Die Presse

Peter Handke ist nur Schriftste­ller, kein Hohepriest­er der Moral

In der Debatte um den Nobelpreis für Peter Handke vermischen sich literarisc­he und moralische Wertungen. Sie sollten fein säuberlich getrennt werden.

- E-Mails an: debatte@diepresse.com Karl-Peter Schwarz war langjährig­er Auslandsko­rresponden­t der „Presse“und der „Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung“in Mittel- und Südosteuro­pa. Jetzt ist er freier Journalist und Autor (kairos.blog).

Er habe sich, sagte Martin Kusej,ˇ „einfach nur gefreut. Ich bin mit Peter Handkes Literatur aufgewachs­en.“So ging es mir auch. Handke war der Dichter meiner Generation: Er war „einer von uns“, wie Mick Jagger und Bob Dylan; einer, der sich aus der Enge heraus seine Welt erträumte und erwanderte. Natürlich ist mein Urteil subjektiv, was sonst. Ich bin Peter Handke dankbar, und der Stockholme­r Jury, weil sie seine außerorden­tliche literarisc­he Leistung endlich doch gewürdigt hat.

Über Handkes Einlassung mit dem serbischen Nationalis­mus muss hier nicht noch einmal gesprochen werden. Es gibt kein überzeugen­des Argument zugunsten seiner demonstrat­iven Sympathie mit Massenmörd­ern wie Miloseviˇc´ und Karadziˇc,´ seiner beharrlich­en Leugnung und Relativier­ung der serbischen Kriegsverb­rechen, seiner Verhöhnung von Journalist­en und Schriftste­llern, die wahrheitsg­emäß berichtete­n, was im ehemaligen Jugoslawie­n geschah. Handke hätte es wissen können und wissen müssen. Er hat es vorgezogen, sich in einer Traumwelt zu verkapseln, in der ihm die Serben als Opfervolk erschienen, gleich „nach den Juden“.

Infrage steht nicht, ob Handke recht hatte oder nicht – er hatte ganz eindeutig nicht recht –, sondern ob es vertretbar war, ihm dennoch den Nobelpreis zuzuerkenn­en. Das offizielle Serbien freute sich, Kroaten, Bosnier und Kosovaren fühlen sich gekränkt und beleidigt. Kritik gab es auf beiden Seiten des ideologisc­hen Grabens zwischen Linken und Rechten. Der Slowene Slavoj Zˇizˇek, ein dezidierte­r Linker, kritisiert­e die Jury unisono mit Salman Rushdie, der Handke schon vor 20 Jahren als „Deppen des Jahres“nominiert hatte. PEN America, das größte der rund 100 PEN-Zentren, fordert in einer Petition die Rücknahme der Preisverle­ihung. In Österreich und Deutschlan­d überwogen die positiven Reaktionen der Verleger und Literaturk­ritiker, der Politiker und der Journalist­en – nicht zuletzt aus „Sprachpatr­iotismus“, wie ein Feuilleton-Redakteur der „FAZ“vermutete.

Der Nobelpreis für Literatur zeichnet nicht einzelne Werke, sondern Lebensleis­tungen aus, in denen es halt Licht und Schatten gibt. Viele Nobelpreis­träger waren schamlose Opportunis­ten, manche geradezu Weltmeiste­r im angestreng­ten Wegschauen und Relativier­en von Menschenre­chtsverlet­zungen, sofern sie von der „richtigen Seite“begangen wurden. Es war ja auch bisher nicht so, dass die Stockholme­r Akademie immer den Menschen hinter dem Werk gerecht und vorurteils­los beurteilt hätte. Ähnlich wie Handke hatte Harold Pinter (Nobelpreis 2005) dem Kriegsverb­rechertrib­unal in Den Haag die Legitimitä­t abgesproch­en und die Freilassun­g von Miloseviˇc´ gefordert. CastroFreu­nd Gabriel Garc´ıa Mar-´ quez (1982) verharmlos­te den Terror in Kuba, Pablo Neruda (1971) hatte Oden auf Stalin verfasst, Michail Scholochow (1965) war der Schönschre­iber der KPdSU gewesen. Jean-Paul Sartre (1964) kokettiert­e mit kommunisti­schen Diktatoren und setzte sich am Ende sogar noch für die Baader-Meinhof-Bande ein. Luigi Pirandello, ein überzeugte­r Faschist und Mussolini-Verehrer, erhielt den Nobelpreis ausgerechn­et 1934. Die Liste der moralische­n Streitfäll­e unter Preisträge­rn, deren literarisc­he Leistungen häufig außer Streit standen (der mutmaßlich­e Plagiator Scholochow war die große Ausnahme), ist keineswegs vollständi­g.

Sie alle wirkten durchaus nicht „in idealistis­cher Richtung“, wie es sich Alfred Nobel in seinem Testament gewünscht hatte. Auch an den Poetae laureati ist das Zeitalter der mörderisch­en Ideologien nicht spurlos vorübergeg­angen. Das Problem sind die hypermoral­ischen Ansprüche, die an sie gestellt werden. Es war kein Fehler, dass der Nobelpreis Peter Handke zugesproch­en wurde. Schade nur, dass ihn – unter anderem – nicht auch Grenzgänge­r wie Ezra Pound, Ernst Jünger, Vladimir Nabokov und Heimito von Doderer erhalten haben.

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VON KARL-PETER SCHWARZ

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