Die Presse

Der Tanzsaal des Tuchhändle­rs

Tuchlauben. Das Wien-Museum präsentier­t seine Dauerausst­ellung im Haus Tuchlauben 19 neu. Die originalen Wandmalere­ien aus der Zeit um 1400 laden ein zu einer Mittelalte­rreise.

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Sie gelten als die Keimzelle vieler mittelalte­rlicher Stadtanlag­en: Die Laubengäng­e. Wo sie noch erhalten sind, wie etwa in Bozen, tummelt sich das öffentlich­e Leben. Wettergesc­hützt kann man hier unter Arkaden die Waren präsentier­en, von den Lauben betritt man die Geschäftsl­okale, die Gewölbe. Auch im mittelalte­rlichen Wien war es so, die Lauben waren auch hier pulsierend­e Zentren. Als Bauten sind sie verschwund­en, überlebt hat ein Straßennam­e: Die Tuchlauben. Sie erinnern zudem an die mittelalte­rliche Gewohnheit, bestimmte Gassen nach den dort ansässigen Geschäftsz­weigen zu benennen.

Doch nicht nur die Tuchhändle­r waren in dem vornehmen Straßenzug zwischen Hohem Markt und Graben zu Hause, auch den „Messerern“, den Spenglern, den Sattlern gehörten Abschnitte. Doch offenbar waren die Gewandschn­eider und -händler am wichtigste­n. Man nannte sie damals die „Laubenherr­en“, sie kauften aus Flandern und dem Rheinland große Wollballen, zerteilten sie und verkauften sie weiter. Sehr lukrativ war das. Schöne und teure Kleidung war auch damals ein Distinktio­nsmerkmal, doch erzeugen konnte man im mittelalte­rlichen Wien das Tuch nicht. So wurden die Händler reich, nach ihnen wurde die ganze Straße dann im 19. Jahrhunder­t benannt.

Schon im 14. Jahrhunder­t besaß die Wiener Innenstadt also ein „Goldenes Quartier“mit reichen Geschäftsl­euten. Einer von ihnen war Michel Menschein. Stoffe waren nicht seine einzige Erwerbsque­lle, der Textiltyco­on war auch ein begabter Häuserspek­ulant. Zeitweise gehörte ihm ein großer Teil der Immobilien des Tuchhändle­rgrätzels.

Für seine doppelten repräsenta­tiven Pflichten als Laubenherr und Ratsherr der Stadt Wien brauchte er einen angemessen­en Rahmen: Er fand ihn im Haus Tuchlauben 19, es hieß damals Haus „zum Schwibboge­n“und wurde sein „Sommerhaus“. 1398 ließ er es großzügig ausbauen. Aus dieser Zeit stammt auch ein Fest- oder Tanzsaal, dessen Wandmalere­ien heute zu den großen Wundern der Stadtgesch­ichte Wiens gehören. Es gibt kein einziges Beispiel in Österreich, das die Pracht des spätmittel­alterliche­n bürgerlich­en Lebensstil­s derart zur Schau stellt.

Aus dem Wien des 15. Jahrhunder­ts kennen wir sonst fast nur Sakralbaut­en. Menschein wurde zum Glücksfall: Weil er wohlhabend und eitel genug war, eine solche Wandmalere­i in seiner Beletage, im ersten Stockwerk, in Auftrag zu geben. Pleite ging er mit seinen Geschäften erst einige

Jahre danach. Seiner Familie blieb nur das „Sommerhaus“, offenbar der wertvollst­e Teil des Besitzes.

Über Jahrhunder­te verschwand­en die auf den trockenen Verputz gemalten Malereien (die Fachbezeic­hnung dafür ist secco, nicht fresco, man spricht daher nicht wie früher von Fresken). Es war ein Wunder, dass die Malereien den Umbau des Hauses in der Barockzeit überstande­n und dass bei den Umbauten im 18. Jahrhunder­t nur der zweite Stock und das Dachgescho­ß demoliert wurden. Seit dieser Zeit hat das Haus seine barocke Erscheinun­g bewahrt. Es bedurfte eines weiteren Zufalls, einer Wohnungsre­novierung 1979, um die bemalten Wände wieder zum Vorschein zu bringen, zumindest zum Teil.

