Nie wieder! Handke und der periodische Eklat
Analyse. Nobelpreisträger Peter Handke beschimpfte Journalisten. Nicht zum ersten Mal. Medienkritik ist ein Teil seines Werkes. Der Skandal ist das Salz der Kunst – und des Umsatzes. Der Lorbeer führt zu einem Run auf Handkes Bücher.
Ich steh vor meinem Gartentor und da sind 50 Journalisten – und alle fragen nur wie Sie, und von keinem Menschen, der zu mir kommt, höre ich, dass er sagt, dass er irgendetwas von mir gelesen hat“, tobte Peter Handke Dienstagabend in Griffen ins Mikro einer ORF-Redakteurin. Der Gemeinderat seines Heimatortes wollte Handke ehren. Doch dann gab es Fragen zu seiner Parteinahme für Serbien im Jugoslawien-Krieg. Der bosnische Autor Sasaˇ Stanisiˇc,´ soeben mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet, hatte Handke kritisiert.
Dieser wollte von dem „Scheißdreck“wörtlich nichts hören. Handke: „Ich bin ein Schriftsteller, komme von Tolstoi, Homer und Cervantes, lasst mich in Frieden!“Was hatte Handke erwartet? Wahrscheinlich einen Empfang wie für Ober-Rolling-Stone Mick Jagger. Schließlich gilt auch Handke seit jeher als Popstar der Literatur, und Popstars wird selten widersprochen.
Den Medien haben Handke und seine Kollegen allerdings viel zu verdanken. Wo wären Kunst und Künstler ohne Öffentlichkeit und ohne Krach? Kontroversen um Autoren, die sich mit ihrer Heimat kritisch auseinandersetzten und als „Nestbeschmutzer“diffamiert wurden, waren früher an der Tagesordnung, von Elfriede Jelinek über Gerhard Roth bis Thomas Bernhard, der über „Meine Preise“ein bissig-ironisches Buch geschrieben hat. Bernhard ist kanonisiert, Roth eine Art literarischer Landesvater und Jelinek hat wie Handke den Nobelpreis bekommen.
Im Grunde ist es eine Sensation, dass ein kleines Land wie Österreich so viele bedeutende Autoren hervorgebracht hat, besonders das winzige Kärnten: Maja Haderlap, Josef Winkler, Gert Jonke, Peter Turrini, auch er war ein periodisches Skandalon, heute wird dem streitbaren Moralisten aus Maria Saal nur mehr Ehrerbietung zuteil. Alle diese Schriftsteller veränderten den Blick der Öffentlichkeit auf Sprache, Literatur und Literaten. Sie haben viele Fans und viele Leser. In Wiener Buchhandlungen sind Handkes Bücher ausverkauft, Suhrkamp druckt nach.
Das Eindringen jüngerer Stimmen in die überalterte Nobelpreis-Jury hat Handke den höchsten Lorbeer der Literatur beschert. Weil er wie auch seine Kollegen, die in ihrer Arbeit oft experimentell und provokativ unterwegs sind, trotzdem längst zur Schullektüre geworden ist. Das bedeutet Reflexionsstoff für den Nachwuchs und Debatten, die eine offene Gesellschaft braucht. Der Nobelpreis katapultierte Handke wieder ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit. Jüngere schätzen seine Plädoyers für Freiheit und Individualismus und seine Beschreibungen unberührter oder bedrohter Natur. Aufregungen um Handke und sein OEuvre sind notorisch: seit 1966, als der 24-Jährige bei einem Treffen der Gruppe 47, die aus literarischen Opinionleadern der Nachkriegszeit bestand, in Princeton von der „Beschreibungsimpotenz“der Literaten sprach.
Handke etablierte sich rasch als Schriftsteller und Dramatiker, seine „Publikumsbeschimpfung“, 1966 von Claus Peymann im Frankfurter Theater am Turm uraufgeführt, rief Tumulte hervor. Der Popliterat war geboren. Im Radio spielte man jüngst „Mama You’ve Been on My Mind“von Bob Dylan, auch er inzwischen Nobelpreisträger, zu einer Lesung aus Handkes erschütterndem Roman „Wunschloses Unglück“über seine Mutter, die in katastrophalen Zeiten kaum Chancen hatte, ihre Sehnsüchte zu leben.
Für Handkes Stellungnahmen zum Jugoslawien-Krieg mag es keine Entschuldigung geben; nur wer die Opfer schreien gehört habe, könne berechtigt über Jugoslawien reden, so Kollege Jonathan Franzen. Allerdings wäre es auch empfehlenswert, nicht nur ständig an Handkes Auslassungen zu erinnern, sondern auch seine Werke zu studieren, etwa das Drama „Die Fahrt im Einbaum oder: Das Stück zum Film vom Krieg“(UA: 1999 im Burgtheater), das überlegenswerte Schelte an Kriegsberichterstattern und anderen Schlachtenbummlern enthält.
Oder man liest seinen berührenden Roman „Die morawische Nacht“, in dem Handkes literarisches Ich (natürlich ist letztlich immer alles autobiografisch) über Beziehungen und Entzweiungen reflektiert.
„Schieben Sie sich Ihren FaschismusVorwurf in den Arsch!“, soll Handke einmal gerufen haben und: „Ich werde mich mit allen verfeinden.“Besucher erinnern sich, wie er ihnen im Akademietheater befahl, daheim, aber nicht mit ihm zu diskutieren. Unvergesslich ist ein Auftritt Handkes in der Peymann-Zeit, als er verdrossen auf Fragen von Zuschauern zu seinen Dramen reagierte. Damals gab es noch Schriftsteller, die sich stellten, Turrini und Jelinek traten gemeinsam auf. Es gibt viele spannende Interviews mit Handke, obwohl er Journalisten mit Ausbrüchen das Fürchten lehrte. Was bleibt ist jedenfalls die gestiegene Akzeptanz der Literatur als politische Stimme.