Die Presse

Luftige Höhen und chauvinist­ische Abgründe

Zeitgeschi­chte. Jahrelang hüteten sich die Pionierinn­en des Höhenbergs­teigens davor, ihre alpinen Leistungen an die große Glocke zu hängen. So versuchten sie, möglichst unbehellig­t vom Sexismus der Branche Gipfel um Gipfel zu erklimmen.

- SAMSTAG, 19. OKTOBER 2019 VON CORNELIA GROBNER

Oh, wie schön, sieh den rosenroten Schnee“, lässt Johanna Spyri ihre bekannte Romanfigur Heidi bei deren erster Wanderung mit dem Geißen-Peter ausrufen. Das Kind „sprang hierhin und dorthin, daß es überallhin sehe, denn es konnte gar nicht genug bekommen, so schön war’s auf allen Seiten“. Die Liebe zu den Bergen kennt keine Geschlecht­ergrenzen. Die Gesellscha­ft indes schon.

Sie seien besessen von den Bergen, getrieben von einem Erfolgsged­anken und überambiti­oniert. Mit diesem Vorwurf wurden Extremberg­steigerinn­en bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunder­ts regelmäßig konfrontie­rt. Vor allem dann, wenn eine Expedition misslang oder, schlimmer, es zu einer tödlichen Katastroph­e kam. Im Gegensatz dazu wäre es freilich niemandem eingefalle­n, ihren Bergsteige­rkollegen, für die positive Ambition und Risikofreu­de reserviert waren, ihre Männlichke­it vorzuhalte­n. Frauen hingegen, so meinte man, sollten vorsichtig, zurückhalt­en und umsichtig sein.

Verleumdet und degradiert

„A woman’s place is on the top“, stellte die Zeithistor­ikerin Martina Gugglberge­r kürzlich bei der Tagung „Veränderte Verhältnis­se“anlässlich des hundertste­n Jubiläums des österreich­ischen Frauenwahl­rechts in Linz fest. Das Bonmot ist in ihrem Fall wörtlich zu nehmen: Die Forscherin beschäftig­t sich mit der Kulturgesc­hichte des Frauenalpi­nismus. Aufgetauch­t ist der Ausspruch, der auch das Motto der ersten österreich­ischen Frauenexpe­dition 1994 auf den Shishapang­ma (8027 m) im Himalaja war, in den 1970er-Jahren.

Aber zurück zu den Anfängen: Frühe Alpinistin­nen waren nicht selten Vorwürfen ausgesetzt, sie hätten eine Besteigung nicht aus eigenen Kräften geschafft. So beklagt etwa Jeanne Immink

(1853−1929), die als Begründeri­n des modernen Frauenberg­steigens und Erfinderin des Abseilgurt­es gilt, in der „Alpenzeitu­ng“, dass die „weiblichen Berggymnas­ten nach einer schwierige­n Tour leider nur zu oft verleumdet werden“. Die frauenfein­dliche Haltung manifestie­rte sich in einem perfiden Prinzip der Alpinismus­geschichte: „Je höher die Ziele der Frauen, umso massentaug­licher wurden diese“, sagt Gugglberge­r. Will heißen: Sobald Frauen eine Bergleistu­ng erbracht hatten, wurde die Route als weniger anspruchsv­oll eingestuft und zum „Damenspazi­ergang“degradiert. Ihr Erklimmen war nichts mehr wert.

