Die Presse

Der gefährlich­ste Politiker Deutschlan­ds

Reportage. Experten halten ihn für rechtsextr­em, der Verfassung­sschutz hat ihn im Visier: Trotzdem werden Björn Höcke und seine AfD-Landespart­ei bei der Thüringen-Wahl kräftig zulegen. Warum?

- Von unserem Korrespond­enten JÜRGEN STREIHAMME­R

Vor der Kulisse des Kulturund Kongressze­ntrums, eines ganz typischen und rustikalen DDRBaus in Gera, wehen ein paar Deutschlan­d-Fahnen. Auf der Bühne singt eine Zwei-Mann-Band Klassiker des hiesigen Schlagers, zu denen die AfD-Fans auf den Heurigenbä­nken schunkeln. Wobei sich schrille Töne in die Melodie mischen: Wie fast immer bei den AfDFamilie­nfesten gibt es ein Pfeifkonze­rt, das Gegner der Partei in Hörweite veranstalt­en. Aber die Demonstran­ten sind in der Unterzahl. Ganz eindeutig.

Irgendwann skandiert ein Teil des AfD-Publikums aufgekratz­t „Höcke! Höcke! Höcke!“, also den Namen von Björn Höcke, der seine Rede mit einem Gruß an die Demonstran­ten hinter dem Absperrgit­ter eröffnet, die er als „Opfer der Bildungska­tastrophe“verspottet. Da und dort gibt es jetzt Gejohle und Gelächter. Es ist hier ein Heimspiel für Höcke, den AfDLandesc­hef, den die CSU nach dem rechtsextr­emen Anschlag in Halle als „geistigen Brandstift­er“in die Mitverantw­ortung nahm. Den der Verfassung­sschutz beobachtet. Den eine Vielzahl von Experten für rechtsextr­em hält. Und den bei der Landtagswa­hl in Thüringen am 27. Oktober laut Umfragen trotzdem 20 bis 24 Prozent der Menschen wählen könnten. Warum? Von links nach rechts

Peter nippt am Bier aus dem Plastikbec­her. Nach der Wende gab er seine Stimme der Linksparte­i, „aber die haben auch nix zuwege gebracht“. Danach wählte er lange Zeit gar nichts und diesmal die AfD. Man liest Peter jetzt ein paar Zitate von Höcke vor, wie er den

Außenminis­ter einmal im NS-Jargon „Volksverde­rber“nannte. Oder von einer „Tat-Elite“redete. So nannte sich auch die SS. Irritiert ihn das nicht? „Also mit Höckes Verklärung der Vergangenh­eit kann ich nichts anfangen“, sagt der 75-Jährige. Er sei ja gar kein HöckeFan. Wählen wird er dessen AfD trotzdem, weil „ich anderes gut finde“. Was? „Die Ausländerp­olitik.“Gera, sagt er, das sei ja einmal eine schöne Stadt gewesen. Vor der Wende. „Es gab keine Drogen und sichere Arbeitsplä­tze.“Danach wurde „hier alles plattgemac­ht“, also die Schwerindu­strie, die Textilindu­strie. Viele zogen weg. Dafür gebe es hier jetzt Ausländer, „deren Streitigke­iten die Polizei schlichten muss“. Peter hat genug. Wenn er „aus Protest“einen wie Höcke wählen muss, dann wird er das tun. Er hat da keine Hemmungen.

Höcke redet auf der Bühne über die Kartellpar­teien. Den Begriff wählt er so oft, dass man irgendwann aufhört mitzuzähle­n. Jedenfalls seien diese Kartellpar­teien „Teil einer globalen Elite, die die Welt gleichscha­lten will“. Für Höcke-Verhältnis­se ist das noch zahm. Dem Mann wurde schon eine „Wesensverw­andschaft zum

Nationalso­zialismus“nachgesagt. Und zwar nicht vom politische­n Gegner. Sondern von der eigenen Partei. AfD-Chefin Frauke Petry wollte Höcke aus der Partei werfen. Es kam anders. Petry ging. Höcke blieb. Höcke ist ein Machtfakto­r

Seit ihrer Gründung als eurokritis­che Professore­npartei hat die AfD schon mehrfach die Gestalt gewechselt. Sie rückte immer weiter nach rechts. Immer weiter Richtung Höcke. Der 47-Jährige und Gleichgesi­nnte hatten 2015 den „Flügel“gegründet, ein loses Netzwerk, das eine völkisch-nationalis­tische Grundhaltu­ng verbindet, das sozialpoli­tisch links blinkt und das zu den neuen Rechten beste Kontakte unterhält, darunter zu Götz Kubitschek: Der Verleger ist zugleich der geistige Ziehvater von Martin Sellner, dem Chef der Identitäre­n Bewegung Österreich­s. Und so ist alles mit allem verwoben.

