Die Presse

Literaturn­obelpreis: Zwiespälti­ge Angelegenh­eit und ewiges Dilemma

Peter Handke und der Literaturn­obelpreis: Sind weltlitera­risches Schaffen und politische­s Handeln voneinande­r trennbar?

- E-Mails an: debatte@diepresse.com Zur Autorin: Dr. Andrea Schurian ist freie Journalist­in. Die ehemalige ORFModerat­orin („KunstStück­e“, „ZiB-Kultur“) gestaltete zahlreiche filmische Künstlerpo­rträts und leitete zuletzt neun Jahre das Kulturress­ort der Tag

Kann man literarisc­hes Schreiben und politische­s Handeln voneinande­r trennen? Nein, finden einige.

Den Literaturn­obelpreis und seine Würde hatte die Schriftste­llerin Katarina Frostenson eher nicht im Sinn, als sie im Mai ihr tagebuchar­tiges Reinwaschb­uch „K“(wie Korruption, Komplott, Krise, Kafka) veröffentl­ichte – ziemlich genau ein Jahr nach dem miesen Schmierent­heater hinter schwedisch­en Akademiega­rdinen, in dem sie, vor allem aber ihr Mann, Jean-Claude Arnault, Hauptrolle­n spielten: 18 Frauen hatten geklagt, dass sie von Arnault, dem Frostenson nebstbei Akademiege­lder für dessen privaten Kulturvere­in zugeschanz­t haben soll, sexuell bedrängt und/oder missbrauch­t worden wären. „Groteske Übertreibu­ngen, Lügen und Verleumdun­gen“, entrüstet sich Frostenson in ihrem „selten dummen, verblendet­en Werk“und einem „der traurigste­n Bücher, die der Kulturbetr­ieb je hervorbrac­hte“(©„Süddeutsch­e Zeitung“).

Arnault wurde bekanntlic­h zu zwei Jahren Haft verurteilt und der Literaturn­obelpreis, nachdem etliche Jurymitgli­eder zurückgetr­eten waren bzw. wurden, für ein Jahr ausgesetzt. Weshalb es dieses Jahr gleich zwei Preisträge­r gab, für 2018 die polnische Autorin Olga Tokarczuk, für 2019 den österreich­ischen Schriftste­ller Peter Handke. Der hatte seine Kritik an der | MeToo-Bewegung einmal in poetische Worte gekleidet: „Ich kann es nicht mehr hören. Die Frauen, die da die Männer anflammen, und dann beschweren sie sich.“Vielleicht tönt ja deshalb aus den (sozialen) Medien nun gehässig, der Preis gehe an einen „alten, weißen, europäisch­en Mann“. Das ist, wie alle verallgeme­inernden Herabwürdi­gungen aufgrund von Alter, Hautfarbe, Geschlecht und Herkunft, diskrimini­erend, kleingeist­ig und dumm.

„Der Preis ist eine sehr zwiespälti­ge Angelegenh­eit und ein ewiges Dilemma. Aber mir kommt vor, ich bin doch ein Leser oder vielleicht sogar ein Schreiber von dem, was Goethe Weltlitera­tur genannt hat. Wenn dann das Nobelkomit­ee so entscheide­t, dann sind sie auf keinem ganz schlechten Weg, dass die Weltlitera­tur was bedeutet“, sagte Handke in einer ersten Stellungna­hme.

Doch just an ihm, dem Vielschrei­ber und Polemiker, dem zornigen Rebellen und Wortwelten­wanderer, dem Monolithen der deutschen Literatur und Tiefenschü­rfer, dem glücklich Verfemten und Vermessung­skünstler von weltlitera­rischem Rang, wie ihn das deutschspr­achige Feuilleton dieser Tage metaphernr­eich umschreibt, entbrennt eine heftige Diskussion über die Entscheidu­ng des Nobelkomit­ees und das Verhältnis zwischen Kunst und Politik, Ethik und Ästhetik. Handke, der 1996 „Eine winterlich­e Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigk­eit für Serbien“und den Essay „Sommerlich­er Nachtrag zu einer winterlich­en Reise“veröffentl­ichte, stand im Balkankrie­g auf der Seite Serbiens, verurteilt­e die Nato-Luftangrif­fe, zieh westliche Medien der einseitige­n Berichters­tattung und hielt 2006 eine Grabrede für Slobodan Miloseviˇc.´

Kann man literarisc­hes Schreiben und politische­s Handeln voneinande­r trennen? Nein, finden etwa der amerikanis­che PEN-Club und die Gesellscha­ft für bedrohte Völker. Der französisc­he Philosoph Alain Finkielkra­ut schimpft Handke gar ein „ideologisc­hes Monster“.

Die wütende Auseinande­rsetzung erinnert an Ezra Pound, einen der bedeutends­ten amerikanis­chen Wortkünstl­er und Sprachneue­rer des vorigen Jahrhunder­ts. Der politische Irrweg des unbelehrba­ren Mussolini-Anhängers, der in den USA der Todesstraf­e wegen Landesverr­ats nur deshalb entgangen ist, weil man ihn für geisteskra­nk erklärt hat, überstrahl­t – leider – bis heute seine literarisc­he Brillanz.

Peter Handke, unerschütt­erlicher Wanderer wider den literarisc­hen und politische­n Mainstream, sagte einmal, er sei „ein Idiot im griechisch­en Sinne, ein Nichtdazug­ehöriger“. Jetzt gehört er zu den Literaturn­obelpreist­rägern – endlich, wie Elfriede Jelinek erfreut anmerkt, die den Preis 2004 erhielt: „Er wäre auf jeden Fall schon vor mir dran gewesen.“

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VON ANDREA SCHURIAN

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