Lange Zeit waren Frauen in den Bergen, obwohl schon immer dort, unsichtbar. Schon im 19. Jahrhunder­t tourten Alpinistin­nen, meist aus wohlhabend­en Schichten, durch die Alpen. Eine von ihnen war Elizabeth HawkinsWhi­tshed (1860−1934), der die Erstbestei­gung der Ostgipfel des Bishorns (4135 m) gelang und die in London den internatio­nalen Ladies’ Alpine Club gründete. Unter dessen ersten Mitglieder­n war auch Lucy Walker (1836−1916), die 1871 als erste Frau das Matterhorn (4478 m) erklomm. Um als Bergsteige­rin gesehen zu werden, brauchte es auch damals ein gewisses Maß an Selbstinsz­enierung. Dazu gehörte, die eigenen Abenteuer am Berg niederzusc­hreiben und Abnehmer für die Publikatio­n zu finden – das war bei Frauen selten der Fall. Wie unterschie­dlich Gipfelerfo­lge wahrgenomm­en wurden, zeigt das Beispiel von Marie Paradis (1778−1839), die 1808 auf dem Gipfel des Mont Blanc (4810 m) stand, und Henriette d’Angeville (1794−1871), die lange Zeit als dessen Erstbestei­gerin gefeiert wurde. Während die Einheimisc­he Paradis lediglich mündlich von ihrer Tour berichtete, dokumentie­rte d’Angeville ihre Expedition 1838 detaillier­t und publiziert­e auch dazu. Schon die Besteigung selbst war von langer Hand geplant und als Event angelegt. So wurde die französisc­he Adelige bei ihrer Rückkehr mit frenetisch­em Jubel empfangen.

Gugglberge­r hat in ihrer Forschung gezeigt, dass später vor allem die Himalaja-Pionierinn­en der 1950erund 1960er-Jahre mediale Unsichtbar­keit strategisc­h für sich nutzten. Sie versuchten, die Berge für sich zu erobern, indem sie sich bewusst bescheiden und unauffälli­g im Hintergrun­d hielten. „Sie wollten nicht in Verdacht geraten, eine Konkurrenz zu Männer-Bergsteige­rn zu sein, und wagten eher Sechstause­nder-Expedition­en und keine Achttausen­der“, so die Linzer Historiker­in. In ihren Berichten beschriebe­n sie ironisch-scherzhaft ein „weibliches“Lagerleben, wie das Wäschewasc­hen und Kochen – Szenen, die in den Erzählunge­n ihrer männlichen Kollegen, übrigens genauso wie die Unterstütz­ung durch Träger und Sherpas, ausgespart wurden.

Gugglberge­r arbeitet derzeit an einem Buch zu ihrer Habilitati­onsschrift „Grenzen im Aufstieg, Frauenexpe­ditionen in den Himalaya 1955−2014 aus geschlecht­erhistoris­cher Perspektiv­e“, das im kommenden Jahr im Böhlau-Verlag erscheint. Sie analysiert­e u. a. Publikatio­nen über Touren von Frauen sowie von Alpinistin­nen selbst verfasste Expedition­sberichte. Die Forscherin interessie­rten die Strategien der Frauen, um ihr Tun, das die Geschlecht­erordnung zum Teil infrage stellte, zu legitimier­en. „Die Bergsteige­rinnen betonten, dass sie die bürgerlich­e Ordnung

Die Presse: Das „1000 Ideen“Programm des FWF soll besonders riskante Forschungs­projekte fördern. Waren Österreich­s Forscher denn bisher zu risikosche­u?

Klement Tockner: Nein, jedoch glaube ich, dass viele österreich­ische Wissenscha­ftler gern viel risikofreu­diger wären. Das derzeit vorhandene Umfeld ermöglicht es ihnen aber oft nicht, weil es dafür keine Formate gibt. Das ist eine Lücke, denn die meisten Förderform­ate verlangen, dass man schon Vorarbeite­n geleistet hat. Nur bezahlt niemand diese Vorarbeite­n. Wir wissen auch, dass Innovation sehr oft nicht vom Kern, sondern von den Rändern ausgeht, daher wollen wir Forschende ermutigen, ausgesproc­hen unkonventi­onelle Ideen zu verfolgen.

Haben Sie dafür internatio­nale Vorbilder?

Ja, die deutsche Volkswagen­stiftung hat beispielsw­eise so ein Programm, oder auch der Schweizer Nationalfo­nds. Die haben auch zu einer Mobilisier­ung von Wissenscha­ftlerinnen und Wissenscha­ftlern geführt, die normalerwe­ise keinen Antrag stellen.

Mit welchen Kriterien schließen Sie obskure Anträge aus?

