Der gefährlichste Politiker Deutschlands
Reportage. Experten halten ihn für rechtsextrem, der Verfassungsschutz hat ihn im Visier: Trotzdem werden Björn Höcke und seine AfD-Landespartei bei der Thüringen-Wahl kräftig zulegen. Warum?
Vor der Kulisse des Kulturund Kongresszentrums, eines ganz typischen und rustikalen DDRBaus in Gera, wehen ein paar Deutschland-Fahnen. Auf der Bühne singt eine Zwei-Mann-Band Klassiker des hiesigen Schlagers, zu denen die AfD-Fans auf den Heurigenbänken schunkeln. Wobei sich schrille Töne in die Melodie mischen: Wie fast immer bei den AfDFamilienfesten gibt es ein Pfeifkonzert, das Gegner der Partei in Hörweite veranstalten. Aber die Demonstranten sind in der Unterzahl. Ganz eindeutig.
Irgendwann skandiert ein Teil des AfD-Publikums aufgekratzt „Höcke! Höcke! Höcke!“, also den Namen von Björn Höcke, der seine Rede mit einem Gruß an die Demonstranten hinter dem Absperrgitter eröffnet, die er als „Opfer der Bildungskatastrophe“verspottet. Da und dort gibt es jetzt Gejohle und Gelächter. Es ist hier ein Heimspiel für Höcke, den AfDLandeschef, den die CSU nach dem rechtsextremen Anschlag in Halle als „geistigen Brandstifter“in die Mitverantwortung nahm. Den der Verfassungsschutz beobachtet. Den eine Vielzahl von Experten für rechtsextrem hält. Und den bei der Landtagswahl in Thüringen am 27. Oktober laut Umfragen trotzdem 20 bis 24 Prozent der Menschen wählen könnten. Warum? Von links nach rechts
Peter nippt am Bier aus dem Plastikbecher. Nach der Wende gab er seine Stimme der Linkspartei, „aber die haben auch nix zuwege gebracht“. Danach wählte er lange Zeit gar nichts und diesmal die AfD. Man liest Peter jetzt ein paar Zitate von Höcke vor, wie er den
Außenminister einmal im NS-Jargon „Volksverderber“nannte. Oder von einer „Tat-Elite“redete. So nannte sich auch die SS. Irritiert ihn das nicht? „Also mit Höckes Verklärung der Vergangenheit kann ich nichts anfangen“, sagt der 75-Jährige. Er sei ja gar kein HöckeFan. Wählen wird er dessen AfD trotzdem, weil „ich anderes gut finde“. Was? „Die Ausländerpolitik.“Gera, sagt er, das sei ja einmal eine schöne Stadt gewesen. Vor der Wende. „Es gab keine Drogen und sichere Arbeitsplätze.“Danach wurde „hier alles plattgemacht“, also die Schwerindustrie, die Textilindustrie. Viele zogen weg. Dafür gebe es hier jetzt Ausländer, „deren Streitigkeiten die Polizei schlichten muss“. Peter hat genug. Wenn er „aus Protest“einen wie Höcke wählen muss, dann wird er das tun. Er hat da keine Hemmungen.
Höcke redet auf der Bühne über die Kartellparteien. Den Begriff wählt er so oft, dass man irgendwann aufhört mitzuzählen. Jedenfalls seien diese Kartellparteien „Teil einer globalen Elite, die die Welt gleichschalten will“. Für Höcke-Verhältnisse ist das noch zahm. Dem Mann wurde schon eine „Wesensverwandschaft zum
Nationalsozialismus“nachgesagt. Und zwar nicht vom politischen Gegner. Sondern von der eigenen Partei. AfD-Chefin Frauke Petry wollte Höcke aus der Partei werfen. Es kam anders. Petry ging. Höcke blieb. Höcke ist ein Machtfaktor
Seit ihrer Gründung als eurokritische Professorenpartei hat die AfD schon mehrfach die Gestalt gewechselt. Sie rückte immer weiter nach rechts. Immer weiter Richtung Höcke. Der 47-Jährige und Gleichgesinnte hatten 2015 den „Flügel“gegründet, ein loses Netzwerk, das eine völkisch-nationalistische Grundhaltung verbindet, das sozialpolitisch links blinkt und das zu den neuen Rechten beste Kontakte unterhält, darunter zu Götz Kubitschek: Der Verleger ist zugleich der geistige Ziehvater von Martin Sellner, dem Chef der Identitären Bewegung Österreichs. Und so ist alles mit allem verwoben.
Der „Flügel“gibt in Ostdeutschland den Ton an, also dort, wo die AfD Ergebnisse von 20 Prozent und mehr erreicht. Das allein macht ihn auch zum bundesweiten Machtfaktor. Wobei Höcke polarisiert. Auch intern. Eine Gruppe AfD-Politiker beschwerte sich jüngst öffentlich über den Personenkult, den er um sich selbst veranstaltet. AfD-Politiker sind zudem genervt, ständig mit Höcke konfrontiert zu werden. Neulich ließ das ZDF Funktionäre raten, ob ausgewählte Zitate von Höcke oder Hitler stammen. Niemand wusste die Antwort.
Höcke wird auf der Bühne in Gera nur einmal laut. Als er seine Kritik am „Gesinnungsstaat“ins Mikro brüllt. Der AfD-Landeschef hat davor Umfragen zitiert, wonach viele Deutsche ihre Meinung lieber für sich behalten. Das ist tatsächlich gut belegt. Und die AfD spielt damit. Sie deutet Parallelen zwischen DDR und heute an, nennt die Konkurrenz „Blockparteien“ und plakatiert „Wende 2.0“und „Meinungsfreiheit!“. Der Witz dabei ist, dass Höcke das Unrechtsregime der DDR nie erlebt hat. Wie viele ostdeutsche Politiker stammt er aus dem Westen. Der Mann, der in den NS-Jargon verfällt, unterrichtete in Hessen just Geschichte und Sport. Nach allem, was man weiß, war der Gymnasiallehrer bei den Schülern beliebt. Im Klassenzimmer politisierte er nicht. Zu Hause dann schon.
Vieles deutet daraufhin, dass Höcke unter dem Pseudonym Landolf Ladig jahrelang für NPD-Blätter schrieb. Der Verfassungsschutz hat daran kaum Zweifel. Höcke bestreitet, Ladig zu sein. Es wäre auch ein ziemliches Problem für ihn, zumal dieser Ladig mit NS-Verherrlichung auffiel und den Zweiten Weltkrieg zum „ideologischen Präventivkrieg“gegen Deutschland umdeutete.
Mit Höcke- und Ladig-Zitaten sollte man Harry, 69, lieber nicht konfrontieren. Die Medien, beschwert er sich, würden aus jeder Mücke einen Elefanten machen. „Wenn irgendwo ein Fahrrad umfällt, dann ist auch die AfD schuld.“Das Problem sei doch, dass man in diesem Staat sofort als Rechter gelte, wenn man seine Meinung äußere. Nein, Harry kann an Höcke nichts Rechtsextremes erkennen.
Anders als der Verfassungsschutz. Dort hat man „stark verdichtete Anhaltspunkte“, dass es sich bei Höckes „Flügel“um eine „extremistische Bestrebung“handle, deren Ziel ein „ethnisch homogenes Volk“sei und eine „Rechtlosstellung“von Ausländern. Zudem würde sich der „Flügel“gegen die Demokratie wenden. Höcke hat einmal gesagt, die AfD sei die „letzte evolutionäre Chance für unser Vaterland“. Und wenn die AfD scheitert?