Die Schlacht der Poeten tobt: Wie viel Homer darf es sein?
Peter Handke meint, er komme von Tolstoi, Cervantes et cetera. Ach, hätten wir doch auch eine solch exklusive Herkunft! Niemand hat es bisher gewagt, Shakespeare ins Spiel zu bringen.
Seit zehn Tagen, die sich wie Jahre anfühlen, herrscht Streit in den heiligen Hallen des Gegengiftes. Die Abteilung Dichtung, Lobgesang und Propaganda (DLP) zerbricht gerade an der klassischen Frage, welcher Traditionslinie sie angehört. (Die Opernwerkstatt hält sich dieweil nobel zurück, sie ist mehr an Wohlklang interessiert als an Politik.)
Kurz, die Ultras der „Ilias“prügeln sich mit den Fans der „Odyssee“. Das geht nie ohne Verletzungen ab. (Die
Verismo-Gruppe steht verächtlich etwas abseits, sie bezweifelt, dass ein Schreiber namens Homer überhaupt gelebt habe. Ein Kollektiv serbischer Schlagersänger hätte diese unglaublichen Geschichten erfunden.)
Inzwischen tobt die Schlacht der Poeten: Anhänger des Odysseus werfen den Groupies des Achilles Kriegstreiberei vor. Bereits die erste Zeile der „Ilias“sei verräterisch. Von Zorn und einer undurchsichtigen Göttin sei die Rede. Die „Odyssee“hingegen beginne rein menschlich. Da werde ein „viel gewanderter Mann“von einer jodelnden Muse betreut. Könnte man ernsthaft behaupten, dass solch eine Dichterin, die dem „herrlichen Dulder Odysseus“in entfernteste mediterrane Clubs folgt, Lust dazu gehabt hätte, an einen dumpfen, raffgierigen Schläger wie Achill auch nur einen Gedanken zu verschwenden?
Da erwiderten unsere Iliaden, die Odysseer könnten doch ihren Trip kurz unterbrechen und ohne Groll nachlesen, welch erbärmliche Figur ihr sogenannter Held im Trojanischen Krieg gemacht habe: ein Spindoktor der übelsten Sorte. Der wisse doch gar nichts von all der Einsamkeit nobler Dichterhelden. Sie sollten die völlig überschätzte „Odyssee“lieber als eine soziale Studie der Verwahrlosung deuten. Ständig sei der Typ mit seinen Kumpeln unterwegs, von einer Party zur anderen. Wahrscheinlich waren sie zu betrunken, um zeitgerecht nach
Ithaka heimzufinden. Ja, man müsse sogar annehmen, dass sie sich beim Inselhupfen ein wenig irrten. Es gebe Indizien dafür, dass Odysseus schließlich in Kefalonia gelandet sei. Er endete dort als Bettler, der Umgang mit einem trefflichen Sauhirten pflog.
Liebe LeserInnen, die DLP bleibt entzweit, als lose Koalition, die noch herausfinden muss, wie sie ihre Linie findet. Inzwischen haben sich zudem Splittergruppen gebildet, die sich als wahre Nachfolger Jelineks, Pilchers oder Handkes sehen. Niemand hat es bisher gewagt, Shakespeare ins Spiel zu bringen. Wir halten nun ein und ruhen vom allverderbenden Kriege.