Rom hofft auf grünes Licht für hohe Ausgaben
Italien. Am Dienstag will die Regierung der EU-Kommission den Budgetplan für 2020 vorlegen. Darin plant die neue Koalition noch höhere Schulden als das zurückgetretene Populistenbündnis. Nicht nur Italiens Industrielle sind skeptisch.
Es war ein kühler Empfang, den lombardische Industrielle im eleganten Mailänder Teatro alla Scala dem italienischen Ministerpräsidenten Giuseppe Conte bereiteten: „Erzählen Sie uns jetzt bitte nichts von neuem Humanismus. Beeindrucken Sie uns endlich!“, forderte Carlo Bonomi, Präsident des Unternehmerverbandes Assolombarda, beim Event Anfang Oktober. Immerhin gilt Bonomi als künftiger Präsident des italienischen Industriellenverbandes Confindustria.
Grund für den Unmut war primär der Budgetentwurf für 2020. Diesen will die frisch gegründete Koalition aus Fünf-SterneBewegung und Sozialdemokraten (PD) heute, Dienstag, der EU-Kommission vorlegen. Bonomi vermisst darin Schritte, um Italien aus der wirtschaftlichen Sackgasse zu führen und das jahrelang stagnierende Wachstum sowie die rückläufige Industrieproduktion wieder anzukurbeln. Er forderte tiefgehende strukturelle Reformen. Allerdings seien weder nachhaltige Investitionen in Bildung und Infrastruktur, noch eine Reform der schwerfälligen Bürokratie und somit eine Senkung der überdurchschnittlich hohen Produktionskosten geplant. Auch drängte Bonomi die Regierung, endlich die Finanzen zu sanieren, um Italiens Steuerzahler nicht noch mehr mit immer teureren Schulden zu belasten.
Das Haushaltsdefizit soll im kommenden Jahr auf 2,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) leicht steigen – 2019 sind Schulden in der Höhe von 2,04 Prozent geplant. Das Strukturdefizit (also die um den Effekt von Konjunkturschwankungen bereinigte Neuverschuldung) wird sich also um 0,1 Prozentpunkte verschlechtern. Mit Brüssel hatte Rom eigentlich eine Verbesserung um 0,6 Prozent vereinbart. Italien zählt mit einer Rekordverschuldung von über 132 Prozent des BIP zu den Dauer-Euro-Sorgenkindern. Die im August geplatzte Populistenkoalition aus Fünf-Sterne und Lega hat allein in den vergangenen zwölf Monaten zwei EU-Verfahren wegen ihrer Ausgabenpläne riskiert. Dabei hatte das Bündnis für 2020 ein Etatdefizit von 2,1 Prozent einkalkuliert – weniger als die aktuelle Koalition.
Rom rechtfertigt nun die Ausgaben mit der notwendigen „Flexibilität“, um das seit Jahrzehnten stockende Wachstum (prognostizierte 0,1 Prozent für 2019) anzukurbeln und Jobs zu schaffen. Allerdings sind im Etat kaum langfristige Maßnahmen vorgesehen, die das Land wieder in Schwung bringen könnten. Ebenso wenig angerührt werden kostspielige soziale Maßnahmen der vorherigen Koalition, etwa ein verfrühter Pensionsantritt oder das Grundeinkommen.
Großteils werden die hohen Ausgaben dazu dienen, eine automatische Erhöhung der Mehrwertsteuer ab Jänner zu verhindern: Diese „Sicherheitsklausel“war 2011 eingebaut worden, um zu große Budgetlöcher sofort zu stopfen. Eine höhere Mehrwertsteuer – und somit steigende Preise – hätte dramatische Folgen, da sie die bereits schleppende private Nachfrage noch weiter bremsen würde.
Der angesehene Ökonom Tito Boeri, ExChef des wichtigsten Sozialversicherungsträgers INPS, sieht das anders: Das Budget gehe „noch weiter zu Lasten der jungen Generationen, die all diese Schulden zurückzahlen müssen.“Zumal die Blockierung der Mehrwertsteuer so teuer sei, dass die Senkung der Lohnnebenkosten „nur“zwei Milliarden ausmachen werde: zu wenig, um sich am Arbeitsmarkt auszuwirken – und neue Jobs zu schaffen. „Dafür wären 13 oder 14 Milliarden Euro nötig“, so auch Bonomi.
Unklar ist vor allem, wie die Regierung die Ausgaben gegenfinanzieren will: Rom hat angegeben, sieben Milliarden Euro durch einen harten Kampf gegen Steuerflucht einnehmen zu wollen. Italiener sind EU-Meister in Steuerhinterziehung, jährlich gehen so 109 Milliarden Euro dem Staat verloren. Wie genau aber die Regierung diesen sieben Milliarden an hinterzogenen Abgaben auf die Schliche kommen will, bleibt vage. Experten erwarten höchstens Einnahmen in der Höhe von zwei Milliarden Euro.
Es wird sich also zeigen, ob Rom die EUKommission mit seinen Budgetplänen überzeugen kann. Italiens Finanzminister Roberto Gualtieri ist zuversichtlich: „Wir erwarten eine positive Reaktion auf unser Budget.“Vielleicht setzt Rom auf Nachsicht aus Brüssel, sozusagen als Rückenwind für das frisch geborene, EU-freundliche Kabinett. Die politische Lage ist fragil: Eine neue Konfrontation mit Brüssel könnte die EU-skeptische Lega von Matteo Salvini noch mehr stärken.
Heikel dürfte auch ein anderer Aspekt werden: Designierter neuer Wirtschaftskommissar ist der frühere italienische Premier Paolo Gentiloni – ein Sozialdemokrat. Sollte bis Ende November die neue EU-Kommission stehen, könnte ausgerechnet der ehemalige Parteikollege des Finanzministers das Machtwort über Italiens Haushaltspläne sprechen. Ob dies ein Vorteil oder Nachteil ist, wird sich zeigen: Bei seinem Hearing im EU-Parlament hatte Gentiloni versichert, Italiens Etat streng nach EU-Regeln unter die Lupe zu nehmen. Nach Rom soll er laut italienischen Medien jedenfalls schon signalisiert haben: „Haltet euch in Grenzen.“