Österreichs wundersame Wandlung
Analyse. Der Turnaround in dieser EM-Qualifikation war in erster Linie ein mentaler Kraftakt. Noch im Juni haben das Nationalteam nur 15 Minuten von seiner Selbstzerfleischung getrennt.
Vor nicht einmal sieben Monaten stand die österreichische Fußballnationalmannschaft vor den Trümmern eines völlig misslungenen Starts in die EM-Qualifikation. Auf das 0:1 gegen Polen in Wien folgte drei Tage später an einem Märzabend das blamable 2:4 gegen Israel. Es hagelte harsche Kritik, von wirklich allen Seiten. Und sie war angebracht, weil das ÖFB-Team in Haifa in sich zusammengefallen war, keine Einheit bildete – und diese Mannschaft doch eigentlich so viel mehr können müsste. Dennoch wird der rotweiß-rote Auftritt gegen die Israelis nicht sinnbildlich für das Länderspieljahr 2019 und die laufende Qualifikation stehen.
Österreichs Fußballer haben nach der Schmach von Haifa die Trendwende geschafft, dafür gebührt ihnen Respekt. Von den folgenden sechs Spielen wurden fünf gewonnen, kein einziges verloren. Das 1:0 in Slowenien am Sonntag hat die Tür zur Euro weit aufgestoßen. Schon ein Punkt gegen Nordmazedonien in Wien am 16. November genügt, um auch die letzten Zweifel zu beseitigen. Sollte das Team beim ersten Anlauf scheitern, bleibt immer noch das Spiel beim punktelosen Schlusslicht aus Lettland (19. November).
Österreichs Wandlung von der taumelnden Enttäuschung zum schlagkräftigen EM-Teilnehmer in spe darf durchaus als wundersam bezeichnet werden. Der Druck, der nach den ersten beiden Spielen auf der Mannschaft lastete, war gewaltig. Hätte die ÖFB–Auswahl am 7. Juni gegen Slowenien (1:0) in Klagenfurt im dritten Spiel dieser Qualifikation nicht auf die Siegerstraße gefunden – das späte Tor in der 74. Minute erzielte übrigens der mittlerweile aus dem Team zurückgetretene Guido Burgstaller –, hätte beim ÖFB mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein Selbstzerfleischungsprozess eingesetzt. Dann hätte man alles und jeden infrage gestellt, vor allem Teamchef Franco Foda.
Es mag paradox anmuten, aber erst diese Auftaktniederlagen haben Österreichs Mannschaft reifen lassen und zu Leistungen wie in Slowenien animiert. Das Team zeigte Charakter, in den Köpfen der Spieler reifte nach der IsraelPartie der „Jetzt erst recht“-Gedanke. Das hat Kapitän Julian Baumgartlinger vor wenigen Tagen bestätigt. Foda erklärte in Ljubljana: „Der Umstand, pausenlos mit dem Rücken zur Wand zu stehen, hat uns stark gemacht.“
Spielerisch und vor allem mental wirkt das Team nun gefestigt wie noch nie in der Ära Foda. Rückstände wie in Nordmazedonien oder zuletzt gegen Israel lassen Österreich nicht in Panik verfallen. „Nein, wir lassen uns davon nicht aus der Ruhe bringen, ziehen unser Spiel durch. 90 Minuten, hochkonzentriert“, sagte der Deutsche, der, und diesen Aspekt darf man niemals außer Acht lassen, auf qualitativ hochwertiges Spielermaterial zurückgreifen kann.
Trotz prominenter Ausfälle wie David Alaba, Marko Arnautovic,´ Stefan Lainer, Xaver Schlager und Florian Grillitsch stand in Ljubljana eine Elf auf dem Rasen, die alles mitbringt, um sich für eine EM zu qualifizieren und definitiv über Slowenien und Nordmazedonien zu stellen ist. Stünde dem Teamchef einmal der gesamte Kader zur Verfügung, hätte er auf etlichen Positionen die Qual der Wahl.
Gegen Nordmazedonien kann Österreich seine Aufholjagd in dieser Qualifikation mit der zweiten EMTeilnahme in Folge krönen. Für den ÖFB ist dieses Endspiel auf heimischem Boden ein Segen, nachdem die Fanmassen zuletzt ausgeblieben sind, das HappelStadion gegen Israel halb leer geblieben war. Ein Grund sind zweifelsohne die teuren Karten, wenngleich Präsident Leo Windtner die Preispolitik in der „Presse am Sonntag“vehement verteidigte. Foda rechnet mit einem ausverkauften Haus. „Wenn das Stadion bei diesem entscheidenden Spiel nicht voll ist, dann verstehe ich die Welt nicht mehr.“