Mitgliedschaft in der EU erhalten.
Sind Sie enttäuscht? Wir waren vor allem dieses Jahr im Juni enttäuscht. Vergangenes Jahr hatten die EU-Staaten noch gesagt: Nicht jetzt, wir müssen noch interne Reformen durchführen; aber nächsten Juni werden wir eine Entscheidung treffen und Gespräche mit Nordmazedonien und Albanien starten. Und diesen Juni haben sie dann gesagt: Tut uns leid, wir sind noch nicht bereit.
Wie wird das von der Bevölkerung aufgenommen? Meine wichtigsten Themen in meinem Präsidentenwahlkampf waren: der Beitritt zur EU und zur Nato als wichtigste strategische Ziele. Wir erwarten, dass wir in den kommenden Monaten der
ist seit Mai 2019 Staatspräsident des südosteuropäischen Landes Nordmazedonien. Pendarovski kommt aus der Sozialdemokratischen Liga Mazedoniens (SDSM), die auch die Regierungskoalition anführt. Als Kompromiss im Namensstreit mit Griechenland wurde Mazedonien Anfang 2019 offiziell in Nordmazedonien umbenannt. Nato beitreten können. Aber wenn die EU-Beitrittsgespräche noch weiter auf sich warten lassen, würde die Union viel Glaubwürdigkeit verlieren. Der EU-Enthusiasmus in unserem Land würde stark zurückgehen. Die Menschen haben gefragt: Warum müssen wir den Namen unseres Landes ändern? Wir haben ihnen gesagt: damit wir Teil der EU werden können. Wir haben alles erfüllt. Jetzt fragen uns die Menschen: Warum gibt es schon wieder eine Verzögerung?
Österreichs Außenminister Schallenberg hat zuletzt bekräftigt, dass die Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien im Paket starten sollen. Was halten Sie davon? Prinzipiell stimmen wir damit überein. Ein Prinzip der EU richtet sich nach den Fortschritten: Wenn ein Staat liefert, was er soll, dann ist man drinnen. Zugleich ist vieles in unserer Region miteinander verbunden – beginnend bei Sicherheit bis zu politischen und wirtschaftlichen Angelegenheiten. Nordmazedonien grenzt an Serbien und den Kosovo – zwei Länder, deren Konflikt nach wie vor die gesamte Region beeinflusst. Mit Blick auf den regionalen Aspekt möchte ich natürlich, dass auch Albanien mit den EU-Beitrittsgesprächen beginnt. Die Region kann nicht prosperieren, wenn nicht jedes Land ein Ziel vor sich hat. Alle sollten in den EUProzess aufgenommen werden; auch Bosnien und Herzegowina, das leider lang von Brüssel vernachlässigt wurde.
Der türkische Präsident, Recep Tayyip Erdogan,˘ hat damit gedroht, die Grenzen für 3,6 Millionen Flüchtlinge zu öffnen, sollte die EU seine Militäraktion in Nordsyrien kritisieren. Ist Nordmazedonien auf so ein Szenario vorbereitet? Ich möchte keine einzelnen Statements von Politikern in Zusammenhang mit den Geschehnissen in Syrien kommentieren. Für mich sieht es jedenfalls so aus, als ob das Flüchtlingsabkommen zwischen der EU und der Türkei nach wie vor hielte. Die Motive beider Seiten dafür, dieses Abkommen miteinander abzuschließen, sind nach wie vor dieselben.
Zuletzt landeten wieder mehr Flüchtlinge in Griechenland. Merkt man das auch bereits in Mazedonien? Kommen wieder mehr Menschen? Es ist natürlich immer möglich, dass Flüchtlinge aus Griechenland die Route über Mazedonien nehmen wollen, um weiter in die nördlicheren EU-Staaten zu gelangen. Bis jetzt haben wir aber keine signifikante Zunahme der Zahl an Personen bemerkt. Auf alle Fälle war die Situation nicht mehr auch nur annähernd vergleichbar mit 2015 und 2016, als eine Million Menschen unser Staatsgebiet durchquert hat.