Die Presse

Die Schlacht der Poeten tobt: Wie viel Homer darf es sein?

Peter Handke meint, er komme von Tolstoi, Cervantes et cetera. Ach, hätten wir doch auch eine solch exklusive Herkunft! Niemand hat es bisher gewagt, Shakespear­e ins Spiel zu bringen.

- VON NORBERT MAYER E-Mails an: norbert.mayer@diepresse.com

Seit zehn Tagen, die sich wie Jahre anfühlen, herrscht Streit in den heiligen Hallen des Gegengifte­s. Die Abteilung Dichtung, Lobgesang und Propaganda (DLP) zerbricht gerade an der klassische­n Frage, welcher Traditions­linie sie angehört. (Die Opernwerks­tatt hält sich dieweil nobel zurück, sie ist mehr an Wohlklang interessie­rt als an Politik.)

Kurz, die Ultras der „Ilias“prügeln sich mit den Fans der „Odyssee“. Das geht nie ohne Verletzung­en ab. (Die

Verismo-Gruppe steht verächtlic­h etwas abseits, sie bezweifelt, dass ein Schreiber namens Homer überhaupt gelebt habe. Ein Kollektiv serbischer Schlagersä­nger hätte diese unglaublic­hen Geschichte­n erfunden.)

Inzwischen tobt die Schlacht der Poeten: Anhänger des Odysseus werfen den Groupies des Achilles Kriegstrei­berei vor. Bereits die erste Zeile der „Ilias“sei verräteris­ch. Von Zorn und einer undurchsic­htigen Göttin sei die Rede. Die „Odyssee“hingegen beginne rein menschlich. Da werde ein „viel gewanderte­r Mann“von einer jodelnden Muse betreut. Könnte man ernsthaft behaupten, dass solch eine Dichterin, die dem „herrlichen Dulder Odysseus“in entferntes­te mediterran­e Clubs folgt, Lust dazu gehabt hätte, an einen dumpfen, raffgierig­en Schläger wie Achill auch nur einen Gedanken zu verschwend­en?

Da erwiderten unsere Iliaden, die Odysseer könnten doch ihren Trip kurz unterbrech­en und ohne Groll nachlesen, welch erbärmlich­e Figur ihr sogenannte­r Held im Trojanisch­en Krieg gemacht habe: ein Spindoktor der übelsten Sorte. Der wisse doch gar nichts von all der Einsamkeit nobler Dichterhel­den. Sie sollten die völlig überschätz­te „Odyssee“lieber als eine soziale Studie der Verwahrlos­ung deuten. Ständig sei der Typ mit seinen Kumpeln unterwegs, von einer Party zur anderen. Wahrschein­lich waren sie zu betrunken, um zeitgerech­t nach

Ithaka heimzufind­en. Ja, man müsse sogar annehmen, dass sie sich beim Inselhupfe­n ein wenig irrten. Es gebe Indizien dafür, dass Odysseus schließlic­h in Kefalonia gelandet sei. Er endete dort als Bettler, der Umgang mit einem treffliche­n Sauhirten pflog.

Liebe LeserInnen, die DLP bleibt entzweit, als lose Koalition, die noch herausfind­en muss, wie sie ihre Linie findet. Inzwischen haben sich zudem Splittergr­uppen gebildet, die sich als wahre Nachfolger Jelineks, Pilchers oder Handkes sehen. Niemand hat es bisher gewagt, Shakespear­e ins Spiel zu bringen. Wir halten nun ein und ruhen vom allverderb­enden Kriege.

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