„Keiner fasst meine Musik an“
Kino. Filmkomponist Gabriel Yared spricht über seine Inspiration, die Rolle der Musik in Filmen und darüber, warum er niemals in einem Team arbeiten würde.
Die Presse: Sie wissen schon, dass Sie die Musik zu ein paar meiner absoluten Lieblingsfilme komponiert haben: „Stadt der Engel“, „Es begann im September“, „Zimmer 1408“, „Der talentierte Mr. Ripley“... Gabriel Yared: Das ist meine Lieblingsarbeit. „Ripley“.
Wirklich? Das können Sie so eindeutig sagen? Wieso dieser Streifen? Weil es so ein seltsamer, ungewöhnlicher Film ist. Ripley ist zwar per Definition ein Krimineller, aber Regisseur Anthony Minghella wollte diesem Charakter unbedingt sympathische Züge verleihen. Ja, er ist ein Mörder, aber eben nicht nur. Er ist gleichzeitig auch schwach und unsicher, romantisch und poetisch, mag Musik. Matt Damon hat ihn großartig gespielt. An diesem undurchsichtigen, widersprüchlichen Charakter mitzuwirken, war die große Herausforderung, die ich gerne angenommen habe.
Sie haben diesen Film gleich nach „Der Englische Patient“gemacht. Nach welchen Kriterien suchen Sie sich Ihre Filme aus? Nach dem Genre? Dem Plot? Geld?
Nichts von alldem. Das wichtigste Kriterium sind die Menschen, mit denen ich arbeite. Also die Regisseure. Wenn die Chemie zwischen dem Regisseur und mir stimmt, tauche ich voll und ganz ein in den Film, weil ich weiß, dass wir eine wunderschöne Zeit miteinander verbringen werden. Wie ein Paar, das sich gut versteht.
Wann beginnt eigentlich Ihre Arbeit? Wenn der Film fertig ist?
Viel früher. Üblicherweise schon mit dem fertigen Drehbuch. Vielleicht, weil bei meinem allerersten Film, den ich 1980 mit Regisseur Jean-Luc Godard gemacht habe, er zu mir kam, mir die Handlung erzählte und sagte: Leg los! Ich fragte ihn, wie das funktionieren soll, ich habe ja noch nichts gesehen vom Film. Er meinte nur: Ich habe dir doch erzählt, worum es geht, nutze deine Fantasie und Vorstellungskraft. Minghella ist auch jemand, der den Komponisten früh einbezieht. Und er lässt einem viel Freiraum, um die Musik zu entfalten. Man sagt ja, dass die Filmmusik einer der Charaktere im Film ist. Damit sie aber dazu werden kann, braucht sie Raum. Und Inspiration. Manchmal ist es nur ein Wort oder ein Blick eines Schauspielers, der mich inspiriert, manchmal ein Gespräch mit dem Regisseur, manchmal das Lesen des Drehbuchs.
Wie lange arbeiten Sie für gewöhnlich an einem Film?
Sechs bis acht Monate. Beim „Englischen Patient“waren es zehn Monate. Deswegen habe ich vorhin so betont, dass die Zusammenarbeit mit dem Regisseur gut funktionieren muss und für mich das Wichtigste an meiner Arbeit ist. Daher nehme ich auch nie mehrere Projekte gleichzeitig an, sondern konzentriere mich auf einen Film – nicht nur mit meinen Fähigkeiten, sondern mit meiner vollen Aufmerksamkeit und Kreativität. Sonst wäre ich nur ein „Maker“, kein „Creator“. Und Kino braucht Kreativität.
Hans Zimmer meinte vergangenes Jahr, dass er glamouröse Abende mit Roten Teppichen gar nicht so mag
Für seine Musik zu „Der englische Patient“wurde Gabriel Yared mit einem Oscar ausgezeichnet. Am Samstag wird der libanesische Komponist, der auch die Musik zu „Das Leben der Anderen“, „By the Sea“, „Message in a Bottle“und „Unterwegs nach Cold Mountain“schrieb, im Wiener Konzerthaus bei der „Hollywood in Vienna“-Gala mit dem „Max Steiner Award“geehrt. Für Organisatorin Sandra Tomek ist Yared der „beste und versierteste
Komponist“der Welt. Sie sei „absolut verliebt“in seine sensiblen Kompositionen. und am liebsten in seinem Studio sitzt. Wie ist das bei Ihnen?
Eigentlich mag ich das auch nicht besonders, aber hier in Wien stört es mich nicht. Es ist alles so familiär und intim. Und Wien ist einfach großartig, ich bin zum ersten Mal hier und absolut überwältigt. ich würde gerne eine Zeit lang hier leben und arbeiten, mit einem Orchester aus Wiener Musikern, die meine Musik spielen.
Komponieren Sie nur für das Publikum, oder geht es Ihnen auch darum, Kollegen beeindrucken?
Ich will niemanden beeindrucken, nicht einmal das Publikum. Für mich zählt nur der Spirit des Films, zu dem ich mit meiner Musik einen Beitrag leiste. Wie die Menschen darauf reagieren, kann ich nicht beeinflussen, sie müssen den Film und die Musik für sich selbst entdecken und erleben.
Wie groß ist Ihr Team?
Was für ein Team? Ich bin ein Kontrollfreak, ich delegiere nichts an irgendjemanden.
Sie können ja nicht alles allein machen . . .
Doch, alles. Ich habe einen Assistenten, manchmal zwei. Aber ich schreibe und komponiere alles selbst. Keiner fasst meine Musik an. Allein der Gedanke daran ist unvorstellbar.