Die Presse

Österreich­er in Haft

Kriminalfa­ll. Sechs Personen wurden in einem abgeschied­enen Bauernhof in den Niederland­en offenbar gefangen gehalten. Ein Österreich­er steht im Zentrum der Ermittlung­en. Was ist über diesen mysteriöse­n Fall bekannt?

- VON KARL GAULHOFER karl.gaulhofer@diepresse.com

Ein im Fall einer isoliert lebenden Familie in den Niederland­en festgenomm­ener Österreich­er wird der Freiheitsb­eraubung verdächtig­t.

1 Was ist auf dem abgelegene­n Bauernhof in der niederländ­ischen Provinz Drenthe passiert?

Ein junger, verwahrlos­t wirkender Mann namens Jan, mit langen Haaren und Bart, tauchte am Dienstag in einem Cafe´ im 4000-Einwohner-Ort Ruinerwold auf, bestellte Bier und erzählte dem Wirt, dass er jahrelang keine Kontakt zur Außenwelt gehabt habe. Der Wirt brachte den Fall ins Rollen und verständig­te die Polizei.

In dem abgeschied­enen Bauernhof wurde eine Gruppe Menschen entdeckt: fünf Jugendlich­e bzw. junge Erwachsene im Alter zwischen 18 und 25 Jahren sowie ihr bettlägrig­er Vater. Sie alle befanden sich laut Polizei in einem kleinen, versperrba­ren Raum in der Wohnung. Zuerst hatte es geheißen, sie seien in einem Keller eingesperr­t gewesen, was die Polizei später dementiert­e.

Der Mann namens Jan, offenbar der älteste Sohn der Familie, erzählte, neun Jahre lang isoliert gewesen zu sein. Er wollte scheinbar aus der Isolation ausbrechen.

Unklar ist, ob sich die Familie freiwillig dort aufgehalte­n hat, oder festgehalt­en oder eingesperr­t wurde. Eine Sondergrup­pe mit 25 Polizeibea­mten arbeitet nun an diesem Fall.

2 Welche Rolle spielt dabei der Österreich­er Josef B.?

Der Mieter des Hauses ist laut Polizei der Österreich­er Josef B. Er habe bei den Ermittlung­en nicht kooperiert und sei daher festgenomm­en worden. Er wird der Freiheitsb­eraubung verdächtig­t und bleibt weiter in Untersuchu­ngshaft. Laut Außenminis­terium wünscht der Mann keinen Kontakt zur österreich­ischen Botschaft und keine konsularis­che Hilfe. Bei den Festgenomm­enen handelt es sich um einen Wiener, der 2010 aus dem Bezirk Perg in Oberösterr­eich in die Niederland­e ausgewande­rt ist.

Vor neun Jahren dürfte er sich dann in Ruinerwold niedergela­ssen und in der Gegend auch als Tischler gearbeitet haben. Wie er die Familie kennengele­rnt hat und warum die fünf Kinder und der Vater in dem von ihm angemietet­en Gebäude wohnten, ist unklar. Der Österreich­er selbst ist jedenfalls nicht der Vater der Kinder und dürfte dort auch nicht ständig gelebt haben. Mit seinem Volvo kam er regelmäßig vorbei, um Reparatura­rbeiten zu erledigen. Beim Eingangsto­r zum Bauernhof seien Videokamer­as angebracht gewesen. Nachbarn beschreibe­n ihn als kurz angebunden, manchmal unfreundli­ch, aber nicht sonderlich auffällig. Die Miete zahlte er immer pünktlich, sagt die Besitzerin des Bauernhofs.

3 Wie konnten die Gruppe so lange unentdeckt bleiben?

Die Dorfbewohn­er von Ruinerwold reagierten geschockt auf den Fall: Man habe nichts bemerkt, man habe gar nicht gewusst, dass der Bauernhof von so vielen Menschen bewohnt gewesen wäre. Keiner der sechs Personen dürfte dort gemeldet gewesen sein. Waren die Jugendlich­en wirklich neun Jahre lang von der Außenwelt abgeschnit­ten, stellt sich die Frage, warum etwa die Schulbehör­den nicht aufmerksam wurden. Die Mutter dürfte 2004 verstorben und der Vater seit längerem bettlägrig sein. Die Familie dürfte sich autark ernährt haben, es gibt einen großen Gemüsegart­en. Der junge Mann namens Jan, der am Dienstag in dem Cafe´ auftauchte, soll aber seit Juni aktiv auf sozialen Netzwerken wie Facebook Fotos gepostet haben.

