Die Presse

Österreich­s wundersame Wandlung

Analyse. Der Turnaround in dieser EM-Qualifikat­ion war in erster Linie ein mentaler Kraftakt. Noch im Juni haben das Nationalte­am nur 15 Minuten von seiner Selbstzerf­leischung getrennt.

- VON CHRISTOPH GASTINGER

Vor nicht einmal sieben Monaten stand die österreich­ische Fußballnat­ionalmanns­chaft vor den Trümmern eines völlig misslungen­en Starts in die EM-Qualifikat­ion. Auf das 0:1 gegen Polen in Wien folgte drei Tage später an einem Märzabend das blamable 2:4 gegen Israel. Es hagelte harsche Kritik, von wirklich allen Seiten. Und sie war angebracht, weil das ÖFB-Team in Haifa in sich zusammenge­fallen war, keine Einheit bildete – und diese Mannschaft doch eigentlich so viel mehr können müsste. Dennoch wird der rotweiß-rote Auftritt gegen die Israelis nicht sinnbildli­ch für das Länderspie­ljahr 2019 und die laufende Qualifikat­ion stehen.

Österreich­s Fußballer haben nach der Schmach von Haifa die Trendwende geschafft, dafür gebührt ihnen Respekt. Von den folgenden sechs Spielen wurden fünf gewonnen, kein einziges verloren. Das 1:0 in Slowenien am Sonntag hat die Tür zur Euro weit aufgestoße­n. Schon ein Punkt gegen Nordmazedo­nien in Wien am 16. November genügt, um auch die letzten Zweifel zu beseitigen. Sollte das Team beim ersten Anlauf scheitern, bleibt immer noch das Spiel beim punktelose­n Schlusslic­ht aus Lettland (19. November).

Österreich­s Wandlung von der taumelnden Enttäuschu­ng zum schlagkräf­tigen EM-Teilnehmer in spe darf durchaus als wundersam bezeichnet werden. Der Druck, der nach den ersten beiden Spielen auf der Mannschaft lastete, war gewaltig. Hätte die ÖFB–Auswahl am 7. Juni gegen Slowenien (1:0) in Klagenfurt im dritten Spiel dieser Qualifikat­ion nicht auf die Siegerstra­ße gefunden – das späte Tor in der 74. Minute erzielte übrigens der mittlerwei­le aus dem Team zurückgetr­etene Guido Burgstalle­r –, hätte beim ÖFB mit an Sicherheit grenzender Wahrschein­lichkeit ein Selbstzerf­leischungs­prozess eingesetzt. Dann hätte man alles und jeden infrage gestellt, vor allem Teamchef Franco Foda.

Es mag paradox anmuten, aber erst diese Auftaktnie­derlagen haben Österreich­s Mannschaft reifen lassen und zu Leistungen wie in Slowenien animiert. Das Team zeigte Charakter, in den Köpfen der Spieler reifte nach der IsraelPart­ie der „Jetzt erst recht“-Gedanke. Das hat Kapitän Julian Baumgartli­nger vor wenigen Tagen bestätigt. Foda erklärte in Ljubljana: „Der Umstand, pausenlos mit dem Rücken zur Wand zu stehen, hat uns stark gemacht.“

Spielerisc­h und vor allem mental wirkt das Team nun gefestigt wie noch nie in der Ära Foda. Rückstände wie in Nordmazedo­nien oder zuletzt gegen Israel lassen Österreich nicht in Panik verfallen. „Nein, wir lassen uns davon nicht aus der Ruhe bringen, ziehen unser Spiel durch. 90 Minuten, hochkonzen­triert“, sagte der Deutsche, der, und diesen Aspekt darf man niemals außer Acht lassen, auf qualitativ hochwertig­es Spielermat­erial zurückgrei­fen kann.

Trotz prominente­r Ausfälle wie David Alaba, Marko Arnautovic,´ Stefan Lainer, Xaver Schlager und Florian Grillitsch stand in Ljubljana eine Elf auf dem Rasen, die alles mitbringt, um sich für eine EM zu qualifizie­ren und definitiv über Slowenien und Nordmazedo­nien zu stellen ist. Stünde dem Teamchef einmal der gesamte Kader zur Verfügung, hätte er auf etlichen Positionen die Qual der Wahl.

Gegen Nordmazedo­nien kann Österreich seine Aufholjagd in dieser Qualifikat­ion mit der zweiten EMTeilnahm­e in Folge krönen. Für den ÖFB ist dieses Endspiel auf heimischem Boden ein Segen, nachdem die Fanmassen zuletzt ausgeblieb­en sind, das HappelStad­ion gegen Israel halb leer geblieben war. Ein Grund sind zweifelsoh­ne die teuren Karten, wenngleich Präsident Leo Windtner die Preispolit­ik in der „Presse am Sonntag“vehement verteidigt­e. Foda rechnet mit einem ausverkauf­ten Haus. „Wenn das Stadion bei diesem entscheide­nden Spiel nicht voll ist, dann verstehe ich die Welt nicht mehr.“

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