Peter Handke ist nur Schriftsteller, kein Hohepriester der Moral
In der Debatte um den Nobelpreis für Peter Handke vermischen sich literarische und moralische Wertungen. Sie sollten fein säuberlich getrennt werden.
Er habe sich, sagte Martin Kusej,ˇ „einfach nur gefreut. Ich bin mit Peter Handkes Literatur aufgewachsen.“So ging es mir auch. Handke war der Dichter meiner Generation: Er war „einer von uns“, wie Mick Jagger und Bob Dylan; einer, der sich aus der Enge heraus seine Welt erträumte und erwanderte. Natürlich ist mein Urteil subjektiv, was sonst. Ich bin Peter Handke dankbar, und der Stockholmer Jury, weil sie seine außerordentliche literarische Leistung endlich doch gewürdigt hat.
Über Handkes Einlassung mit dem serbischen Nationalismus muss hier nicht noch einmal gesprochen werden. Es gibt kein überzeugendes Argument zugunsten seiner demonstrativen Sympathie mit Massenmördern wie Miloseviˇc´ und Karadziˇc,´ seiner beharrlichen Leugnung und Relativierung der serbischen Kriegsverbrechen, seiner Verhöhnung von Journalisten und Schriftstellern, die wahrheitsgemäß berichteten, was im ehemaligen Jugoslawien geschah. Handke hätte es wissen können und wissen müssen. Er hat es vorgezogen, sich in einer Traumwelt zu verkapseln, in der ihm die Serben als Opfervolk erschienen, gleich „nach den Juden“.
Infrage steht nicht, ob Handke recht hatte oder nicht – er hatte ganz eindeutig nicht recht –, sondern ob es vertretbar war, ihm dennoch den Nobelpreis zuzuerkennen. Das offizielle Serbien freute sich, Kroaten, Bosnier und Kosovaren fühlen sich gekränkt und beleidigt. Kritik gab es auf beiden Seiten des ideologischen Grabens zwischen Linken und Rechten. Der Slowene Slavoj Zˇizˇek, ein dezidierter Linker, kritisierte die Jury unisono mit Salman Rushdie, der Handke schon vor 20 Jahren als „Deppen des Jahres“nominiert hatte. PEN America, das größte der rund 100 PEN-Zentren, fordert in einer Petition die Rücknahme der Preisverleihung. In Österreich und Deutschland überwogen die positiven Reaktionen der Verleger und Literaturkritiker, der Politiker und der Journalisten – nicht zuletzt aus „Sprachpatriotismus“, wie ein Feuilleton-Redakteur der „FAZ“vermutete.
Der Nobelpreis für Literatur zeichnet nicht einzelne Werke, sondern Lebensleistungen aus, in denen es halt Licht und Schatten gibt. Viele Nobelpreisträger waren schamlose Opportunisten, manche geradezu Weltmeister im angestrengten Wegschauen und Relativieren von Menschenrechtsverletzungen, sofern sie von der „richtigen Seite“begangen wurden. Es war ja auch bisher nicht so, dass die Stockholmer Akademie immer den Menschen hinter dem Werk gerecht und vorurteilslos beurteilt hätte. Ähnlich wie Handke hatte Harold Pinter (Nobelpreis 2005) dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag die Legitimität abgesprochen und die Freilassung von Miloseviˇc´ gefordert. CastroFreund Gabriel Garc´ıa Mar-´ quez (1982) verharmloste den Terror in Kuba, Pablo Neruda (1971) hatte Oden auf Stalin verfasst, Michail Scholochow (1965) war der Schönschreiber der KPdSU gewesen. Jean-Paul Sartre (1964) kokettierte mit kommunistischen Diktatoren und setzte sich am Ende sogar noch für die Baader-Meinhof-Bande ein. Luigi Pirandello, ein überzeugter Faschist und Mussolini-Verehrer, erhielt den Nobelpreis ausgerechnet 1934. Die Liste der moralischen Streitfälle unter Preisträgern, deren literarische Leistungen häufig außer Streit standen (der mutmaßliche Plagiator Scholochow war die große Ausnahme), ist keineswegs vollständig.
Sie alle wirkten durchaus nicht „in idealistischer Richtung“, wie es sich Alfred Nobel in seinem Testament gewünscht hatte. Auch an den Poetae laureati ist das Zeitalter der mörderischen Ideologien nicht spurlos vorübergegangen. Das Problem sind die hypermoralischen Ansprüche, die an sie gestellt werden. Es war kein Fehler, dass der Nobelpreis Peter Handke zugesprochen wurde. Schade nur, dass ihn – unter anderem – nicht auch Grenzgänger wie Ezra Pound, Ernst Jünger, Vladimir Nabokov und Heimito von Doderer erhalten haben.