Die Presse

Der Fluch des neuen Stadions

Fußball. Tottenham geißelt das gleiche Schicksal, dem Arsenal nach Jahren der Zäsur in dieser Saison zu entkommen scheint: Zu viel Geld floss in den Bau des Eigenheims statt in neue Spieler.

- Von unserem Korrespond­enten GABRIEL RATH

Was im alten Testament der Turmbau zu Babylon war, ist im modernen Fußball ein neues Stadion. Keine sechs Monate nach der Eröffnung seines Prunkstück­s ist Tottenham Hotspur in die schwerste Krise seit Jahren gerutscht. Der historisch­en 2:7-Heimnieder­lage gegen Bayern München folgte ein blamables 0:3 beim Abstiegska­ndidaten Brighton. Statt eines Aufbäumens erlebten die Fans eine Kapitulati­on: „Wir haben unser Selbstvert­rauen verloren“, räumte Manager Mauricio Pochettino ein. Verlieren die Spurs heute (16 Uhr, live Sky) gegen Schlusslic­ht Watford, ist für den Argentinie­r, 47, Schluss an der White Hart Lane.

Tottenham ist damit auf Kurs, demselben Fluch zu unterliege­n, den Lokalrival­e Arsenal nach vielen Jahren abzuschütt­eln beginnt. 2006 bezogen die „Gunners“ihr Stadion in Holloway, ein ehrgeizige­s Zeichen dafür, dass sich der Klub zur Elite der Gegenwart zählte: Ein Fassungsve­rmögen von 60.704 Zuschauern macht es damals zu Londons zweitgrößt­em Stadion nach Wembley. Mit 390 Millionen Pfund (560 Mio. Pfund zu heutigen Preisen) kostete die Sportstätt­e einen Rekordprei­s.

Es war zu viel. Die Aktivitäte­n auf dem Transferma­rkt waren nicht weiter von sportliche­n Erwägungen bestimmt. „Ich hatte immer damit zu kämpfen, dass es drei oder vier Vereine gab, die mehr Geld ausgeben konnten als wir“, blickt Arsenal-Ikone Ars`ene Wenger zurück. „Man muss mit dem leben, was man hat.“Bis 2013 nahm der Klub mehr an Spielerver­käufen ein, als er für Neuverpfli­chtungen ausgab. Das freute die Buchhalter, verärgerte aber die Fans: Aus den „Unbesiegba­ren“der Saison 2003/04, die 49 Spiele ungeschlag­en blieben, wurden am Ende der Ära Wenger „Mitläufer“, die sogar die Champions League verpassten.

Denselben Weg muss nun Tottenham beschreite­n: Um eine Milliarde Pfund wurde ein neues Stadion gekauft, das 2000 Plätze mehr als jenes von Arsenal hat und alle Stückerln spielt. Nur spielen müssen die Spieler – und für Transfers fehlt das (große) Geld: Um jene 90 Millionen Pfund, die im Sommer für drei Verstärkun­gen ausgegeben wurden, holte Manchester United allein Verteidige­r Harry Maguire.

Die Krise der Spurs, die von den letzten 41 Spielen 19 verloren haben und auswärts schon zehn Monate sieglos sind, wird nirgendwo mit mehr Freude gesehen als bei Arsenal. Für nicht wenige „Gunners“-Fans ist der sportliche Höhepunkt im Jahr der sogenannte St. Totteringh­am’s Day, an dem die „Gunners“in der Tabelle nicht mehr von Tottenham überholt werden können. Er wird diese Saison früher als sonst kommen.

Das jüngste Derby war jedoch symptomati­sch für die Schwäche beider Vereine. Tottenham konnte einen Vorsprung nicht über die Runden bringen, Arsenal scheint diese Saison ohne Verteidigu­ng spielen zu wollen. Während die Feuerkraft des Sturms mit PierreEmer­ick Aubameyang und Alexandre Lacazette gefürchtet und bewundert wird, steht im eigenen Strafraum eine Chaostrupp­e, die niemand besser symbolisie­rt als der Brasiliane­r David Luiz. Dass man 9,2 Millionen Pfund an Chelsea für den 32-Jährigen überwies, sorgte für Kopfschütt­eln wie Spott.

Dennoch scheint Luiz gesetzt, während Mittelfeld­star Mesut Özil bei Manager Unai Emery endgültig im Aus gelandet sein dürfte. Nicht einmal in der wenig geliebten Europa League kommt der Topverdien­er des Vereins zum Einsatz: „Wir haben einen großen Kader, jeder muss um einen Platz kämpfen“, erklärt der Spanier mitleidlos. Statt auf dem Fußballfel­d fiel Özil zuletzt vor allem durch Kritik an Deutschlan­d und dem DFB auf, als er mit Teamkolleg­en Sead Kolasinac von türkischen Straßengan­gs bedroht wurde. Während sich Özil in seinem gepanzerte­n Geländewag­en versteckte, verjagte Kolasinac die Angreifer.

Sowohl Arsenal als auch Tottenham haben beim Neubau ihrer Stadien Wert darauf gelegt, in ihrer Gemeinde zu bleiben. Die „Gunners“zogen nur ein paar Hundert Meter von ihrem Traditions­platz in Highbury weg. Obwohl sie extrem hohe Grundstück­preise zahlen mussten, bewahrten sie den Kontakt zu ihren Wurzeln, ihrer Fanbasis. Die Spurs errichtete­n ihr neues Stadion auf dem Grundstück der alten Spielstätt­e. Und dennoch, beide geißelt der Fluch des neuen Eigenheims. Ganz zu schweigen von der Ungewisshe­it, die über der ganzen Premier League schwebt ob des Brexit. Kommen dann neue Transfer-Reglen, verlieren EUSpieler ihren Arbeitssta­tus? Eines ist aber gewiss: Der Fußball in London wird noch teurer werden.

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