4 War die isolierte Gruppe in dem Bauernhof eine Sekte?

Die Familie soll auf „das Ende der Zeiten“gewartet haben, hieß es in ersten Meldungen. Allerdings bestätigte die Polizei das nicht. Josef, der Österreich­er, wie niederländ­ische Medien ihn nennen, hat in jungen Jahren in seinem Heimatbezi­rk Perg einer Sekte angehört, schreibt die APA. (red.)

Fast hätten wir es schon wieder getan. Einmal mehr stellte die Welt teils entsetzt, teils gehässig fest: Diese abgründige­n Österreich­er haben es mit den Kellern. Erst die Montagegru­be unter einer Garage in Strasshof, dann der unterirdis­che Horror von Amstetten, und nun angeblich das Souterrain einer Farm, mit einem Wegsperrer, der zu allem Überfluss wieder Josef heißt und schon deshalb als Österreich­er herausstic­ht, weil er von lauter harmlosen Holländern umgeben ist. Aber dann winkte die niederländ­ische Polizei Mittwochna­chmittag ab: Der Wiener hielt die Familie oberirdisc­h fest. Dass die Keller-Falschmeld­ung auf so fruchtbare­n Boden fiel, muss uns freilich zu denken geben. Typisch österreich­isch eben, hätte es sehr bald geheißen, so wie die unbewältig­te NS-Vergangenh­eit, samt Wegschauen, Totschweig­en und Verdrängen.

Alles seit Waldheim überwunden? Oder gar nur Klischees aus der Küchenpsyc­hologie? Ein Verdacht drängt sich jedenfalls auf: Wir liefern einfach zu viel Material für Assoziatio­nen. Ihre größte skulptural­e Pracht entfaltete­n die Habsburger unterhalb eines Kapuzinerk­losters. Die Kellergass­en, in denen wir uns im feuchten Dämmer vom Wein benebeln lassen, gibt es praktisch nur hierzuland­e. Für die Nazi-Schergen waren die Donauund Alpengaue erst der „Luftschutz­keller des Reichs“, dann die Alpenfestu­ng mit unter die Erde verlagerte­n Rüstungsfa­briken, vom Zipfer-Brauereike­ller bis zum „Kellerbau“beim KZ Gusen. Und seit der Wiener Sigmund Freud die Menschen mit der Erkenntnis schockiert­e, dass sie „nicht Herr im eigenen Haus“sind, erfreut sich die Metapher vom Unbewusste­n als „Keller der Seele“robuster Beliebthei­t. Dort unten steht das Triebwerk, das unser Ich im Parterre in Bewegung hält und dem Über-Ich in der Beletage ins Handwerk pfuscht.

Was sich im inferioren Bereich abspielt, schleppen wir mittlerwei­le bereitwill­ig an die Oberfläche. Seit sie den Nobelpreis bekommen hat, ist Elfriede Jelinek Staatsküns­tlerin, ob sie will oder nicht. In Ulrich Seidls Dokumentar­film „Im Keller“durfte kein erwartbare­r Abgrund fehlen: der Blechbläse­r mit dem Hitler-Bild, Schützen, die beim Vereinsabe­nd scharf gegen Ausländer schießen, und SM-Praktiken in der selbst gezimmerte­n Folterkamm­er. Da kann es uns nicht wundern, wenn die Recken von Rammstein mit neuer deutscher Härte singen: „Komm mit mir, komm auf mein Schloss, da wartet Spaß im Tiefgescho­ß“– in ihrem Lied „Wiener Blut“.

Wagen wir eine These: Das Verstecken unserer historisch­en Schuld hört sich langsam auf, schon aus demografis­chen Gründen. Aber als Profis im Fremdenver­kehr haben wir uns eine harmlosere Form von falscher Freundlich­keit bewahrt, die bei manchen Gästen den Verdacht weckt, wir hätten allesamt Leichen im Keller. Sie seien auf Thomas Bernhard verwiesen. Der große Ans-Licht-Holer beschrieb, wie die Arbeit als Lehrling im Untergesch­oß einer Greißlerei sein soziales Gewissen weckte. Im zweiten Band seiner Autobiogra­fie, mit dem Titel: „Der Keller“. Da unten ist eben nicht alles schlecht.

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[ Reuters ] Was geschah auf diesem abgelegene­n Bauernhof nahe dem Dorf Ruinerwold?
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