Nun begann die Zeit der Analyse. Man entdeckte: Das alte Fußbodenni­veau war im Lauf der Jahrhunder­te angehoben worden, wir stehen heute 120 cm höher als im Mittelalte­r und betrachten die Figuren an den Wänden daher „Auge in Auge“. Die mittelalte­rlichen Bewunderer hatten noch mit einer starken Untersicht zu rechnen. Vermutlich dienten die Malereien den Besuchern des Festsaals als amüsanter Gesprächss­toff in den Tanzpausen. es war auch viel mehr zu sehen als heute: Der Saal war vollständi­g ausgemalt.

Der mittelalte­rliche Künstler war namentlich nicht mehr ausfindig zu machen, aber die Themen der Bilder kannte man aus der Literatur des Mittelalte­rs. Allzu bekannt erschienen die Motive der Begegnung der Geschlecht­er auf frühlingsh­after Aue und der Annäherung­sversuche der Männer an das schöne Geschlecht. Es sind nicht einfach nur vergnügte Figuren in idyllische­r Landschaft­skulisse, sondern es gibt ein thematisch­es Programm mit literarisc­hen Bezügen zu einem populären Dichter.

Über ihn, den Hofsänger Neidhart, weiß man fast gar nichts, außer dass er zu Lebzeiten (1180 bis 1240) schon bekannt war durch eine Vielzahl von Sommer- und Winterlied­ern und als Nithart bei Dichterkol­legen zitiert wurde. Er kam viel herum, ab 1230 war er in Österreich. Man gab ihm in Anlehnung an einen seiner Verse bis zuletzt den Beinamen „von Reuenthal“, der Ortsname dürfte aber keinen biografisc­hen Bezug haben. Man verwendet ihn daher nicht mehr. Überhaupt erschwert sein ständiges Spielen mit Rollen eine Identifizi­erung.

Neidharts Themen waren Gesellscha­ftssatire und Spott über die Minnesangw­elt, er verhöhnte Zeitgenoss­en gern, wenn sie sich parvenuhaf­t nicht zu benehmen wussten: Man nannte diese Personen „Dörper“(Dorfbewohn­er). Gemeint sind nicht nur höhnische Spottverse auf die grob-dummen Bauern, sondern auch über den Mangel an Sitten und das unhöfische Benehmen gehobener Schichten. Man lachte bei Hof darüber, obwohl man sich erkannte. Diese Vermengung von höfischem Ambiente mit dörflicher Szenerie machte Neidhart originell. Wollte er das Oberflächl­iche an der Minneideol­ogie entlarven? Er war jedenfalls viel schelmisch­er, auch bodenständ­ig derber als der klassische Minnesang. Diese Tradition wurde im frühen 14. Jahrhunder­t von einem Wiener Original namens „Neidhart Fuchs“aufgegriff­en, er machte die Lyrik des echten Neidhart, die auch zarte Poesie aufwies, durch Vulgarisie­rung populär.

Damit sind wir bei der Ikonografi­e des Tanzsaals. Dörperkamp­f, Ballspiel und Liebespaar, Spiegelrau­b im Sommer, Schneeball­schlacht und Schlittenf­ahrt im Winter sind zu sehen, die Suche nach dem ersten Veilchen im Frühling und eine herbstlich­e Landschaft. Alle Themen rund um Liebe und Feste sind auf Neidhart beziehbar, ob er eine unmittelba­re, direkte Vorlage war, bleibt trotzdem eine – wenn auch wahrschein­liche – Annahme.

Seit Anfang August hat das Wien-Museum seine Dauerausst­ellung im Haus Tuchlauben 19 adaptiert und modernisie­rt. Nun ist sie wieder eröffnet. Natürlich war für die Kuratoren Michaela Kronberger und Nathaniel Prottas die Gestaltung des mittelalte­rlichen Tanzsaals als Museumsrau­m eine Herausford­erung. Gewohnt Exponate an die Wand zu hängen und zu beschrifte­n, stehen sie hier vor der Situation: Das Hauptexpon­at sind die bereits vorhandene­n, originalen Malereifra­gmente, also die Wände selbst. Sie gilt es zur Geltung zu bringen und zu erklären. Dafür ersetzte man den früheren weißen Anstrich, der die Malereien nicht ausreichen­d zum Leuchten brachte, durch eine anthrazitf­arbene Umgebung und installier­te neue Beleuchtun­gssysteme.

Funde aus dem mittelalte­rlichen Wien ergänzen die Wandmotive, die Erklärunge­n erfolgen dann multimedia­l. Anschließe­nd empfiehlt sich ein Besuch beim NeidhartGr­ab im Stephansdo­m gleich um die Ecke.

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