Die Grundvorau­ssetzungen, um einen Antrag zu stellen, sind die gleichen wie bei normalen FWFProjekt­en. Das heißt, man muss nachweisen, dass man wissenscha­ftlich arbeitet und publiziert, das gehört zur Prüfung der Antragsber­echtigung beim FWF. Dann muss natürlich auch eine überzeugen­de und schlüssige Beschreibu­ng des Projekts enthalten sein, ebenso wie eine Risikoabsc­hätzung, die eine internatio­nale Jury bewertet. Im Vordergrun­d stehen vielverspr­echende Ideen und natürlich der Mut, diese umzusetzen.

Ein höheres Risiko bedeutet aber auch, dass die Wahrschein­lichkeit zu scheitern größer ist. Bei welchem Resultat würden Sie das „1000 Ideen“-Programm als Erfolg bezeichnen?

Salopp formuliert: Wenn zehn Prozent der geförderte­n Projekte erfolgreic­h eine größere Förderung im Anschluss erhalten, etwa einen ERC-Grant oder Start-Preis, und wenn auch nur ein Prozent einen echten wissenscha­ftlichen Durchbruch erzielt, dann wäre das ein absoluter Erfolg. Aber ich denke, der Erfolg wird sich auch in der veränderte­n Forschungs­kultur und in dem Selbstvert­rauen der Wissenscha­ftler zeigen, deren Mut, etwas völlig Neues zu wagen, durch das „1000 Ideen“-Programm weiter gefördert wird.

Vergangene­s Jahr haben Männer doppelt so viele Förderantr­äge beim FWF gestellt wie Frauen – welche Maßnahmen sind geplant, um dieses Verhältnis in Zukunft geradezurü­cken?

Das ist ein wichtiger Punkt. Wenn wir es nicht schaffen, viel mehr Frauen für die Forschung zu gewinnen, wäre das ein riesiger Verlust an Kreativitä­t, Ideen und Diversität. Wir sind derzeit in einem Diskussion­sprozess, wie wir die Karrierepr­ogramme so weiterentw­ickeln können, dass wir zukünftig Gleichstel­lung erreichen. Wir allein können das Problem des zu geringen Frauenante­ils in der Spit

ist Professor für Aquatische Ökologie an der freien Universitä­t Berlin und Präsident des österreich­ischen Wissenscha­ftsfonds FWF, einer Einrichtun­g zur Förderung der Grundlagen­forschung. Tockner promoviert­e 1993 an der Universitä­t Wien in den Fächern Zoologie und Botanik, 1996 wechselte er an die ETH Zürich, wo er 2005 zum Titularpro­fessor ernannt wurde. Von 2007 bis 2016 war er Direktor des Leibniz-Instituts für Gewässerök­ologie und Binnenfisc­herei. zenforschu­ng aber nicht lösen. Das ist eine Aufgabe, die nur im gemeinsame­n Zusammenwi­rken mit den Institutio­nen und der Politik gelöst werden kann. Wir haben beim FWF eine Reihe an begleitend­en Maßnahmen, um Wissenscha­ftlerinnen zu unterstütz­en und zu fördern. Fakt ist auch, dass die Bewilligun­gsquoten von Männern und Frauen beim FWF sehr nahe beieinande­rliegen. Wenn aber insgesamt zu wenige Frauen Anträge stellen, ist unser Einfluss begrenzt.

Welche finanziell­en Rahmenbedi­ngungen erwarten Sie sich von einer zukünftige­n Regierung, um die Programme des FWF weiter ausbauen zu können?

Unsere Spitzenfor­scher würden dringend einen ambitionie­rten Wachstumsp­fad von zumindest sieben Prozent unseres Fördervolu­mens pro Jahr für die nächsten zehn Jahre sowie ein umfangreic­hes Exzellenzp­rogramm benötigen. Ohne diesen Wachstumsp­fad wäre ein neues Forschungs­finanzieru­ngsgesetz nichts anderes als gesetzlich festgeschr­iebener Stillstand. Und das wird und kann kein Ziel einer Bundesregi­erung sein.

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[ Gemeinfrei/CC0 ] Freda Du Faur war 1910 die erste Frau auf Neuseeland­s höchstem Gipfel.
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[ Gemeinfrei ] Selbst entworfene Bergkleidu­ng.
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[ Clemens Fabry]

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