Luftige Höhen und chauvinistische Abgründe
Zeitgeschichte. Jahrelang hüteten sich die Pionierinnen des Höhenbergsteigens davor, ihre alpinen Leistungen an die große Glocke zu hängen. So versuchten sie, möglichst unbehelligt vom Sexismus der Branche Gipfel um Gipfel zu erklimmen.
Oh, wie schön, sieh den rosenroten Schnee“, lässt Johanna Spyri ihre bekannte Romanfigur Heidi bei deren erster Wanderung mit dem Geißen-Peter ausrufen. Das Kind „sprang hierhin und dorthin, daß es überallhin sehe, denn es konnte gar nicht genug bekommen, so schön war’s auf allen Seiten“. Die Liebe zu den Bergen kennt keine Geschlechtergrenzen. Die Gesellschaft indes schon.
Sie seien besessen von den Bergen, getrieben von einem Erfolgsgedanken und überambitioniert. Mit diesem Vorwurf wurden Extrembergsteigerinnen bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts regelmäßig konfrontiert. Vor allem dann, wenn eine Expedition misslang oder, schlimmer, es zu einer tödlichen Katastrophe kam. Im Gegensatz dazu wäre es freilich niemandem eingefallen, ihren Bergsteigerkollegen, für die positive Ambition und Risikofreude reserviert waren, ihre Männlichkeit vorzuhalten. Frauen hingegen, so meinte man, sollten vorsichtig, zurückhalten und umsichtig sein.
Verleumdet und degradiert
„A woman’s place is on the top“, stellte die Zeithistorikerin Martina Gugglberger kürzlich bei der Tagung „Veränderte Verhältnisse“anlässlich des hundertsten Jubiläums des österreichischen Frauenwahlrechts in Linz fest. Das Bonmot ist in ihrem Fall wörtlich zu nehmen: Die Forscherin beschäftigt sich mit der Kulturgeschichte des Frauenalpinismus. Aufgetaucht ist der Ausspruch, der auch das Motto der ersten österreichischen Frauenexpedition 1994 auf den Shishapangma (8027 m) im Himalaja war, in den 1970er-Jahren.
Aber zurück zu den Anfängen: Frühe Alpinistinnen waren nicht selten Vorwürfen ausgesetzt, sie hätten eine Besteigung nicht aus eigenen Kräften geschafft. So beklagt etwa Jeanne Immink
(1853−1929), die als Begründerin des modernen Frauenbergsteigens und Erfinderin des Abseilgurtes gilt, in der „Alpenzeitung“, dass die „weiblichen Berggymnasten nach einer schwierigen Tour leider nur zu oft verleumdet werden“. Die frauenfeindliche Haltung manifestierte sich in einem perfiden Prinzip der Alpinismusgeschichte: „Je höher die Ziele der Frauen, umso massentauglicher wurden diese“, sagt Gugglberger. Will heißen: Sobald Frauen eine Bergleistung erbracht hatten, wurde die Route als weniger anspruchsvoll eingestuft und zum „Damenspaziergang“degradiert. Ihr Erklimmen war nichts mehr wert.
Lange Zeit waren Frauen in den Bergen, obwohl schon immer dort, unsichtbar. Schon im 19. Jahrhundert tourten Alpinistinnen, meist aus wohlhabenden Schichten, durch die Alpen. Eine von ihnen war Elizabeth HawkinsWhitshed (1860−1934), der die Erstbesteigung der Ostgipfel des Bishorns (4135 m) gelang und die in London den internationalen Ladies’ Alpine Club gründete. Unter dessen ersten Mitgliedern war auch Lucy Walker (1836−1916), die 1871 als erste Frau das Matterhorn (4478 m) erklomm. Um als Bergsteigerin gesehen zu werden, brauchte es auch damals ein gewisses Maß an Selbstinszenierung. Dazu gehörte, die eigenen Abenteuer am Berg niederzuschreiben und Abnehmer für die Publikation zu finden – das war bei Frauen selten der Fall. Wie unterschiedlich Gipfelerfolge wahrgenommen wurden, zeigt das Beispiel von Marie Paradis (1778−1839), die 1808 auf dem Gipfel des Mont Blanc (4810 m) stand, und Henriette d’Angeville (1794−1871), die lange Zeit als dessen Erstbesteigerin gefeiert wurde. Während die Einheimische Paradis lediglich mündlich von ihrer Tour berichtete, dokumentierte d’Angeville ihre Expedition 1838 detailliert und publizierte auch dazu. Schon die Besteigung selbst war von langer Hand geplant und als Event angelegt. So wurde die französische Adelige bei ihrer Rückkehr mit frenetischem Jubel empfangen.
Gugglberger hat in ihrer Forschung gezeigt, dass später vor allem die Himalaja-Pionierinnen der 1950erund 1960er-Jahre mediale Unsichtbarkeit strategisch für sich nutzten. Sie versuchten, die Berge für sich zu erobern, indem sie sich bewusst bescheiden und unauffällig im Hintergrund hielten. „Sie wollten nicht in Verdacht geraten, eine Konkurrenz zu Männer-Bergsteigern zu sein, und wagten eher Sechstausender-Expeditionen und keine Achttausender“, so die Linzer Historikerin. In ihren Berichten beschrieben sie ironisch-scherzhaft ein „weibliches“Lagerleben, wie das Wäschewaschen und Kochen – Szenen, die in den Erzählungen ihrer männlichen Kollegen, übrigens genauso wie die Unterstützung durch Träger und Sherpas, ausgespart wurden.
