Literaturnobelpreis: Zwiespältige Angelegenheit und ewiges Dilemma
Peter Handke und der Literaturnobelpreis: Sind weltliterarisches Schaffen und politisches Handeln voneinander trennbar?
Kann man literarisches Schreiben und politisches Handeln voneinander trennen? Nein, finden einige.
Den Literaturnobelpreis und seine Würde hatte die Schriftstellerin Katarina Frostenson eher nicht im Sinn, als sie im Mai ihr tagebuchartiges Reinwaschbuch „K“(wie Korruption, Komplott, Krise, Kafka) veröffentlichte – ziemlich genau ein Jahr nach dem miesen Schmierentheater hinter schwedischen Akademiegardinen, in dem sie, vor allem aber ihr Mann, Jean-Claude Arnault, Hauptrollen spielten: 18 Frauen hatten geklagt, dass sie von Arnault, dem Frostenson nebstbei Akademiegelder für dessen privaten Kulturverein zugeschanzt haben soll, sexuell bedrängt und/oder missbraucht worden wären. „Groteske Übertreibungen, Lügen und Verleumdungen“, entrüstet sich Frostenson in ihrem „selten dummen, verblendeten Werk“und einem „der traurigsten Bücher, die der Kulturbetrieb je hervorbrachte“(©„Süddeutsche Zeitung“).
Arnault wurde bekanntlich zu zwei Jahren Haft verurteilt und der Literaturnobelpreis, nachdem etliche Jurymitglieder zurückgetreten waren bzw. wurden, für ein Jahr ausgesetzt. Weshalb es dieses Jahr gleich zwei Preisträger gab, für 2018 die polnische Autorin Olga Tokarczuk, für 2019 den österreichischen Schriftsteller Peter Handke. Der hatte seine Kritik an der | MeToo-Bewegung einmal in poetische Worte gekleidet: „Ich kann es nicht mehr hören. Die Frauen, die da die Männer anflammen, und dann beschweren sie sich.“Vielleicht tönt ja deshalb aus den (sozialen) Medien nun gehässig, der Preis gehe an einen „alten, weißen, europäischen Mann“. Das ist, wie alle verallgemeinernden Herabwürdigungen aufgrund von Alter, Hautfarbe, Geschlecht und Herkunft, diskriminierend, kleingeistig und dumm.
„Der Preis ist eine sehr zwiespältige Angelegenheit und ein ewiges Dilemma. Aber mir kommt vor, ich bin doch ein Leser oder vielleicht sogar ein Schreiber von dem, was Goethe Weltliteratur genannt hat. Wenn dann das Nobelkomitee so entscheidet, dann sind sie auf keinem ganz schlechten Weg, dass die Weltliteratur was bedeutet“, sagte Handke in einer ersten Stellungnahme.
Doch just an ihm, dem Vielschreiber und Polemiker, dem zornigen Rebellen und Wortweltenwanderer, dem Monolithen der deutschen Literatur und Tiefenschürfer, dem glücklich Verfemten und Vermessungskünstler von weltliterarischem Rang, wie ihn das deutschsprachige Feuilleton dieser Tage metaphernreich umschreibt, entbrennt eine heftige Diskussion über die Entscheidung des Nobelkomitees und das Verhältnis zwischen Kunst und Politik, Ethik und Ästhetik. Handke, der 1996 „Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit für Serbien“und den Essay „Sommerlicher Nachtrag zu einer winterlichen Reise“veröffentlichte, stand im Balkankrieg auf der Seite Serbiens, verurteilte die Nato-Luftangriffe, zieh westliche Medien der einseitigen Berichterstattung und hielt 2006 eine Grabrede für Slobodan Miloseviˇc.´
Kann man literarisches Schreiben und politisches Handeln voneinander trennen? Nein, finden etwa der amerikanische PEN-Club und die Gesellschaft für bedrohte Völker. Der französische Philosoph Alain Finkielkraut schimpft Handke gar ein „ideologisches Monster“.
Die wütende Auseinandersetzung erinnert an Ezra Pound, einen der bedeutendsten amerikanischen Wortkünstler und Sprachneuerer des vorigen Jahrhunderts. Der politische Irrweg des unbelehrbaren Mussolini-Anhängers, der in den USA der Todesstrafe wegen Landesverrats nur deshalb entgangen ist, weil man ihn für geisteskrank erklärt hat, überstrahlt – leider – bis heute seine literarische Brillanz.
Peter Handke, unerschütterlicher Wanderer wider den literarischen und politischen Mainstream, sagte einmal, er sei „ein Idiot im griechischen Sinne, ein Nichtdazugehöriger“. Jetzt gehört er zu den Literaturnobelpreisträgern – endlich, wie Elfriede Jelinek erfreut anmerkt, die den Preis 2004 erhielt: „Er wäre auf jeden Fall schon vor mir dran gewesen.“