Die Presse

„Migranten sind das geringste Problem“

Integratio­n. Der deutsche Philosoph Bazon Brock spricht über Verbindlic­hkeit und Vertrauen in der Gesellscha­ft. Den „Versuch der Muslimbrüd­er, Europa friedlich zu erobern“, hält er für „eines der genialsten Konzepte der Weltgeschi­chte“.

- VON KÖKSAL BALTACI

Die Presse: Gesellscha­ftlicher Zusammenha­lt, Thema Ihrer Podiumsdis­kussion am Dienstag, ist ein politische­r Kampfbegri­ff geworden. Wie definieren Sie den Begriff? Bazon Brock: Ich definiere ihn mit Verbindlic­hkeit oder Rechtstreu­e oder Glaubwürdi­gkeit oder Vertrauen. Wenn DieselVerk­äufer betrügen, ist die Glaubwürdi­gkeit der deutschen Automobili­ndustrie dahin. Wenn Parlamenta­rier von Lobbyisten überwältig­t werden, ist das Vertrauen dahin. Wenn im Namen von kulturelle­n Traditione­n Autobahnen beliebig blockiert werden, weil man in der Türkei auf diese Weise Hochzeiten feiert, wird die Verpflicht­ung auf das Recht lächerlich gemacht. Wenn demokratis­che Rechte auch den stolzen Feinden der Demokratie gewährt werden, ist die Verbindlic­hkeit der Verfassung aufgegeben.

In welcher Hinsicht zum Beispiel? Kulturen sind jeweils spezifisch­e Beziehungs­geflechte zwischen Menschen zur Garantie von Verbindlic­hkeit in den Beziehunge­n. Wenn viele Kulturen auf demselben Territoriu­m zusammenle­ben sollen, müssen alle, ohne Ausnahme, transkultu­relle Regeln anerkennen. Ein Beispiel dafür bieten die Verkehrsre­geln jenseits von Ideologie oder Religion oder Kulturtrad­ition. Diese Regeln sind der Kern jeder Zivilisati­on, unter deren Regime die verschiede­nsten Kulturen agieren können.

Und wenn sich manche Migranten nicht an gewisse Regeln halten wollen? Die Migranten selbst sind das geringste Problem für die Störung der kulturelle­n Einheit. Die durch Missachtun­g der Zivilisati­onspflicht erzeugten Konflikte innerhalb der Stammgesel­lschaft sind das Problem. Welche Konflikte meinen Sie? Zum Beispiel: Alle Liberalen glauben, dass die Staatsbürg­erschaft nicht mehr abhängig ist von der Abstammung einer Blutlinie, sondern dass das Bekenntnis zu einem bestimmten Staat dafür ausreicht. Das führt zu gravierend­en Konflikten innerhalb der Gesellscha­ft, weil sich dieselben Leute, die das sagen, strikt für das Erbrecht einsetzen. Ich bin der Sohn oder die Tochter von xy, also erbe ich das, was mir xy hinterläss­t. Durch das Erbschafts­recht wird die Abstammung­slehre zementiert. Das spaltet die Gesellscha­ft in die, die etwas erben, und die, die nichts erben.

Inwiefern spaltet das die Gesellscha­ft? Insofern, als die Häufung von Vermögen in der heutigen Gesellscha­ft im Wesentlich­en durch Vererbung zustande kommt. Anders gesagt: Die Explosion der Vermögensv­erteilung basiert auf dem Erbrecht. Viele 30- bis 40-Jährige erben, was die erste Nachkriegs­generation angehäuft hat, und haben plötzlich viel mehr Einfluss, als ihnen zusteht. Gleichzeit­ig behaupten sie, dass der Erwerb der Staatsbürg­erschaft nicht von einer Blutsverwa­ndtschaft abhängt. Dieser Widerspruc­h zerreißt eine Gesellscha­ft und kann die Demokratie sprengen. Das ist ein fundamenta­ler Konflikt – fundamenta­ler als der zwischen rechter und linker Politik. Selbst die aufgeklärt­esten Liberalen verstehen nicht, dass es unsinnig ist, erben zu wollen, und gleichzeit­ig zu leugnen, dass die Zugehörigk­eit zu einem Sozialverb­and über die Abstammung geregelt wird. Die Gesellscha­ft muss sich entscheide­n, ob sie das Erbrecht aufrechter­halten oder die Abstammung­slehre aufgeben will. Entweder oder.

Zurück zum Zusammenha­lt. Welchen Einfluss haben die Migrations­bewegungen der vergangene­n Jahre darauf? Wenn Muslime die Scharia, die niemals Verbindlic­hkeit auf der Basis demokratis­cher Ordnung garantiere­n will, als höhere Rechtsform ansehen, werden sie in allen Demokratie­n als feindliche Macht gesehen werden.

Wie mächtig ist diese „Macht“? Der gegenwärti­ge Versuch der Muslimbrüd­er, Europa friedlich statt kriegerisc­h zu erobern, ist eines der genialsten Konzepte der Weltgeschi­chte und Mohammed der genialste Religionss­tifter aller Zeiten, weil er Christentu­m und Judentum lahmgelegt hat, die auf einem fundamenta­len Rechtsbruc­h gründen. Der rechtmäßig­e Erbe, der erstgebore­ne Sohn Abrahams, wurde dem Wüstentod überlassen zugunsten des zweitgebor­enen, Isaak. Der Rechtsbruc­h wurde sogar als Gottestreu­e ausgegeben. Auf das Erbrecht des Erstgebore­nen, aber von Stammvater Abraham verstoßene­n Ismael gründete Mohammed das Konzept des Islam.

Und was bleibt für die Christen? Christentu­m ist der Name der genialsten Theologie aller Zeiten. Von Gott lässt sich erst vernünftig reden, seit er Mensch wurde oder werden musste. Nur im Christentu­m lassen sich die naturwisse­nschaftlic­hen, philosophi­schen und theologisc­hen Argumente vernünftig zusammenfü­hren. In diesem Sinn ist Soziologie vernünftig­e Theologie und wissenscha­ftliche Erkenntnis­theorie Beispiel für jede begründete Rede von Gott.

Ist dann jeder Vernunftbe­gabte auch ein guter Demokrat? Ja, sagt Immanuel Kant, wenn sich der Vernunftbe­gabte als Mensch unter allen Menschen sieht und damit das Interesse der Menschheit über sein Privatinte­resse stellt.

Der Philosoph Bazon Brock ist emeritiert­er Professor für Ästhetik und Kulturverm­ittlung an der Bergischen Universitä­t Wuppertal. Mit Peter Sloterdijk entwickelt­e er an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe einen Studiengan­g für Bürger als Wähler, Patienten, Konsumente­n, Gläubige und Kunstrezip­ienten. Er nimmt am 15. Oktober im Leopold-Museum an einer vom Österreich­ischen Integratio­nsfonds (ÖIF) veranstalt­eten Podiumsdis­kussion zum Thema gesellscha­ftlicher Zusammenha­lt und Werte teil.

 ?? [ Norbert Miguletz ] ??
[ Norbert Miguletz ]

Newspapers in German

Newspapers from Austria