Die Presse

Der Moskauer Herbst der Repression

Russland. Alexej Nawalny droht nun auch Buße in Höhe von 320.000 Euro für Polizeiein­sätze. Die Nervosität im Opposition­slager ist groß – auch unter einfachen Aktivisten.

- Von unserer Korrespond­entin JUTTA SOMMERBAUE­R

Moskau. Nur unter einer Bedingung ist der Mann in einem Moskauer Cafe´ bereit zu sprechen: wenn seine Anonymität gewahrt bleibt. Denn er befürchtet weitere Repressali­en, wie sie bei den „Moskauer Prozessen“genannten Verfahren der russischen Behörden gegen die Teilnehmer der sommerlich­en Proteste immer deutlicher werden.

Am Montag gehen sie in eine neue Runde. Da beginnen in zwei Moskauer Bezirksger­ichten Verfahren gegen führende Mitglieder der Opposition – darunter Alexej Nawalny, Ilja Jaschin und Ljubow Sobol – wegen der Organisati­on von Protesten Ende Juli und Anfang August. Als Kläger tritt das Innenminis­terium auf, das die Kosten des Polizeiein­satzes in Rechnung stellt. Insgesamt drohen Bußgelder von 23 Millionen Rubel, umgerechne­t mehr als 320.000 Euro.

Die Behörden sind nur in wenigen Fällen vor dem Druck der Öffentlich­keit zurückgewi­chen. Etwa bei Pawel Ustinow, dessen dreieinhal­bjährige Gefängniss­trafe zur Bewährungs­strafe umgewandel­t wurde. Der Schauspiel­er Ustinow hatte sich in der Nähe der Kundgebung befunden. Wieder neue Verfahren gegen fünf Personen wurden erst Mitte Oktober eröffnet. In vielen Fällen ergehen dieser Tage strenge, mehrjährig­e Urteile.

„Jemand muss etwas tun“

Die harte Antwort der Behörden fürchtet auch der Gesprächsp­artner der „Presse“. Der Mann Anfang 30 nahm am 27. Juli an einem nicht genehmigte­n Protest für freie Wahlen teil. Mit ihm kamen Tausende, die gegen die Nichtzulas­sung der Opposition bei den Wahlen zum Moskauer Stadtparla­ment demonstrie­rten. Aus der „Position eines einfachen Bürgers“habe er für Gerechtigk­eit eintreten wollen, sagt er. „Jemand muss etwas tun.“Bei einer Konfrontat­ion mahnte er die Polizisten zum Einhalten. „Ihr seid wie wir!“, rief er, überzeugt davon, dass viele Gesetzeshü­ter „einfache, schlecht informiert­e Burschen“seien, mit denen man reden müsse. Doch im nächsten Moment wurde er festgenomm­en und in ein Kommissari­at am Rand Moskaus transferie­rt, wo man ihm die Teilnahme an einer illegalen Kundgebung vorwarf. Bisher droht ihm eine Verwaltung­sstrafe von 15.000 Rubel, 200 Euro. Eine vergleichs­weise geringe Summe, die viele andere begleichen. Doch er hat gegen das Urteil Berufung eingelegt, auch wenn er bereits Signale erhalten hat, das besser nicht zu tun: „Ich war an der Kundgebung, aber es trifft mich keine Schuld.“

Die Stimmung im Opposition­slager ist entspreche­nd angespannt. Nach dem Protestsom­mer folgt ein Herbst der Repression. Für diese Deutung spricht auch, dass Nawalnys Antikorrup­tionsstift­ung FBK zum „ausländisc­hen Agenten“erklärt wurde. Die operative Arbeit des Fonds wird mit Ermittlung­en rund um angebliche illegale Geldflüsse aus dem Ausland behindert. Konten wurden gesperrt, erst vor wenigen Tagen kam es landesweit erneut zu Hausdurchs­uchungen.

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