Gugglberger arbeitet derzeit an einem Buch zu ihrer Habilitationsschrift „Grenzen im Aufstieg, Frauenexpeditionen in den Himalaya 1955−2014 aus geschlechterhistorischer Perspektive“, das im kommenden Jahr im Böhlau-Verlag erscheint. Sie analysierte u. a. Publikationen über Touren von Frauen sowie von Alpinistinnen selbst verfasste Expeditionsberichte. Die Forscherin interessierten die Strategien der Frauen, um ihr Tun, das die Geschlechterordnung zum Teil infrage stellte, zu legitimieren. „Die Bergsteigerinnen betonten, dass sie die bürgerliche Ordnung
Die Presse: Das „1000 Ideen“Programm des FWF soll besonders riskante Forschungsprojekte fördern. Waren Österreichs Forscher denn bisher zu risikoscheu?
Klement Tockner: Nein, jedoch glaube ich, dass viele österreichische Wissenschaftler gern viel risikofreudiger wären. Das derzeit vorhandene Umfeld ermöglicht es ihnen aber oft nicht, weil es dafür keine Formate gibt. Das ist eine Lücke, denn die meisten Förderformate verlangen, dass man schon Vorarbeiten geleistet hat. Nur bezahlt niemand diese Vorarbeiten. Wir wissen auch, dass Innovation sehr oft nicht vom Kern, sondern von den Rändern ausgeht, daher wollen wir Forschende ermutigen, ausgesprochen unkonventionelle Ideen zu verfolgen.
Haben Sie dafür internationale Vorbilder?
Ja, die deutsche Volkswagenstiftung hat beispielsweise so ein Programm, oder auch der Schweizer Nationalfonds. Die haben auch zu einer Mobilisierung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern geführt, die normalerweise keinen Antrag stellen.
Mit welchen Kriterien schließen Sie obskure Anträge aus?
Die Grundvoraussetzungen, um einen Antrag zu stellen, sind die gleichen wie bei normalen FWFProjekten. Das heißt, man muss nachweisen, dass man wissenschaftlich arbeitet und publiziert, das gehört zur Prüfung der Antragsberechtigung beim FWF. Dann muss natürlich auch eine überzeugende und schlüssige Beschreibung des Projekts enthalten sein, ebenso wie eine Risikoabschätzung, die eine internationale Jury bewertet. Im Vordergrund stehen vielversprechende Ideen und natürlich der Mut, diese umzusetzen.
Ein höheres Risiko bedeutet aber auch, dass die Wahrscheinlichkeit zu scheitern größer ist. Bei welchem Resultat würden Sie das „1000 Ideen“-Programm als Erfolg bezeichnen?
Salopp formuliert: Wenn zehn Prozent der geförderten Projekte erfolgreich eine größere Förderung im Anschluss erhalten, etwa einen ERC-Grant oder Start-Preis, und wenn auch nur ein Prozent einen echten wissenschaftlichen Durchbruch erzielt, dann wäre das ein absoluter Erfolg. Aber ich denke, der Erfolg wird sich auch in der veränderten Forschungskultur und in dem Selbstvertrauen der Wissenschaftler zeigen, deren Mut, etwas völlig Neues zu wagen, durch das „1000 Ideen“-Programm weiter gefördert wird.
Vergangenes Jahr haben Männer doppelt so viele Förderanträge beim FWF gestellt wie Frauen – welche Maßnahmen sind geplant, um dieses Verhältnis in Zukunft geradezurücken?
Das ist ein wichtiger Punkt. Wenn wir es nicht schaffen, viel mehr Frauen für die Forschung zu gewinnen, wäre das ein riesiger Verlust an Kreativität, Ideen und Diversität. Wir sind derzeit in einem Diskussionsprozess, wie wir die Karriereprogramme so weiterentwickeln können, dass wir zukünftig Gleichstellung erreichen. Wir allein können das Problem des zu geringen Frauenanteils in der Spit
ist Professor für Aquatische Ökologie an der freien Universität Berlin und Präsident des österreichischen Wissenschaftsfonds FWF, einer Einrichtung zur Förderung der Grundlagenforschung. Tockner promovierte 1993 an der Universität Wien in den Fächern Zoologie und Botanik, 1996 wechselte er an die ETH Zürich, wo er 2005 zum Titularprofessor ernannt wurde. Von 2007 bis 2016 war er Direktor des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei. zenforschung aber nicht lösen. Das ist eine Aufgabe, die nur im gemeinsamen Zusammenwirken mit den Institutionen und der Politik gelöst werden kann. Wir haben beim FWF eine Reihe an begleitenden Maßnahmen, um Wissenschaftlerinnen zu unterstützen und zu fördern. Fakt ist auch, dass die Bewilligungsquoten von Männern und Frauen beim FWF sehr nahe beieinanderliegen. Wenn aber insgesamt zu wenige Frauen Anträge stellen, ist unser Einfluss begrenzt.
Welche finanziellen Rahmenbedingungen erwarten Sie sich von einer zukünftigen Regierung, um die Programme des FWF weiter ausbauen zu können?
Unsere Spitzenforscher würden dringend einen ambitionierten Wachstumspfad von zumindest sieben Prozent unseres Fördervolumens pro Jahr für die nächsten zehn Jahre sowie ein umfangreiches Exzellenzprogramm benötigen. Ohne diesen Wachstumspfad wäre ein neues Forschungsfinanzierungsgesetz nichts anderes als gesetzlich festgeschriebener Stillstand. Und das wird und kann kein Ziel einer Bundesregierung sein.