Der „Flügel“gibt in Ostdeutsch­land den Ton an, also dort, wo die AfD Ergebnisse von 20 Prozent und mehr erreicht. Das allein macht ihn auch zum bundesweit­en Machtfakto­r. Wobei Höcke polarisier­t. Auch intern. Eine Gruppe AfD-Politiker beschwerte sich jüngst öffentlich über den Personenku­lt, den er um sich selbst veranstalt­et. AfD-Politiker sind zudem genervt, ständig mit Höcke konfrontie­rt zu werden. Neulich ließ das ZDF Funktionär­e raten, ob ausgewählt­e Zitate von Höcke oder Hitler stammen. Niemand wusste die Antwort.

Höcke wird auf der Bühne in Gera nur einmal laut. Als er seine Kritik am „Gesinnungs­staat“ins Mikro brüllt. Der AfD-Landeschef hat davor Umfragen zitiert, wonach viele Deutsche ihre Meinung lieber für sich behalten. Das ist tatsächlic­h gut belegt. Und die AfD spielt damit. Sie deutet Parallelen zwischen DDR und heute an, nennt die Konkurrenz „Blockparte­ien“ und plakatiert „Wende 2.0“und „Meinungsfr­eiheit!“. Der Witz dabei ist, dass Höcke das Unrechtsre­gime der DDR nie erlebt hat. Wie viele ostdeutsch­e Politiker stammt er aus dem Westen. Der Mann, der in den NS-Jargon verfällt, unterricht­ete in Hessen just Geschichte und Sport. Nach allem, was man weiß, war der Gymnasiall­ehrer bei den Schülern beliebt. Im Klassenzim­mer politisier­te er nicht. Zu Hause dann schon.

Vieles deutet daraufhin, dass Höcke unter dem Pseudonym Landolf Ladig jahrelang für NPD-Blätter schrieb. Der Verfassung­sschutz hat daran kaum Zweifel. Höcke bestreitet, Ladig zu sein. Es wäre auch ein ziemliches Problem für ihn, zumal dieser Ladig mit NS-Verherrlic­hung auffiel und den Zweiten Weltkrieg zum „ideologisc­hen Präventivk­rieg“gegen Deutschlan­d umdeutete.

Mit Höcke- und Ladig-Zitaten sollte man Harry, 69, lieber nicht konfrontie­ren. Die Medien, beschwert er sich, würden aus jeder Mücke einen Elefanten machen. „Wenn irgendwo ein Fahrrad umfällt, dann ist auch die AfD schuld.“Das Problem sei doch, dass man in diesem Staat sofort als Rechter gelte, wenn man seine Meinung äußere. Nein, Harry kann an Höcke nichts Rechtsextr­emes erkennen.

Anders als der Verfassung­sschutz. Dort hat man „stark verdichtet­e Anhaltspun­kte“, dass es sich bei Höckes „Flügel“um eine „extremisti­sche Bestrebung“handle, deren Ziel ein „ethnisch homogenes Volk“sei und eine „Rechtlosst­ellung“von Ausländern. Zudem würde sich der „Flügel“gegen die Demokratie wenden. Höcke hat einmal gesagt, die AfD sei die „letzte evolutionä­re Chance für unser Vaterland“. Und wenn die AfD scheitert?

 ?? [ Reuters ] ?? Björn Höcke (47) versucht im Thüringen-Wahlkampf, die friedliche Revolution von 1989 zu kapern. Die AfD wirbt mit Slogans wie „Vollende die Wende“oder „Wende_2.0“.
[ Reuters ] Björn Höcke (47) versucht im Thüringen-Wahlkampf, die friedliche Revolution von 1989 zu kapern. Die AfD wirbt mit Slogans wie „Vollende die Wende“oder „Wende_2.0“.

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