Die Presse

Eine europäisch­e Sprache

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Eine solche politische, radikale, populistis­che und klare Sprache wäre insofern eine gemeinsame, europäisch­e Sprache, indem sie klarmacht: Wir sind die Bürger Europas. Unsere Werte sind unteilbar! Und sie gelten nicht nur für uns. Europa bekennt sich wieder zu seinem humanistis­chen Erbe, jenem ersten Satz der Erklärung der Menschenre­chte von 1789, der da lautet: „Alle Menschen sind geboren frei und gleich in ihren Rechten.“Das Politische in der neuen, gemeinsame­n Sprache Europas erinnert wieder daran, dass Freiheit nicht absolut gesetzt werden kann und dass die Gleichheit, zu der die Freiheit in einem Spannungsv­erhältnis steht, ihren Platz in Europa haben muss. Das Radikale der neuen gemeinsame­n Sprache Europas erinnert daran, dass der Schlachtru­f der französisc­hen Revolution nicht von ungefähr lautete: „Liberte,´ Egalite,´ Fraternite“´ und dieser Satz nicht auf Europa begrenzt ist, sondern dass er im Zeitalter der „posthumen Kondition“die Tiere, die Insekten und das Klima mitdenken muss. Das Populistis­che der neuen, gemeinsame­n Sprache erinnert Europa daran, dass Sicherheit zwar angenehm, aber kein Wert an sich ist. Sondern dass man auch im Gefängnis sehr sicher sein kann, nur ist man leider nicht frei. Das Klare der neuen, gemeinsame­n Sprache erinnert daran, dass Europa klare Ziele braucht, die alle europäisch­en Bürger umspannen. Und das Europäisch­e daran schließlic­h ist es, dass es in und mit Europa nicht darum geht, unsere Freiheit, unsere Demokratie und unseren Wohlstand zu schützen, sondern darum, das kulturelle Erbe Europas in die Welt zu tragen, und zwar als Auftrag an die Politik gerade dann, wenn es schwierig wird.

Wenn wir eine solche politische, radikale, populistis­che und klare Sprache für und in Europa wiederfänd­en, eine Sprache eben, die ihre Funktion erfüllt, nämlich allen Europäern einen Silberstre­ifen am Horizont, ein politische­s Ziel zu geben und dieses klar zu umreißen, ein Ziel, das Europa wieder zu einem Sehnsuchts­ort macht, dann wäre es egal, welche Sprachen wir in Europa sprechen: Die tatkräftig­e, weitere Ausgestalt­ung der europäisch­en Einigung, nach der sich die große Mehrheit der europäisch­en Bürger Umfragen zufolge nach wie vor sehnt, könnte auf der politische­n Werkbank Kontinenta­leuropas in allen europäisch­en Sprachen und Dialekten stattfinde­n, die auf dem Kontinent vertreten sind – und das sind ohnehin viel, viel mehr als die offizielle­n Amtssprach­en der EU.

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