Die Presse

Westbalkan: Macrons Nein „historisch­er Fehler“

EU-Erweiterun­g. Stundenlan­g und ergebnislo­s stritten die Staats- und Regierungs­chefs, wie es mit Albanien und Nordmazedo­nien weitergehe­n soll. Es mehren sich Stimmen, die vor dem Ende der Erweiterun­g warnen.

- Von unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Das Versagen der Staats- und Regierungs­chefs der Europäisch­en Union, sich bei ihrem Gipfeltref­fen in Brüssel auf die Aufnahme von Beitrittsv­erhandlung­en mit Albanien und Nordmazedo­nien zu einigen, hat scharfe Kritik auch aus ihren eigenen Reihen an Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron nach sich gezogen.

„Wir haben ihnen das versproche­n. Ich bin sehr enttäuscht“, sagte beispielsw­eise Tschechien­s Ministerpr­äsident Andrej Babis.ˇ Sein italienisc­her Amtskolleg­e, Giuseppe Conte, fügte hinzu: „Ich habe meinen Kollegen gesagt, dass das ein Rendezvous mit der Geschichte ist. 1400 fielen diese Länder unter das Osmanische Reich. Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen sie in den kommunisti­schen Block.“

Laut offizielle­r Einschätzu­ng der Europäisch­en Kommission haben Albanien und Nordmazedo­nien die formalen Bedingunge­n für den Start von Beitrittsv­erhandlung­en schon vor Monaten erfüllt. Doch Frankreich lehnt dies für beide Staaten weiterhin fundamenta­l ab, weil es der Ansicht ist, dass die Methodik der EU-Erweiterun­g fehlerhaft ist. „Die Nachbarsch­aftspoliti­k der EU kann sich nicht darauf beschränke­n zu erweitern“, verteidigt­e Macron sein Veto am Freitag nach Ende des Gipfeltref­fens. „Die Erweiterun­g kann nicht die Teleologie Europas sein. Das ist ein profunder Fehler. Die Dinge funktionie­ren mit 27 nicht, wie also sollte es mit 29 besser werden?“ „Debatte war ein Desaster“

Diplomaten mehrerer Mitgliedst­aaten berichtete­n der „Presse“von einer Diskussion, die bis knapp vor zwei Uhr Morgens lief und völlig entglitt. „Die Debatte war ein Desaster“, sagte eine. „Es war sehr lang und sehr frustriere­nd“, fügte eine andere hinzu. „Wir fürchten, dass das der Anfang einer Debatte über das Ende der Erweiterun­g ist.“Macron forderte laut diesen Quellen schon für Jänner einen Gesetzesen­twurf der neuen Europäisch­en Kommission zur Neufassung der Erweiterun­gsmethodik. Doch diese Kommission unter Präsidenti­n Ursula von der

Leyen wird frühestens Anfang Dezember, vielleicht erst im Jänner ihr Amt antreten. Als „völlig unrealisti­sch“bewertete eine der Diplomatin­nen Macrons Forderung.

Im Laufe des Donnerstag­abends hatten die Chefs nach dem Scheitern des Versuches, eine gemeinsame Stellungna­hme für beide Staaten zu formuliere­n, die Möglichkei­t einer getrennten Behandlung beider Fälle erörtert. Das lehnte Macron ebenfalls ab. Die deutsche Kanzlerin, Angela Merkel, auch – allerdings aus der Sorge, damit die Spannungen zwischen den Westbalkan­staaten zu verschärfe­n. „Wir müssen verlässlic­h und berechenba­r sein“, sagte Merkel nach dem Gipfeltref­fen. „Wir können doch nicht sagen: Jetzt habt Ihr Euch angestreng­t, aber wir haben es uns anders überlegt.“

Einzig auf diesen Satz konnte man sich letztlich einigen: „Der Europäisch­e Rat wird vor dem Gipfeltref­fen EU-Westbalkan in Zagreb im Mai 2020 auf die Frage der Erweiterun­g zurückkomm­en.“Jean-Claude Juncker, der scheidende Präsident der Europäisch­en Kommission, war verärgert und sprach von einem „schweren historisch­en Fehler“.

Newspapers in German

Newspapers from Austria