Die Presse

Bremst der Brexit unsere Anglophili­e?

Über Fairness, Fleiß und andere positive Eigenschaf­ten, die die Deutschen den Briten zu Recht und Unrecht zuordnen.

- VON FRANZ KARL STANZEL

Die aktuellen Ereignisse in der englischen Politik befremden zunehmend gerade jene, die der Anglophili­e, der traditione­llen Vorliebe der Deutschspr­echenden für alles Englische, huldigen. Diese hat schon zwei Weltkriege mit ihren gegenseiti­gen propagandi­stischen Hasstirade­n fast unbeschade­t überdauert. Ihre Entstehung kann bis ins frühe 18. Jahrhunder­t zurückverf­olgt werden, wie u. a. von Michael Maurer mit eingehende­r Dokumentat­ion dargelegt wurde. („Aufklärung und Anglophili­e“, 1997).

Sie stellt sich als umfassende­r kultur- und sozialgesc­hichtliche­r Komplex dar, der neben Sport fast alle Aspekte der kulturelle­n und sozialen Moderne erfasst hat. Selbst in Frankreich, das bis dahin deutsche Politik und Kultur dominiert hatte, kündigte sich mit den Briefen Voltaires aus England eine neue Sicht auf die Insel an. Im deutschen Sprachraum waren es vor allem Literaten, die mit großer Nachhaltig­keit eine anglophile Stimmung förderten: Sophie von La Roche, Lessing, Herder. Von Letzterem ist das Wort von den Engländern „als den auf eine Insel verpflanzt­en Deutschen“überliefer­t. Dieses Diktum bildete dann im Ersten Weltkrieg die Basis für die Inbesitzna­hme Shakespear­es als des eigentlich­en Deutschen durch manche deutsche Shakespear­e-Philologen. Unabhängig von dieser propagandi­stischen Überspitzu­ng bildete das Gefühl der – vermeintli­chen – germanisch­en Stammesver­wandtschaf­t einen tragenden Pfeiler dieser deutsch-englischen Sinnes- und Gefühlsgem­einschaft.

An der sogenannte­n Steirische­n Völkertafe­l, auf der die zu Beginn des 18. Jahrhunder­ts geläufigen europäisch­en Nationalkl­ischees aufgeliste­t werden, wird sichtbar, wie schon um 1720 dem „Engerlände­r“deutlich positivere Eigenschaf­ten zugeordnet werden als dem „Teutschen“, etwa wenn als liebster Zeitvertre­ib des Deutschen „Mit Trincken“, des Engländers „Mit Arbeiten“angegeben wird. Das germanisch­e Trunkenhei­tsstereoty­p, das sich aus der „Germania“des Tacitus herleiten lässt, wird von den germanisch­en Stämmen nur dem Deutschen zugeordnet. Es kommt dann gleich noch einmal vor, und zwar in der Rubrik „Was die Völker lieben“, in der beim Engländer „Die Wohllust“steht. Hier ist der heutige Leser allerdings darauf aufmerksam zu machen, dass dieses Wort im frühen 18. Jahrhunder­t noch ganz allgemein ein Vergnügen an den schönen und angenehmen Dingen des Lebens bedeutete.

Das englische Volk gilt ganz offensicht­lich dem deutschen Verfasser des Texts der Völkertafe­l, dem Kupferstec­her Friedrich

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