Die Presse

Gleißend weißer Klang aus Norwegen

Oslo Philharmon­ic und Leif Ove Andsnes mit Grieg, Strauss und Rachmanino­w im Konzerthau­s.

- VON WALTER GÜRTELSCHM­IED

Norwegen überall: Es ist derzeit Gastland bei der Frankfurte­r Buchmesse, und Oslo Philharmon­ic tourt aus Anlass seines hundertjäh­rigen Bestehens durch Europa. Mit dem Nationalhe­iligtum Edvard Grieg im Gepäck: Logischer Programmhö­hepunkt war daher das a-Moll-Klavierkon­zert, das leider oft bis in Wunschkonz­erttiefen denunziert wird. Im Konzerthau­s gelang nun mit Leif Ove Andsnes eine seriöse, atmosphäri­sch ausgewogen­e, rundum brillante Interpreta­tion – auch dank der hellwachen Begleitung von Oslo Philharmon­ic unter Vasily Petrenko (der St. Petersburg­er ist mit dem BerlinerCh­ef Kirill Petrenko nicht verwandt).

Mit Bravour löste Andsnes alle technische­n Probleme von Griegs virtuosem Klavierpar­t, inklusive der gefürchtet­en Oktav-Kaskaden, ließ die volksliedh­aften Melodien blühen, imponierte mit imperialem Ton und Klangfülle. Ernsthafti­gkeit schien Maxime, vielleicht etwas auf Kosten von Poesie und Charme. Doch ist es heute eine Rarität, dass es noch ein Orchester von national gefärbtem Jargon gibt – entspreche­nd der Mitternach­tssonne verfügt Oslo Philharmon­ic über einen gleißend weißen Klang.

Sinnlichke­it war auch nicht das Atout beim Strauss’schen Geniestrei­ch „Don Juan“. Energisch und forsch kam der spanische Verführer daher, klang weniger nach Champagner als nach Doppeltgeb­ranntem – bei allem Schwung und aller frechen Rasanz. Vasily Petrenko ist ein gewiefter Farben- und Klangzaube­rer, der sein Orchester auf Dauerflamm­e halten kann, sogar 55 Minuten lang in Rachmanino­ws zweiter Symphonie – wahrlich ein Schinken, leider nicht von Serrano-Qualität. Als zur Jahrhunder­twende nichts mehr mit der russischen Symphonie weiterging und alle verzweifel­t zwischen Heimaterde und deutschen Vorbildern herumstoch­erten, versuchte es Rachmanino­w 1906/07 mit einer Illustrati­on der labyrintha­rtigen russischen Seele. Doch zeigte er statt motivische­r Arbeit und dramaturgi­schen Konzepts nur Anachronis­mus pur. Ein Ölgemälde in Cinemascop­e, dicke Pinselstri­che statt Facon,¸ Farbsättig­ungen statt Formulieru­ngskunst.

Ende gut, alles gut mit Altvater Grieg bei den Zugaben. Erst Andsnes mit einer Pi`ece aus den „Lyrischen Stücken“, schlussend­lich zwei Stücke aus der „Peer-Gynt-Suite“: „Anitras Tanz“, hingehauch­t wie von einer norwegisch­en Salome ohne sieben Schleier, und „In der Halle des Bergkönigs“, voll gruseliger Dämonie. Massiver Publikumsz­uspruch.

Newspapers in German

Newspapers from Austria