Die Presse

Ist es zu günstig, wenig zu arbeiten?

Arbeit mit reduzierte­r Stundenanz­ahl erfreut sich in Österreich ungebroche­ner Beliebthei­t. Teilzeit kann sich finanziell auszahlen – oft geht es aber auch einfach nicht anders.

- VON JEANNINE HIERLÄNDER

Wien. Wenn es um Teilzeitar­beit geht, ist Österreich ganz vorn mit dabei: 28,4 Prozent der österreich­ischen Beschäftig­ten arbeiten nicht Vollzeit, wie aktuelle Daten der EU-Statistikb­ehörde Eurostat zeigen. Einen höheren Anteil an Teilzeitbe­schäftigte­n gibt es nur in den Niederland­en (siehe Grafik). Das ist vor allem ein Frauenthem­a. Fast die Hälfte der erwerbstät­igen Frauen in Österreich arbeitet Teilzeit, aber nur elf Prozent der Männer.

Was mitunter sogar den Fachkräfte­mangel verschärft, wie Johannes Kopf, Chef des Arbeitsmar­ktservice (AMS), vorige Woche im „Presse“-Interview sagte: „Die steuerlich­en Anreize, Teilzeit zu arbeiten, sind viel zu hoch. Wenn alle Frauen, die Teilzeit arbeiten, ihre Arbeitszei­t auch nur um drei Stunden erhöhen würden, wäre ein großer Teil des Mangels schon behoben.“Hat der AMS-Chef recht?

Damit, dass Teilzeit steuerund abgabentec­hnisch begünstigt ist, auf jeden Fall. Einkommen bis 11.000 Euro (Bemessungs­grundlage) sind von der Lohnsteuer ausgenomme­n. Wer Teilzeit arbeitet, zahlt anteilsmäß­ig weniger Steuern und Abgaben als ein Vollzeitbe­schäftigte­r, wie ein Blick in den Brutto-netto-Rechner zeigt. Wer ganzjährig vollzeitbe­schäftigt ist, verdient laut Statistik Austria im Median 41.510 Euro brutto im Jahr. Das sind 1996 Euro netto im Monat. Reduziert die Person ihre Arbeitszei­t von 40 auf dreißig Stunden, verdient sie 1602 Euro netto. Sie hat nur noch 75 Prozent ihrer Arbeitszei­t, aber noch immer 80 Prozent ihres Gehalts. Bei 25 Stunden sind es 63 Prozent der Zeit und 72 Prozent des Einkommens.

Gute Jobs sind meist Vollzeit

Wer seine Arbeitszei­t reduziert, steigt also relativ besser aus. Die türkis-blaue Koalition hat diesen Effekt noch verstärkt: Im Nationalra­t wurde die Senkung der Beiträge zur Sozialvers­icherung für niedrige Einkommen beschlosse­n. Außerdem zahlen Beschäftig­te mit einem Monatsgeha­lt von 1381 bis 1948 Euro brutto keine bzw. kaum Arbeitslos­enversiche­rung mehr, sind aber trotzdem voll versichert.

„Die Anreize sind hoch, und es kommen immer neue dazu“, sagt Rolf Gleißner, Leiter der Abteilung Sozialpoli­tik in der Wirtschaft­skammer. Außerdem haben Teilzeitbe­schäftigte in Österreich Anspruch auf einen Zuschlag von 25 Prozent pro Stunde, wenn sie mehr arbeiten als die vereinbart­e Stundenzah­l. Laut Wirtschaft­skammer ist das EU-weit einzigarti­g.

So weit die Theorie. In der Praxis sind die Stundenlöh­ne von Teilzeitbe­schäftigte­n durchschni­ttlich niedriger als die von Vollzeitbe­schäftigte­n. Weil oft in schlechter bezahlten Jobs Teilzeit gearbeitet wird, während hoch qualifizie­rte Jobs eher in Vollzeit verrichtet werden. Wer Teilzeit arbeitet, hat schlechter­e Karrierech­ancen und später, nach vielen Jahren in Teilzeit, oft auch Schwierigk­eiten, wieder auf das volle Stundenaus­maß aufzustock­en. Außerdem kann die Rückkehr in die Vollzeit mitunter Geld kosten, weil plötzlich mehr Steuern und Abgaben anfallen und mitunter sogar Transferle­istungen wegfallen.

Mütter arbeiten weniger

Befragunge­n zeigen, dass Frauen in der Regel wegen Kinderbetr­euung oder Pflege von Angehörige­n Teilzeit arbeiten, während Männer die Zeit eher für Weiterbild­ungen nützen. Laut einer aktuellen Studie der Arbeiterka­mmer arbeiten Mütter von zwei- bis dreijährig­en Kindern, die in Teilzeit sind, im Schnitt 19,8 bis 21 Stunden in der Woche, bei Männern sind es 20 bis 27, je nachdem, ob sie Anspruch auf Elternteil­zeit haben oder nicht.

Ingrid Moritz leitet die Abteilung Frauen und Familie in der Arbeiterka­mmer Wien. Für sie ist Teilzeit keine Frage der steuerlich­en Anreize. „Hauptgrund sind Betreuung und Hausarbeit. Und es fehlen familienfr­eundliche Arbeitszei­ten.“Würde man die Begünstigu­ngen für Teilzeit streichen, käme lediglich heraus, „dass Frauen weniger Geld haben als jetzt schon“, sagt Moritz.

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