Ein Idealfall auf vielen Ebenen
Liebe, verehrte Ulrike Guerot,´ werte Verehrungsbekundungsbezugsberechtigte aller Nobilitätsklassen (Sie gestatten mir, mich mit dieser Wendung um die protokollarischen Untiefen herumzumanövrieren)! Ich muss einleitend das Bekenntnis ablegen, dass ich unsicher bin, wie ich zu der hohen, mir zuteil werdenden Ehre dieses Tages komme. Ich komme zu ihr nicht wie der Pontius ins Credo, weil ich mich in der Debatte über religiöse Symbole im öffentlichen Raum nicht exponieren will. Die Sache mit der Jungfrau und dem Kind ist nicht nur inkorrekt, sondern hat in Zeiten der Reproduktionsmedizin auch jegliche metaphorische Treffsicherheit eingebüßt.
Sicher ist aber: Ich bin weder Politologe noch Soziologe noch Arzt noch bedingungsloser Europäer wie mein Freund und Studienkollege Robert Menasse, den ich in diese Ehrung gern einbeziehen möchte. Das hat schon pragmatische Gründe, ich habe in seinem Fall als Kulturjournalist und Germanist sichereren Boden unter den Füßen, und ich habe ihm hier auch mit Nachdruck die Ehre zu erklären: Er ist einer der ganz großen Schriftsteller – ich sage mit Bedacht: Österreichs –, und er löst, so wie in unserer Jugend Solschenizyn oder Heinrich Böll, den Traum von der gesellschaftlichen Wirksamkeit der Kunst ein.
Er hätte folgerichtig in der Denunziationsmaschinerie, die heute zur Herstellung zusehends inhaltsloser und formaler Moralschablonen angeworfen wird, beinahe Schaden genommen.