Eine Europäerin mit Verstand, Herz und analytischer Schärfe
Laudatio von Thomas Szekeres, Präsident der Ärztekammer, an Ulrike Gu´erot.
Ulrike Guerot´ ist eine konsequente Verfechterin einer gemeinsamen europäischen Republik, einer Überwindung des Nationalismus und der scheinbaren Grenzen, welche Nationen und neuerdings wieder Nationalismus aufziehen wollen. Nicht Nationen sind identitätsstiftend, sagt sie, sondern eine Fülle anderer Dinge, Einflussfaktoren und Gefühle und jeweils individuelle Ausprägungen, welche das Sein und wohl auch das bezeichnen, was wir landläufig mit Heimat umschreiben – ein ortloser Begriff vielleicht. Für dieses Engagement und diese Erkenntnis danke ich Frau Guerot.´ Ich selbst bin Ungar, meine Eltern mussten emigrieren. Ich fühle mich als Wiener in meinem Habitus und kulturellen Umfeld, aber als Europäer in meinem Denken.
Paul Watzlawick hat gesagt, man könne nicht nicht kommunizieren, und die Kommunikation auf Augenhöhe könne sich erst dann ereignen, wenn die Partner synchron zueinander sind. Das heißt, in der gemeinsamen Kognition, im gemeinsamen Verständnis und auf einer gleichen Sprachebene miteinander reden. Es geht nicht um lexikalische oder grammatikalische Beherrschung, sondern um die Entschlüsselung von semantischen Codes. Das fordert Guerot´ auch in ihren Büchern, in ihren Schreibschriften und in ihren – für mich – so wundervoll, fantasiebegabten Aktionen, wie unlängst die Balcony-Initiative, die doch einiges an Bewusstseinsänderung vollzogen haben sollte.
Wir sind jetzt, wenige Monate nach den EU-Wahlen, in einer wahrscheinlich entscheidenden Phase der EU. Gelingt es uns, Nationalismen zurückzudrängen und zu überwinden und Demokratie so zu leben, dass sie die Betroffenen involviert? Die Anzeichen sind nicht absehbar, Optimismus muss aber bleiben. Und Menschen wie Sie, die nicht nachgeben, kommunizieren, junge Menschen bilden und kritisch schärfen.
Ich sehe eine gewisse Parallele Ihres Ansatzes im eigentlichen Auftrag des Arztes. Ärzte sind in ihrem Grundselbstverständnis ganzheitlich denkend und verstehend. Nicht die einzelnen Gliedmaßen, die Organe, gewissermaßen die Bestandteile des Körpers, werden wahrgenommen, sondern der Körper und der Mensch selbst, die Seele, die Geschichte und die individuelle Geprägtheit. Wenn Ärzte das erkennen, sind Diagnose und vielleicht auch Heilung auf einer anderen Ebene anzusiedeln als in der rein entfremdeten, wenn auch notwendigen, maschinellen Analyse. Wir sollten das Bild des ganzheitlich denkenden Menschen ebenso wie das Bild des europäisch denkenden Individuums wieder leben. Wenn Sie für Ihr Vorhaben weiter einstehen und uns Ärzten eine neue Rehumanisierung im Verständnis unseres Berufes gelingt, sehe ich vielem positiv und gelassen entgegen.