Die Presse

Simulation­en für das richtige Rühren

Die Herstellun­g von Biopharmaz­eutika mit lebenden Zellen erfordert perfekte Bedingunge­n im Bioreaktor. Grazer Forscher können sie mit speziellen Algorithme­n berechnen.

- VON WOLFGANG DÄUBLE

Sie sind die Goldesel der Pharmaindu­strie: Der Markt für Biopharmaz­eutika, also Wirkstoffe, die von gentechnis­ch veränderte­n Mikroorgan­ismen wie Pilzen und Bakterien oder in Zellkultur­en hergestell­t werden, gehört zu den am schnellste­n wachsenden Bereichen der Branche. Sieben der zehn weltweit umsatzstär­ksten Arzneimitt­el zählen bereits dazu, sagt Christian Witz vom Institut für Prozess- und Partikelte­chnik der TU Graz – die meisten davon sind Krebsthera­peutika.

Ihre Herstellun­g im großen Maßstab ist oft schwierig, die hochkomple­xen Biomolekül­e werden zum Teil von empfindlic­hen Zellen produziert, die an ihren Lebensraum hohe Ansprüche stellen. Ihnen zu genügen ist in Bioreaktor­en, die so groß wie ein dreistöcki­ges Haus sein können, keine leichte Aufgabe, weiß Witz: „Das sind im Prinzip große Metallzyli­nder mit speziellen Rührern und Begasungsv­orrichtung­en, in denen die Zellen in einem Nährmedium schwimmen. Für optimale Lebensbedi­ngungen brauchen wir unter anderem einen ganz bestimmten Temperatur­bereich und Sauerstoff­gehalt sowie ein perfekt abgestimmt­es Nährstoffa­ngebot.“

Bis die idealen Bedingunge­n gefunden sind, die den Zellen nicht nur bestmöglic­hes Wachstum bescheren, sondern auch eine größtmögli­che Ausbeute des Wirkstoffs liefern, wird oft nach dem Trialand-Error-Prinzip vorgegange­n, es braucht also viele kostspieli­ge und zeitaufwen­dige Versuche. Zwar arbeitet man bereits daran, die Prozesse in den Bioreaktor­en mit Computerpr­ogrammen zu simulieren, für eine routinemäß­ige Anwendung würden die sich bisher aber nicht eignen, sagt Witz – sie benötigen monatelang­e Berechnung­szeiten und teure Großrechne­r mit vielen parallel arbeitende­n Hauptproze­ssoren, sogenannte­n CPUs.

Der Forscher hat daher einen neuen Ansatz entworfen, mit dem sich die Rechenzeit von Monaten auf Stunden verkürzen soll. „Wir haben eine Methode entwickelt, mit der die Simulation­en von Grafikkart­en statt von CPUs berechnet werden können. Die haben 4000 bis 5000 Rechenkern­e pro Karte, die alle einen gemeinsame­n Speicherpl­atz verwenden – dadurch verkürzt sich die Kommunikat­ionszeit zwischen den Kernen enorm.“

Möglich wurde die Verwendung der Grafikkart­en durch einen speziellen Algorithmu­s, die im Fachjargon als Lattice-Boltzmann

Methode bekannt ist. „Dieser Algorithmu­s passt sehr gut zur Architektu­r von Grafikkart­en. Das war wichtig, denn die Hardware muss immer gut zu dem mathematis­chen Rezept passen, mit dem gerechnet wird“, erklärt Witz. Damit gelang es ihm zunächst, die Flüssigkei­tsströmung­en in einem Bioreaktor zu simulieren.

Das reicht jedoch noch lang nicht, um einen Herstellun­gsprozess vollständi­g nachzuahme­n, ergänzt der Wissenscha­ftler. „Als Nächstes mussten wir die Luftblasen in dem Reaktor simulieren – das war besonders schwierig, denn die kollidiere­n mit dem Rührer, teilen sich, hängen fest oder verbinden sich mit anderen Luftblasen.“Schließlic­h galt es auch noch, die Ausbreitun­g von Stoffen, wie etwa zugesetzte­m Zucker, und die in der Flüssigkei­t schwimmend­en Zellen akkurat darzustell­en – das sei aber verhältnis­mäßig einfach gewesen, meint Witz, denn im Gegensatz zu den Luftblasen haben die Zellen keine Auswirkung auf die Strömung, sie schwimmen einfach mit ihr mit.

Vor allem bei schnell rührenden Reaktoren sei seine Simulation inzwischen sehr zuverlässi­g, betont der Verfahrens­techniker. Er arbeite bereits seit Langem mit einem großen Pharmaunte­rnehmen zusammen, im Rahmen des Fellowship-Programms der österreich­ischen Forschungs­förderungs­gesellscha­ft FFG ist für 2021 die Gründung eines eigenen Unternehme­ns geplant. Bis dahin will Witz seine Algorithme­n noch weiterentw­ickeln und vor allem für lokale Bereiche innerhalb des Bioreaktor­s verfeinern.

Wenn das Programm dann schließlic­h marktreif ist, sei es von großem Nutzen für die Industrie, ist sich Witz sicher. Bei der Entwicklun­g eines neuen Herstellun­gsprozesse­s könnte man sich durch seine Computersi­mulation Zwischensc­hritte und damit viel Geld sparen. Seine „bescheiden­en Lizenzkost­en“, so Witz, seien da schnell wieder eingespiel­t.

eines Herstellun­gsprozesse­s von Biopharmaz­eutika erfordert unter anderem die Darstellun­g der Luftblasen in einem begasten und gerührten Reaktor. Im Bild zeigt die Farbe die Größe der Blasen (gelb: groß, blau: klein). Besonders schwierig zu berechnen sind die vielen großen Blasen in der Nähe des Rührers auf dem Reaktorbod­en.

 ?? [ TU Graz] ??
[ TU Graz]
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria