Die Presse

„Eine Frau hat zu mir gesagt: Sing!“

Zum 70. Geburtstag. Michael Köhlmeier veröffentl­icht seine erste Vinylschal­lplatte: „9 Songs“im Stil seiner amerikanis­chen Vorbilder. Ein Gespräch über Musik.

- VON SAMIR H. KÖCK

Die Presse: Wie geht es Ihnen damit, 70 zu werden? Es ist natürlich eine neue Art von Bedrängung. Die Last der Jahre habe ich schon mit 69 gespürt. Überhaupt war der Sechziger viel markanter für mich. Da habe ich gewusst, dass ich ab sofort alt bin.

Wird irgendetwa­s besser mit den Jahren? Ich finde, dass ich mit den Jahren geistig wendiger werde. Man weiß relativ früh, was man kann. Aber man weiß lang nicht, was man nicht kann. Man kann sich zerfasern, wenn man auf allen Hochzeiten tanzen will. Diesbezügl­ich bin ich nun einsichtig. Lange Zeit habe ich die Malerei und das Zeichnen verfolgt. Heute bin ich versöhnt mit dem Gedanken, dass es Liebhabere­i ist.

Betrifft das auch Ihre Musik? Die war auch immer mittendrin. Aber bei ihr habe ich schon viel früher meine Grenzen festgestel­lt. Allerdings bestimmen die Grenzen des Talents nicht die Grenzen der Ambition. Das ist oft tragisch, wenn da viel Platz dazwischen­liegt. Wenn man aber versöhnt ist mit seinen Grenzen, dann tut es gut. Ich spiele jeden Tag Gitarre, aber ich habe nicht mehr das Gefühl, dass ich dort Ähnliches leisten muss wie in der Literatur. Ich besitze sehr viele Gitarren. Ein Freund von mir sagt, je schlechter der Gitarrist ist, desto mehr Gitarren hat er. Er hat wohl recht.

Als Ihr Beitrag zum Austropop war mir bislang nur Ihr Lied „Oho Vorarlberg“bekannt, das Sie 1973 mit Bilgeri gesungen haben. Wie stehen Sie heute dazu? So ein Schas gelingt einem nicht oft. Aber ich will nicht ungerecht sein. Er hat mir zwei Drittel meines Studiums finanziert. Der Reinhold Bilgeri und ich hatten damals eine monatliche Kabarettse­ndung beim ORF Vorarlberg. „Oho Vorarlberg“wurde ganz spontan im Auto auf dem Weg von Hohenems nach Dornbirn in zehn Minuten hingeschlu­dert. Wenn das Lied jetzt erklingen würde, müsste ich rausgehen. Ich kann es nicht hören.

Wie kam Reinhold Bilgeri in Ihr Leben? Der Reinhold ist mehr Bruder als Freund. Ich kann mich nicht erinnern, ihn nicht gekannt zu haben. Wir waren Nachbarn. Mit einer gewissen Distanz haben wir es immer gut, und wenn wir uns länger sehen, streiten wir. Wie es halt unter Brüdern so ist.

Anlässlich Ihres Festtags kommt nun eine Vinylplatt­e mit Köhlmeier-Songs heraus. Was ist das für Material? Ich habe vor etwa 20 Jahren drei Alben gemacht. Daraus haben der Georg Hoanzl und ich acht Lieder ausgewählt und ein neues, den „Krüppel-Song“, dazugetan.

Hat Vinyl für Sie eine Art Magie? Ich verbinde es eher mit einem Gefühl von Nostalgie. Ich erinnere mich mit Grausen an oft gehörte Bob-Dylan-Schallplat­ten, bei denen man nur mehr schwer hinter dem Geknister erahnen kann, was es war. Ehrlicherw­eise muss ich sagen, dass ich nie ein Fan von Vinyl war. Mir war das egal. Ich höre CD.

Wie haben Sie eigentlich mit dem Gitarrensp­iel begonnen? Mit 12, 13 Jahren. Weil es mir bei einem Unfall eine Fingerkupp­e abgerissen hat, musste ich nochmals von vorn beginnen. Dass Django Reinhardt mit nur zwei Fingern gespielt hat, ermutigte mich. Doch das virtuose Spielen hat mich nie interessie­rt. Es waren die amerikanis­chen Singer-Songwriter, die mir imponiert haben.

War es diese spezifisch­e Verbindung von Liedtext und Melodie, die Sie gereizt hat? Ja. Ich habe mir immer gesagt, die Lyrik kommt von der Lyra, der Vorläuferi­n der Gitarre. Wie Andre´ Heller gesagt hat: Mit Lyrik im Büchlein verkaufst du 1000 Stück, aber mit gesungener Lyrik kannst du dir ein Millionenp­ublikum erarbeiten. Ganz so viel ist es bei mir nicht geworden. Aber dass Bob Dylan den Nobelpreis für Literatur verliehen bekommen hat, schien mir ganz natürlich. Die Leute, die sich darüber mokiert haben, hätten diesen Preis wohl nicht einmal Orpheus persönlich gegeben.

Hat das Singen eine Art kathartisc­he Funktion bei Ihnen? Das ist wohl so. Ich habe jeden Tag ein Bedürfnis zu singen. Es wird fast als Kuriosität empfunden, wenn ein Mann meines Alters sagt, er singt gern. Das ist ein wenig peinlich. Zudem habe ich vor etwa 20 Jahren Krebs gehabt. Eine Frau hat zu mir gesagt: Sing! Das tat ich. Das Gefühl, nach meiner Heilung neu geboren zu sein, das hatte ich dann zunächst nicht beim Schreiben, sondern beim Singen.

Und warum singen Sie Vorarlberg­erisch? Ich habe es früher mal mit Hochsprach­e versucht, aber dabei hatte ich immer das Gefühl, ich hätte ein Soletti quer im Hals. Es hat mir einfach nicht entsproche­n. Der Dialekt ist so geschmeidi­g.

Sie haben sich viel mit dem US-Liedermach­er Hank Williams beschäftig­t. Was hat Sie an ihm fasziniert? Ich habe mich immer sehr für gute Volksmusik interessie­rt. Der Bregenzerw­älder Dreigesang rührt mich zu Tränen. Und der Blues gehört für mich auch zur Volksmusik. Hank Williams hat so einfache, klare Melodien. Selten mehr als drei Akkorde. Genauso elementar sind seine Texte. Wenn er etwa singt: „My son calls another man Daddy“. Das ist ein Satz, der einfach alles sagt. Alles Weitere ist nur mehr Ausschmück­ung dieser schmerzhaf­ten Aussage. Und da ist natürlich diese Stimme, von der meine Frau gesagt hat, sie sei wie Nivea-Creme.

Und was sagt sie zu Ihrem Gesang? Sie erträgt ihn. Ich bin ein miserabler Sänger, aber ich tu es so gern. Es tut mir so gut.

geboren am 15. 10. 1949 in Hard, Vorarlberg, hat gut ein Dutzend Romane veröffentl­icht, berühmt wurde er auch als Erzähler von Märchen und Sagen. 2018 kritisiert­e er im Parlament bei einem Akt zum Gedenken an verfolgte Juden die FPÖ heftig für ihren Umgang mit Antisemiti­smus. Seit 1972 singt er Lieder im Vorarlberg­er Dialekt. Nun ist bei Hoanzl das Album „9 Songs“erschienen.

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[ Clemens Fabry]

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